Preisfrage: Von wem stammt folgendes Zitat? „Die Moral hazard Gefahr [von Bankenrettungsaktionen] ist offensichtlich. Aber wenn die Wahl zwischen marktnahen Bewertungsansätzen und dem Verlust Hunderttausender Arbeitsplätze zu treffen ist, ist diese Wahl u.E. einfach."
Nein – dies schreibt kein chronischer Interventionist wie z.B. der Wirtschaftsweise Peter Bofinger und auch nicht die Presseabteilung von Bear Stearns. Den Satz findet der erstaunte Beobachter in der neuen Research-Studie der Investment Bank Dresdner Kleinwort vom April 2008 zur Lage des Bankensystems. Und beim ersten Lesen kann man der DK-Argumentation auch nur schwer widersprechen: Marktnahe Bilanzierung bedeute derzeit hohe Abschreibungen, potenziell Banken-Insolvenzen und damit eine Kreditkrise und eine Rezession mit Arbeitsplatzverlusten. Daher solle man doch lieber auf die über IFRS gerade erst eingeführte Mark-to-market (MtM) Bewertung von aktuell kaum verkäuflichen Schrottanleihen verzichten und stattdessen viel mehr modellhafte „Level III"-Bewertungen zulassen – in Fachkreisen auch Mark-to-phantasy genannt. So weit – so plausibel: Hätte die Fed den Kollaps etwa von Bear Stearns oder Fannie Mae und die Ausbuchung der Spareinlagen zugelassen, so hätte der dominoartige und weltweite Crash der Banken die Realwirtschaft in die düsterste vorstellbare Rezession gezogen.
Muss man nun also der Fed dankbar sein, weil sie erkannt hat, dass die Banken weltweit „too interconnected to fail" sind? Müssen wir der SEC dankbar sein, die die marktferne Bewertung der Forderungen den Banken geradezu nahe legt? Oder den anderen Claqueuren wie Bundesbank-Vize Franz Zeitler, der sich jüngst das gute alte HGB zurückwünschte, das das „rigide Fair-Value-Prinzip" im Gegensatz zu IFRS nicht kennt? Natürlich ohne zu erwähnen, dass die Bundesbank und die BaFin die strenge Anwendung des vom HGB ebenfalls geforderten Niederstwertprinzip zur Vermeidung bilanzieller Luftblasen zumindest bei Vermögenswerten seit Jahren nicht mehr eingefordert haben? Oder Commerzbank-Chef Klaus-Peter Müller, der die Bilanzierungsregeln sogar noch rückwirkend für 2007 entschärfen will? Vermutlich jedoch ohne die exorbitanten Boni der Investmentbanker für 2007 rückabwickeln zu wollen…{mospagebreak}
Sozialismus à la carte
Dresdner Kleinworts Totschlagargumente sind nicht neu: Seit Keynes wissen wir alle, dass man kurzfristig Jobs schaffen (oder besser: retten) kann, wenn man die Wirtschaft (oder besser: die Banken) mit Geld überflutet. Vermutlich denkt zwar DK beim „Verlust Hunderttausender Jobs" eher an gefährdete Bankerjobs als an die in der Realwirtschaft - aber sei´s drum. DK hätte auch "viele Millionen Jobverluste" schreiben können - denn das wäre bei einem Banken-Kollaps die Größenordnung in der Realwirtschaft. Und da ist es keine sehr gewagte Prognose, dass die durchgängig und seit Jahrzehnten vulgär-keynesianisch denkenden Politiker natürlich den Geldhahn aufdrehen werden. Warum vulgär-keynesianisch? Weil Keynes vor 70 Jahren eben auch davon gesprochen hat, dass die Stimulus-Gelder aus der Druckerpresse in besseren Zeiten wieder eingesammelt werden müssen. Bei derzeit historisch hohem Geldmengen-Wachstum (US-M3 +19% p.a.!) ist jedoch nicht zu erwarten, dass wir irgendwann "in besseren Zeiten" wieder mal -15% oder so sehen werden, wie Keynes es gefordert hat. Die Gelddroge macht ebenso süchtig wie die von DK richtig erkannte Moral Hazard-Gefahr: Die Banker werden nach dieser Krise vermutlich eine Schamfrist von zwei Jahren einhalten - und dann wieder ihre Gewinne über erhöhte Risikoaufnahme steigern (und privat einstreichen). Geht es dann erneut schief, werden Bernanke und Trichet die Verluste wiederum brav sozialisieren – auch wenn der Chefvolkswirt der Deutschen Bank anderslautend fabuliert:
Moral hazard würde [nur] entstehen, wenn die Liquiditätsspritzen in den Finanzsystemen in Krisenfällen nicht die Ausnahme blieben, sondern solche Liquiditätshilfen wiederkehrend und/oder andauernd erfolgten.
Da fragt man sich schon: Wie viele Ausnahmen müssten es denn sein, bis auch Prof. Norbert Walter ein Moral Hazard-Risiko sähe? Mittlerweile gibt es Meldungen, wonach z.B. Lehman Brothers oder auch spanische Hypothekenbanken schwer verkäufliche Kredite mit der einzigen Absicht verbrieft haben, sie der Fed bzw. der EZB andienen zu können! Die Summe, die man 1998 für den Bailout des damals insolventen Hedge Fonds LTCM aufgewendet hat, wird 2008 alleine von den heute bereits bekannten Geldspritzen und Garantien der Notenbanken an de facto insolvente Banken um mehr als das 100-fache übertroffen!
Sogar die Chefs der Deutschen Bank Josef Ackermann und von Goldman Sachs (D) Alexander Dibelius dürfen ungestraft weitere Bailouts fordern (natürlich nur für die gefährdeten anderen Banken). Bear Stearns, FannieMae, die IKB und viele Konsorten haben ihn schon hinter sich. Es passt alles ins Bild: Erst IFRS, MtM und Basel II fordern - und sobald es einen selbst betrifft diese Regeln schnell wieder einkassieren! Moral Hazard? Nicht bei uns… Diese Schönwetter-Kapitalisten-Firmen gehören -wenn man sie schon nicht pleite gehen lassen kann- richtig verstaatlicht - nicht nur ihre Verluste sozialisiert! Wer den Sozialismus in schlechten Zeiten predigt, sollte ihn auch in guten Zeiten bekommen!
Nachdem diese Konsequenzen aber natürlich auch diesmal wieder nicht gezogen werden, wird DK mit der Prognose wohl recht behalten. Der „kapitalistische Sozialismus" hat noch einmal gesiegt. Darum werden die Banken 2008 noch einmal aus der Krise kommen, selbst wenn wir vorher noch einige kritische Abschreibungssituationen und evtl. Konkurse kleinerer Institute und Banken-Zwangsfusionen à la Bear Stearns & J.P. Morgan sehen werden.{mospagebreak}
Systemresistenz durch unkonventionelle Maßnahmen
Wer aber genau beobachtet, muss die neue Qualität der Notenbankaktionen seit Juli 2007 erkennen:
1 Minimalzinssätze trotz ausufernder Inflation
2 direkte Geldspritzen an illiquide Banken über „unkonventionelle" Maßnahmen und neue dauerhaft monetarisierende, de facto Eigenkapital-ersetzende Maßnahmen
3 Einführung neuer, die beanspruchende Bank anonym haltender Instrumente (Term Auction Facility, Term Securities Lending Facility)
4 Akzeptierung von weltfremder „fair value" Schuldenbilanzierung, die formal die Gewinne erhöht
5 Direkthilfen der Fed an Nicht-Banken
6 massive Herabsetzung der Qualität der Sicherheiten
7 sogar direkter Tausch von Ramschanleihen gegen Staatsanleihen (Fed) bzw. direkte Beleihung von spanischen, italienischen, griechischen und britischen Immobilienkrediten (EZB). Dies geschieht nicht zu marktgerechten Konditionen und übrigens auch aus politischen Gründen (der Euro wäre ohne diese Transferzahlungen längst zerbrochen und mit ihm sofort auch die EU!).
Viele der Maßnahmen wären für Ökonomen noch vor einem Jahr völlig undenkbar gewesen! Einzig offene Verstaatlichungen oder offene Monetarisierungen der Schulden oder offene Konkurse bzw. Übernahmen von Geschäftsbanken durch Fed und EZB wurden rein technisch nochmals vermieden! De facto wird mit dem Tausch von Ramschanleihen gegen Staatsanleihen nun aber sogar die Währungsbasis massiv verschlechtert und die Zentralbanken haben auch erstmals begonnen, das Kreditausfallrisiko dieser Anleihen zumindest zeitweise auf die eigenen Bücher zu nehmen! Der geldpolitische Dammbruch ist erfolgt und die moralische Hemmschwelle wird nach diesen Präzedenzfällen beim nächsten Mal geringer sein. Die Notenbanken haben den Währungsschutz, die Inflationsbekämpfung und den Schutz der Steuerzahler vor Ausfallrisiken aufgegeben zugunsten der Rettung der Bankenvorstände, der Politik und der Realwirtschaft (in dieser Reihenfolge)!
Deutscher Inflationsgeldschein von 1923
Wie sehr auch die deutsche Politik –getreu den internationalen Vorbildern- bei der Krisenbewältigung mithilft, kann man aktuell an den Rettungen der Staatsbanken demonstrieren. Angewendet wird die ganze Palette politischer und bilanzieller Maßnahmen, die entgegen verschleiernder Medienaussagen natürlich alle vom Bürger bezahlt werden müssen:
8 Auflösung von Gewinnrücklagen, die sonst mit Steuer senkender Wirkung an die Landes- bzw. Bundeshaushalte geflossen wären
9 Verbuchung der Verluste als Verlustvorträge; damit langjährig ausfallende Dividenden …
10 … und massive Einschränkungen der eigentlichen Bankaufgaben (Mittelstandskredite, Fördermittelvergabe für politisch wünschenswerte Projekte)
11 Milliarden schwere Garantien und Ausfallbürgschaften durch die Länder…
12 … die (im Fall der Sachsen-LB) bereits zahlungswirksam werden
13 Streichung von Landeszuschüssen zu kommunalen Infrastrukturprojekten in Sachsen (Straßenbau, Schulen)
14 Einschränkungen des Kreditgeschäfts vieler Sparkassen wegen des in den Garantien für die Muttergesellschaften (Landesbanken) gebundenen Eigenkapitals
15 Direkte Kapitalerhöhungen aus Steuermitteln (Sozialhilfe für das „Bankenprekariat")
16 Insolvenzverschleppung – besonders offensichtlich im Falle der IKB
17 Bald wohl auch noch Notprivatisierungen von Landesbanken weit unter Wert und damit ein hoher Substanzschaden für die Landeshaushalte und die Bürger.{mospagebreak}
Die Privatbanken werden im Gegensatz zu den Landesbanken weniger durch den Staat als vielmehr über den Inflationsmechanismus gerettet. Entgegen anders lautender Kommentare lassen sich die bei den Bailouts eingesetzten neu geschaffenen Kreditmittel der Notenbanken von letztlich wohl über 1000 Mrd. Dollar nicht vollständig von der Realwirtschaft fernhalten. Die Folge heißt Inflation und ist bereits sehr sichtbar auf den Energie- und Lebensmittelmärkten, auch wenn es dort auch andere Gründe für die Preissteigerungen gibt. Paradoxerweise führen die Bailouts indirekt aber auch zu realwirtschaftlicher Deflation: Während die staatstragenden Banken derzeit mit billigem Geld geradezu geflutet werden, verwenden sie diese Mittel primär intern, d.h. zur Aufbesserung ihrer Bilanzkennzahlen und zur Vorbereitung und Durchführung der zwangsläufig fälligen Abschreibungen auf ihre faulen Kredite. Ihrer eigentlichen Aufgabe Kreditvergabe kommen die „Kreditvermeidungsinstitute" derzeit kaum nach! Junge Technologie- oder Minenunternehmen können aktuell weltweit kaum noch Eigen- oder Fremdkapital-Maßnahmen durchführen und kommen so in existenzielle Schwierigkeiten. Selbst großen Unternehmen werden langjährig etablierte Kreditlinien gekürzt oder gestrichen oder gar die Zinsen trotz der Geldflutung der Notenbanken erhöht! Und in den USA steigen mittlerweile inmitten des größten Einbruchs der Bauaktivitäten seit Jahrzehnten die langfristigen Hypothekenzinsen!
Armageddon: Verschoben!
Die Systemeliten erkaufen sich aktuell in einer konzertierten Aktion auf Kosten der Bürger und Steuerzahler Zeit. Selbst die geschätzten 1000 Milliarden Dollar an Abschreibungsbedarf in den Bankbilanzen lassen sich über diese Zeit noch einmal bewältigen, wenn alle bislang geltenden Bilanzierungsregeln außer Kraft gesetzt werden, wenn die Notenbanken per fast grenzenloser Monetarisierung mithelfen und der Staat auch noch Verluste sozialisiert. Armageddon wird vermutlich nochmals verschoben. Vorstellbar ist höchstens ein Schein-Bankrun, der zugelassen wird, um die Massen deflationär zu ängstigen und um weitere Stufen der Inflationierung ohne Volksaufstand zünden zu können. Eine dauerhafte Lösung der volkswirtschaftlichen Verschuldungskrise haben all die Maßnahmen der letzten neun Monate jedoch nicht gebracht. Wer weiter Toilettenpapier monetarisiert und Bankverluste sozialisiert oder via Verstaatlichung über die Steuerzahler verteilt, wird eines Tages eine Grenze erreichen: Implizit (wenn auch zunächst nicht offiziell/explizit), werden sich die Rankings der betreffenden Staaten und mit ihnen ihre Währungen verschlechtern. Und wer ist dann bei der nächsten Krise der Lender of last Resort, wenn die Staaten selbst bzw. ihre Bürger nicht mehr unbegrenzt kreditfähig sind? Die nächste Krise könnte die Derivatekrise sein, zu deren Bewältigung dann nicht 1000, sondern vermutlich 100.000 Milliarden Dollar erforderlich wären! Umgerechnet die US-amerikanische Wirtschaftsleistung von 7 Jahren! Das Emittentenrisiko der Staaten ist in den letzten Monaten eindeutig gewachsen. Gegen Gold, Silber und Rohstoffe werden daher alle Währungen der monetär-sozialistisch geführten Staaten abwerten, denn Gold ist die einzige Währung ohne Emittentenrisiko!
Diesen Text als PDF: http://www.pbvv.de/finanzbriefe/2008-05-Finanzbrief.pdf
Peter Boehringer ist Vorstand der Deutschen Edelmetall-Gesellschaft e.V. (www.edelmetallgesellschaft.de) und Gründer der PBVV Vermögensberatung in München. Zuvor zehnjährige Tätigkeit in verschiedenen Industrien (IT, Telekommunikation, Banken). Funktionen als Technologie- und Strategieberater bei Booz Allen & Hamilton Inc. in vielen nationalen und internationalen Projekten sowie als Gründer eines internationalen Carriers (Verkauf 1999 an Sonera). Langjährige Erfahrung in der Private Equity Industrie (Technologieholding GmbH, 3i plc) sowie im Portfolio- und Aktienmanagement. Peter Boehringer ist Diplom-Kaufmann und Diplom-Informatiker - u.a. Alumnus der European Business School. Er ist Buchautor und veröffentlicht zu Edelmetallen und Rohstoffen sowie zu Makrothemen in diversen Medien Artikel. Er kann erreicht werden unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.