Einerlei, ob man nun der Peak Oil-Theorie Glauben schenkt oder in ihr ein bloßes Propagandwerk der Mineralölindustrie erkennt – an und für sich läuft es darauf hinaus, dass sich die Welt seit geraumer Weile geradehin so verhält, als würde Peak Oil tatsächlich existieren. Wäre Peak Oil real, so würde dies äußerst unangenehme Konsequenzen haben. Ausreichend Grund, einmal anzunehmen, dass Peak Oil real ist, um von dieser Warte aus die Dinge zu betrachten.
Gesetzt also, dass Peak Oil eine Erscheinung der Wirklichkeit darstellt, und ferner angenommen, dass das globale Öl-Fördermaximum bereits hinter uns liegt, wie es ein Report der in Berlin ansässigen „Energy Watch Group“ (EWG) aus dem Jahre 2007/08 veranschlagt:
„Peak Oil ist ‚jetzt’“,1
dann lautet das Resultat, dass zwischen dem weltweit steigenden Bedarf nach Öl und dem tatsächlich zu liefernden Angebot eine von Jahr zu Jahr immer größer werdende Lücke klafft.
Obzwar die Welt niemals des Öls verlustig gehen wird, wird es dennoch immer schwerer, qualitativ hochwertiges und vor allem: preisgünstiges Öl für alle zu finden. Das bringt
- einen kletternden Ölpreis mit sich, hat
- weit reichende Folgen für das allseits propagierte Dogma vom ewigen Wirtschaftswachstum, lässt
- erhebliche Zweifel daran aufkommen, ob eine wirtschaftliche Erholung von der gegenwärtigen Rezession überhaupt möglich ist, stellt
- den Fortbestand der Industrienationen, wie wir sie kennen, insgesamt in Frage, und führt
- zu geopolitischen Spannungen, die kaum größer sein könnten.
Letzteres anders gewendet: es gab eine Zeit, da wurden Kriege um Öl geführt; dann wurden Kriege mit Öl geführt; und jetzt könnte sich der Kreis schließen, indem wieder Kriege um Öl geführt werden, genauer gesagt, um den Rest, der noch da ist.2
All dies besitzt Glaubwürdigkeit vor folgendem Hintergrund: zieht man offiziell verfügbare Informationen heran, so lässt sich konstatieren, dass die beiden ertragreichsten Erdölfelder der Welt, „Burgan“ in Kuwait und „Ghawar“ in Saudi-Arabien, schon 1938 bzw. 1948 entdeckt wurden.
„Burgan“ hat sein Fördermaximum nach Angaben der Kuwait Oil Company im Jahre 2005 überschritten. Und Saudi-Arabien, der größte Erdölförderer der Welt, tut sich offensichtlich schwer, seine Produktion auf dem bisherigen Niveau zu halten. Jedenfalls legt das eine Aussage des Ölministers Saudi-Arabiens, Ali al-Naimi, nahe, die sich unter der bezeichnenden Überschrift “Al-Naimi Says Saudi Oil Output Below Target; Stockpiles to Fall” finden lässt.3 In dem Zusammenhang scheint auch eine Aussage von Michael C. Ruppert in dem Dokumentarfilm “Collapse“, der dieser Tage in den US-Kinos anläuft, interessant zu sein:
"Saudi Arabia has 25% of the oil reserves on the planet. Why, if Saudi Arabia has all these untapped reserves on shore, are they moving heavily into offshore drilling? If it's 5, 10 or 15 times more expensive to drill offshore than land, doesn't that tell you that Saudi Arabia knows that they've no more oil to find?"4
Die Anzahl größerer Ölfunde geht seit den 1960er Jahren kontinuierlich zurück, obwohl die Suche weltweit intensiviert wurde.
Das Gleiche gilt für die Ölreserven seit den 1980er Jahren, da der Verbrauch weltweit steigt. Und freilich, dergleichen Angaben mögen mit Vorsicht zu genießen sein, insofern sich die Ölindustrie vor allem auch dadurch auszeichnet, dass die Zahlen, mit denen sie Handel treibt, alles in allem wenig transparent sind.
Manche Öl-Staaten wie Russland und Saudi-Arabien hüten ihre Zahlen geradezu als Staatsgeheimnisse. Umso auffälliger scheint aber, dass ein prominenter Vertreter der Öl-Zunft, Royal Dutch / Shell, seine offiziell angegebenen Reserven 2004 in bedeutendem Umfang nach unten korrigieren musste.
Vertrauen schaffende bzw. Optimismus verbreitende Maßnahmen Richtung Märkte und Verbraucher sehen etwas anders aus. Der Börsenwert des Unternehmens sank dementsprechend und es kam zu Schadensersatzklagen – was nicht direkt darauf schließen lässt, dass das betreffende Unternehmen seine Reserveangaben nach unten korrigierte, nur um die Öffentlichkeit an der Nase herum zu führen. Eher liegt die Vermutung nah, dass es ebenjenes jahrelang vorher getan hatte.
Des Weiteren ist der bemerkenswerte Modus Operandi, der dem oben erwähnten EWG-Report zugrunde liegt, dass es sich nicht auf ungefähre Schätzungen von Weltreserven verlässt, sondern sich den tatsächlichen Produktionszahlen geförderten Erdöls widmet. Hierzu Matthew Simmons, der weltgrößte private Investmentbanker im Energie-Sektor, in einem exklusiven Interview für MMNews ( --->“Global crude oil peaked in 2005” ):
“Using “world reserves” is flawed data and has little impact on flow rates or declines in oil fields.”
Und dann kommt’s:
“The best data makes a convincing case that global crude oil peaked in 2005.”5
In diesen Kontext fügt sich die Geschichte, die der Guardian veröffentlichte: “Key oil figures were distorted by US pressure, says whistleblower”. Der Informant, den der Guardian zitiert, sitzt in der Zentrale der Internationalen Energie Agentur zu Paris. Hauptaussage des Artikels:
"The world is much closer to running out of oil than official estimates admit, according to a whistleblower at the International Energy Agency who claims it has been deliberately underplaying a looming shortage for fear of triggering panic buying. The senior official claims the US has played an influential role in encouraging the watchdog to underplay the rate of decline from existing oil fields while overplaying the chances of finding new reserves."6
Sollte das stimmen, dürfte der “World Energy Outlook” der IEA, der nunmehr erschienen ist, mit sehr viel Vorsicht zu genießen sein. Das ist umso kritischer zu betonen, da sich die maßgeblichen Industrienationen an den Prognosen orientieren:
"The IEA governments and industry from all across the globe have come to rely on the World Energy Outlook to provide a consistent basis on which they can formulate policies and design business plans."7
Jedenfalls sollte man sich nicht ohne Weiteres darauf verlassen, dass die weltweite Ölproduktion von 83 Millionen Barrel pro Tag einfach auf deren 105 Millionen Barrel angehoben werden kann. Dies zu leugnen hilft nicht weiter. Wie Richard Heinberg, einer der interessantesten Aufklärer in Sachen Peak Oil, hierzu schreibt:
“Denial leads to complacency, not problem-solving. And the end of cheap, abundant oil is a problem that could cripple the global economy not just for another year or two, but more or less permanently.
This is not to say that the recently released IEA “World Energy Outlook 2009” is worthless: the current iteration of the agency’s annual report makes many excellent points (for example, that “Falling energy investment [resulting from the worldwide financial crisis] will have far-reaching consequences”). But, as the whistleblower quoted in the recent Guardian article notes, agency forecasts for future world oil production are still profoundly unrealistic:
Many inside the organisation believe that maintaining oil supplies at even 90 [million] to 95m barrels a day would be impossible but there are fears that panic could spread on the financial markets if the figures were brought down further. And the Americans fear the end of oil supremacy because it would threaten their power over access to oil resources.
Sooner or later, we must face reality. If we do it sooner, our chances of adapting successfully are far better than if we wait and deny just a little longer.”8
2 Zwei exzellente Bücher zum Thema „Öl als Kriegsgrund und -mittel“ sind F. William Engdahl: „Mit der Ölwaffe zur Weltmacht. Der Weg zur neuen Weltordnung“, Kopp-Verlag, Rottenburg 2006, 574 Seiten, und Daniel Yergin: „Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht“, S. Fischer-Verlag, Frankfurt, 1991, 1102 Seiten. Beide Autoren stehen der Peak Oil-Theorie ausgesprochen ablehnend gegenüber.
3 Christian Schmollinger and Shigeru Sato: “Al-Naimi Says Saudi Oil Output Below Target;
Stockpiles to Fall”, Bloomberg, April 25, 2009, at:
http://www.bloomberg.com/apps/news?pid=20601087&sid=aBL_62gRgvrE&refer=home
4 siehe Patrick Goldstein 'Collapse' is the strangest doomsday film yet”, veröffentlicht am 10. November, 2009 unter: http://www.latimes.com/entertainment/news/la-et-bigpicture10-2009nov10, 7256272
5 Lars Schall: „Matthew Simmons: ’Global crude oil peaked in 2005”, veröffentlicht am 10. November 2009 unter: http://www.mmnews.de/index.php/Englisch-News/Matthew-Simmons-Global-crude-oil-peaked-in-2005.html#_edn1
6 Terry Macalister: “Key oil figures were distorted by US pressure, says whistleblower. Watchdog's estimates of reserves inflated says top official” The Guardian, 9. November 2009 unter: http://www.guardian.co.uk/environment/2009/nov/09/peak-oil-international-energy-agency
7 ebd.
8 Richard Heinberg: “Just Tell Us The Truth”, veröffentlicht am 10. November 2009 unter: http:// www.postcarbon.org/blog-post/44016-just-tell-us-the-truth