Um die Dinge, über die es zureden gilt, von vornherein richtig einzuordnen, scheint es nicht verkehrt, miteinem Zitat des Energie- und Sicherheitsexperten Michael T. Klare zu beginnen.In seinem zuletzt erschienen Buch “RisingPowers, Shrinking Planet” schreibt derProfessor für Peace & World Security Studies am Hampshire College in Amherst,Massachusetts etwas sehr Erhellendes über die sich verschiebendenMachtverhältnisse auf Erden, und zwar:
“In theplanet’s new international energy order, countries can be divided intoenergy-surplus and energy-deficit countries. Under the old order, a nation’sranking in the global hierarchy was measured by such criteria as its stockpileof nuclear warheads, its warships at sea, and the number of men it had underarms; superpowers had, above all, super-allotments of the power to destroy. Inthe new order, a nation’s rank will increasingly be determined by the vastnessof its oil and gas reserves or its ability to mobilize other sources of wealthin order to purchase (or otherwise acquire) the resources of the energy-rich countries.”
Nimmtman dies als Betrachtungsgrundlage dessen, was in der Welt vor sich geht, kannman wenig falsch machen. Nicht zuletzt ergibt sich hierdurch ein ganzwesentlicher Faktor für die neue Stärke Russlands. Noch einmal Michael T. Klare:
“The realignmentof the global power lineup into energy-surplus and energy-deficit states hasobvious economic implications. After all, deficit states like China, Japan,and the United Statesare compelled to pay ever higher prices for imported fuels as they compete withone another for those materials the surplus states are prepared to supply. Thesurplus states, on the other hand, are sure to become richer as they parcel outtheir increasingly valuable commodities at whatever prices the market willbear. Thus, in 2006 alone, oil-exporting countries sucked up an estimated $970billion from oil-importing states – three times more than they received in2002; with the price of crude in 2007 approximately double what it was in 2006,this amount was sure to reach much higher. Already, this shift in fortunes hasdelivered immense wealth to Russia,which has enjoyed remarkable growth since 2000 as a result of its lucrative oiland natural gas exports.”[1]
Russland ist dabei, diesePosition der Stärke nachhaltig zu festigen. Das beeindruckendste Beispiel istdafür der neue Ölverladehafen Kozmino an der russischen Pazifikküste, derdieser Tage von Ministerpräsident Vladimir Putin eingeweiht wurde. Kostenpunktder ultramodernen Anlage: rund zwei Milliarden US-Dollar. Putin nannte denÖl-Terminal bei seiner Rede „ein großartiges Neujahrspräsent für Russland.“
In der Taterhöht Russland seine Handlungsspielräume auf dem internationalenEnergie-Parkett um ein Beträchtliches mit dieser Investition. Der Weg steht nunoffen für einen Transfer in zweierlei Richtungen: sibirisches Öl raus ausRussland – japanische, chinesische und koreanischeDevisen rein nach Russland. Künftig kann sich Russland damit mehr und mehr beiseinen Erdölexporten auf die Asien-Pazifik-Region konzentrieren – was Europazum strategischen Nachteil gereicht. Insbesondere in Deutschland dürfte dieVollendung des ersten Bauabschnitts des East Siberia-PacificOcean-Pipelineprojekts mit einigem Kummer verfolgt werden, steckt dochDeutschland in einer Abhängigkeit von russischen Erdölimporten wie nie zuvor.Mittlerweile bezieht die BRD mehr als 35 Prozent ihrerRohölimporte aus Russland, wie sich aus den Statistiken desMineralölwirtschaftsverbandes ergibt (mmnews berichtete[2]).Demnach sind die russischen Importe in den ersten zehn Monaten des vergangenenJahres nochmals um 2,9 Prozent gestiegen, während die Einfuhren aus denOPEC-Staaten um 10,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum abnahmen.
Diestrategische Bedeutung, die dem Kozmino-Öl-Terminal und der ESPO-Pipelinezufällt, lässt sich auch an der massiven Beteiligung von „China amGesamtprojekt der Erschließung sibirischen Erdöls“ ablesen:
“The new Kozmino port plan, together with the ESPO and China pipelinearrangements, backed by Chinese financing of $25 billion, make certain that thenew Siberian oilfields, such as Rosneft’s Vankor field in central Siberia, willmove oil eastwards to Asian markets, rather than westwards to Europe. Thisgeostrategic shift of Russian energy flow has been a Chinese objective foryears. If oil demand conditions remain volatile, spot trading of Russian oilfrom Kozmino is likely to give Asian buyers a price advantage, and put pressureon Middle Eastern suppliers.”[3]
Um das einträchtigeAn-einem-Strang-ziehen Russlands und Chinas zu unterstreichen, wird das erste ölbeladeneSchiff, das in Kozmino am 15. Januar ablegt, Hong Kong ansteuern. Insgesamtsollen im Zeitraum vom 15. bis 31. Januar die ersten sieben Schiffe von Kozminoin See stechen. Alle sieben Schiffe zusammen werden 700 000 Tonnen Öltransportieren, was Kozmino zum drittgrößten russischen Ölexportknotenpunktnach Primorsk im Baltikum und Novorossisk am Schwarzen Meer macht.[4]
Angeliefert wird das Öl zurzeitvon Tankzügen, die in Skovorodina beladen werden, wo der fertig gestellte ersteTeilabschnitt der ESPO-Pipeline endet. Er wurde im November komplettiert undreicht 2, 757 Kilometer lang bis Taishet. Kostenpunkt hierbei: 12 MilliardenUS-Dollar. Der zweite Abschnitt von Skovorodina bis Kozmino soll 10 MilliardenUS-Dollar beanspruchen. Für 2012 ist seine Fertigstellung geplant. Anvisiertwird dann ein jährlicher Transfer von über einer Millionen Barrel Öl pro Tagüber die ESPO-Pipeline nach Kozmino.
Derzeitig fördert Russland 10Millionen Barrel pro Tag. Während die Produktion in Saudi-Arabien abnimmt,steht Russland inzwischen als der größte Erdölexporteur in der Welt da. Nimmtman das mit seinen Erdgasexporten zusammen, ist Russland mit einigem Abstanddie größte Energie-Supermacht im Sinne von Michael T. Klare. Und da sind dieUranium-Vorkommen, über die Russland verfügt, noch gar nicht miteingerechnet.
Eine Zeitenwende bedeuten derneue Hafen in Kozmino und die ESPO-Pipeline insofern, da sie in Kombination dafürsorgen, dass sich Russland zum ersten Mal in seiner Erdölgeschichte nicht mehrvoll und ganz Richtung Europa auszurichten braucht. Demnach ist “ESPO…what political strategists might call a ‘game-changer’. Itmeans Russia will be able tosend its oil either east or west – so can drive a harder bargain when sellingcrude to Europe.”[5]
Denn bisher konnte Russland demWesten mit einem Lieferstop nur drohen, ohne der Gebärde Taten folgen lassen zukönnen. Nun besitzt es Alternativen, die es in die Lage versetzen, beiPreisdiskussionen größeren Druck auszuüben. Aus dem Bluff wird langsam Ernst.Letztes Beispiel hierfür: der inzwischen zum Neujahrsritual gewordene Streitmit den osteuropäischen Nachbarn, insonderheit diese Saison mit Weißrussland.[6]
China profitiert unterdessennicht nur durch die ESPO-Leitung, die jetzt schon Öl an seine Nordgrenzebringt, sondern entpuppt sich immer mehr zu einem der wenigen Gewinner, die der“War on Terror“ zutage fördert. Anden beiden wichtigsten Fronten, an denen die USA tätig sind, erzielt Chinabeachtliche Erfolge. Im Irak gewann die China National Petroleum Company (CNPC)die Ausschreibung für die Entwicklung des Halfiya-Ölfelds, das bis zu 4,1Billionen Barrel des teuren Guts beinhalten soll. Zusammen mit BP bekam dieCNPC schon den Zuschlag für die Entwicklungsrechte in Rumaila, dem größtenÖlfeld, das der Irak zu vergeben hat. Damit nicht genug: “It is also helping to restoreproduction at al-Ahdab field”, wie die Times of Londonberichtet . “Sinopec, another Chinese oilgroup, has a strong position in northern Iraq, after its $7.9 billionacquisition of the London-listed Addax Petroleum, which has been exploring foroil in the autonomous Kurdish region.”[7]
Die USA müssen sich das gefallenlassen, da ihnen keine andere Wahl bleibt: Wenn die chinesische Wirtschaft ausGründen von zu wenig Energieimporten zusammenkracht, wer soll dann noch dieamerikanische Wirtschaft aufrecht halten?
Und in Afghanistan hat China mittlerweiledas größte Auslandsinvestment platziert, das am Hindu Kusch seit Ende 2001getätigt wurde: eine 3,4 Milliarden US-Dollar starke Beteiligung an einerKupfermine südöstlich von Kabul.[8]
Quellen:
[1] Michael T. Klare:“Rising Powers, Shrinking Planet: The New Geopolitics of Energ”,HenryHolt & Company, New York,2008, Seite14 – 15.
[2] vgl. „Abhängigkeit von russischem Öl“,veröffentlicht auf MMNews am 2. Januar 2010 unter: http://www.mmnews.de/index.php/201001024576/Rohstoffe/Abhangigkeit-von-russischem-Ol.html
[3] siehe „Russisches Öl für China. ErsterBauabschnitt bis Skovorodino und Öl-Terminal in Kozmino bei Nahkodka eröffnet“,erschienen auf Steinbergrecherche am 30. Dezember 2009 unter: http://www.steinbergrecherche.com/russland.htm#ESPO
[4]DmitryZhdannikov: “Russian Pacific oil exports to rise in Jan”, veröffentlicht auf Reuters am 14. Dezember 2009 unter: http://www.reuters.com/article/idUSTRE5BD2W820091214
[5] Liam Halligan: “We are at risk ofa trade war - and the West has most to lose”, veröffentlicht im The Telegrapham 26. Dezember 2009 unter: http://www.telegraph.co.uk/finance/economics/6890708/We-are-at-risk-of-a-trade-war---and-the-West-has-most-to-lose.html
[6] siehe Krystof Chamonikolasand Daryna Krasnolutska: “ Russia Warns EU of Winter Oil Cut-Off”,veröffentlicht auf Bloomberg am 28. Dezember 2009 unter:http://www.businessweek.com/globalbiz/content/dec2009/gb20091228_344425.htmund Tim Webb: “Dispute looms as Russia suspends Belarus energy supplies”, veröffentlicht inThe Guardian am 3. Januar 2010 unter: http://www.guardian.co.uk/business/2010/jan/03/russia-suspends-belarus-energy-supplies
[7] Iraq will double exports to China to satisfy thirst for oil”,veröffentlicht in The Times am 23. Dezember 2009 unter: http://business.timesonline.co.uk/tol/business/industry_sectors/natural_resources/article6965724.ece
[8] vgl. Michael Wines: “UneasyEngagement. China Willing to Spend Big on AfghanCommerce”, veröffentlicht am 29. Dezember 2009 unter: http://www.nytimes.com/2009/12/30/world/asia/30mine.html?_r=1&hp