Die privaten Vermögen in Deutschland sind höchst ungleich verteilt,und die Ungleichverteilung hat in den vergangenen Jahren deutlichzugenommen. In der Debatte hierüber blieben die Anwartschaften aufRenten und Pensionen allerdings bislang außen vor – es fehltenverlässliche Daten. Jetzt haben Wissenschaftler des DIW Berlin in einervon der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie erstmals errechnet,wie sich die Vermögensverteilung ändert, wenn man Pensionsansprüche undRentenanwartschaften mit einbezieht. Das Ergebnis: Die individuellenAlterssicherungsvermögen dämpfen die Ungleichverteilung, das Ausmaß derVermögenskonzentration bleibt aber weiterhin hoch.
Die vom DIWBerlin jetzt erstmals vorgenommene erweiterte Vermögensmessung zeigt:Die Ungleichheit ist geringer als bei herkömmlichen Analysen, die sichallein auf Geld- und Sachvermögen beziehen. Der dämpfende Effekt desAlterssicherungsvermögens hat mehrere Gründe: So besitzt zwar mehr alsein Viertel der Bevölkerung gar keine Geldvermögen, Immobilien undBetriebsvermögen oder ist sogar verschuldet. Allerdings erwerbenpraktisch alle Erwachsenen Ansprüche an die diversenAlterssicherungssysteme. Gleichzeitig sind die Rentenansprüche in derGesetzlichen Rentenversicherung (GRV) aufgrund derBeitragsbemessungsgrenze gedeckelt – selbst mit einem Spitzeneinkommenkann man hier nur Rentenansprüche bis zu einer gewissen Höhe erwerben.
„DieKonzentration der jetzt erstmals um Renten- und Pensionsanwartschaftenerweiterten Vermögen bleibt aber sehr hoch und die dämpfende Wirkungdes Alterssicherungsvermögens wird künftig wohl an Bedeutungverlieren,“ sagt Joachim Frick, zusammen mit Markus Grabka einer derbeiden Autoren der DIW-Studie. „Gleich mehrere Faktoren schlagen hierzu Buche: Sinkende Versorgungsniveaus in Folge der Reformen derAlterssicherungssysteme, zunehmende, oft durch Arbeitslosigkeitbedingte Lücken im Erwerbsverlauf - mit dem Risiko zunehmender Altersarmut.“
Nachneuen Berechnungen auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)beliefen sich die individuellen Renten- und Pensionsanwartschaften inDeutschland für 2007 insgesamt auf rund 4,6 Billionen Euro. ImDurchschnitt entspricht dies 67.000 Euro je Erwachsenem. Zusammen mitdem individuellen Geld- und Sachvermögen von durchschnittlich 88.000Euro ergibt sich dadurch ein erweitertes Gesamtvermögen von im Schnittmehr als 150.000 Euro pro Person.
Mehr Altersarmut in Ostdeutschland
Beunruhigtsind die DIW-Experten mit Blick auf die zukünftige Entwicklung derVermögen. „Zusätzliche private Vorsorge wird nach den Reformen bei derAlterssicherung unbestritten immer wichtiger“, betont Markus Grabka.Schon heute sei zu beobachten, dass die Vermögendsten besonders starkprivate Altersvorsorge betreiben, dass aber die private Vorsorge amunteren Ende der Einkommens- und Vermögensskala besonders schwachausgeprägt ist. Geringverdiener dürften künftig bei derVermögensbildung also noch stärker zurückfallen als heute.
Problematischsei außerdem, dass Langzeitarbeitslose so gut wie keinAlterssicherungsvermögen aufbauen. „Man muss deshalb davon ausgehen,dass die Vermögensungleichheit auch bei der Alterssicherung zunimmt undwir auf mehr Altersarmut zusteuern“, so das Fazit von Markus Grabka.„Dies gilt besonders für Ostdeutschland, denn hier haben wir ohnehineine geringere Vermögensbildung als im Westen und deutlich mehrLangzeitarbeitslose.“
Große Unterschiede nach beruflicher Stellung: Beamte vorn
Diejetzt vom DIW veröffentlichte Gesamtschau der Vermögenssituationerlaubt auch einen Vergleich nach beruflicher beziehungsweise sozialerStellung. Nicht nur die Struktur der Altersversorgung auf Basisprivater, betrieblicher und gesetzlicher Vorsorgetätigkeitunterscheidet sich stark für Angestellte, Beamte und Selbständige, auchdie Vermögenslage dieser Gruppen gestaltet sich sehr unterschiedlich:Überdurchschnittlich gut schneiden bei einer solchen Gesamtschau Beamteund Pensionäre ab. „Ihnen kommt zugute, dass sie keine eigenen Beiträgefür die Altersvorsorge leisten müssen. Sie unterliegen auch keinemArbeitslosigkeitsrisiko und haben deshalb im Allgemeinenununterbrochene Erwerbsverläufe,“ betont Joachim Frick. Außerdem istdas allgemeine Versorgungsniveau bei Pensionären deutlich höher als beiabhängig Beschäftigten in der GRV.
Unter Berücksichtigung derAlterssicherungsvermögen relativiert sich auch die dominierendeStellung der Selbständigen in der Netto-Geld- undSachvermögenshierarchie. So weisen Pensionäre im Durchschnitt einerweitertes Nettovermögen (inklusive Pensionsanwartschaften) in Höhevon mehr als 500.000 Euro auf und damit mehr als beispielsweiseSelbständige mit einem Betrieb mit bis zu neun Mitarbeitern. Beziehereiner Gesetzlichen Rente erreichen dagegen nicht einmal die Hälftedieses Wertes.
„Angesichts der aktuellen Entwicklungen in derGesetzlichen Rentenversicherung erscheinen die Beitragsfreiheit zurAlterssicherung von Beamten während der Erwerbszeit und dasüberdurchschnittliche Versorgungsniveau im Pensionsalter zumindestdiskussionsbedürftig“, so die Bewertung von Joachim Frick.
Hintergrund 1: Rentenanwartschaft und Pensionsanspruch – echtes oder fiktives Vermögen?
Untersuchungenzur Vermögensverteilung hatten bisher einen zentralen Schwachpunkt: Sieblendeten aufgrund fehlender Daten aus, welche Vermögensansprüchegegenüber Alterssicherungssystemen etwa in Form vonRentenanwartschaften oder Pensionsansprüchen bestehen. Gerade im Fallevon Selbständigen kann dies zu einer anderen Interpretation derErgebnisse führen, denn: Selbständige müssen nicht in die GesetzlicheRentenversicherung einzahlen. Sie betreiben in der Regel selbstVorsorge für das Alter - in Form von Immobilien, privatenVersicherungen oder dem Betriebsvermögen.
Auch wenn also dieneuen SOEP-Daten inklusive des Alterssicherungsvermögens nun einumfassenderes Bild der Vermögensverteilung liefern und gesetzlichRentenversicherte und Beamte damit im Schnitt „vermögender“ werden, soist Vermögen doch nicht gleich Vermögen. Mit anderen Worten: Wasunterscheidet einen Angestellten mit einem Geld- und Sachvermögen von100.000 Euro und einem zusätzlichen Vermögen aus Rentenanwartschaftenin Höhe von 100.000 Euro von einem Selbständigen ohne Rentenansprüche,aber mit einem Geld- und Sachvermögen von 200.000 Euro?
DerUnterschied hat mit dem weitgehend fiktiven Charakter desAlterssicherungsvermögens zu tun. So kann man Alterssicherungsvermögennicht beleihen und kann es sich auch nicht vorzeitig auszahlen lassen.Außerdem hat es keinen festgelegten, privatwirtschaftlich gesichertenWert, weil in der gesetzlichen Rentenversicherung nur Entgeltpunktegesammelt werden und der Rentenwert von der Politik neu festgelegtwerden kann. Das heißt, es gibt durchaus verschiedene Argumente, warumdiese Versorgungsansprüche nur eingeschränkten Vermögenscharakterhaben.
Hintergrund 2: So haben die DIW-Wissenschaftler gerechnet
DieBerechnungen des DIW Berlin stützen sich auf Daten desSozio-oekonomischen Panels (SOEP) von 2007. Das SOEP ist eine am DIWBerlin angesiedelte Wiederholungsbefragung von mehr als 12.000Haushalten zu sozialen und wirtschaftlichen Lebensverhältnissen. DaJahr für Jahr die gleichen Menschen befragt werden, eignen sich dieDaten sehr gut, um gesellschaftliche Trends und Entwicklungen zuverfolgen.
Für die hier veröffentlichte Untersuchung derVermögensverteilung wurden neben dem Geld- und Sachvermögen erstmals inDeutschland auch die individuellen Alterssicherungsvermögenberücksichtigt. Konkret handelt es sich dabei um Anwartschaften an diegesetzliche Rentenversicherung und an die Beamtenversorgung. Ansprüchean berufsständische Versorgungssysteme, an die Alterssicherungskassender Landwirte und an Betriebsrenten konnten nur zum Teil erfasst werden.
Hintergrund 3: So sieht die Vermögensverteilung ohne Alterssicherungsvermögen aus
Betrachtetman ausschließlich das Geld- und Sachvermögen ohne Renten- undPensionsansprüche, gibt es deutlich größere Unterschiede bei derVermögensverteilung. Und die Ungleichheit der Vermögensverteilung inDeutschland ist zwischen 2002 und 2007 weiter gestiegen. Dabei habensich auch die Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland weitervergrößert. Während in Westdeutschland die Nettovermögen seit 2002 umgut elf Prozent anstiegen, sind sie in Ostdeutschland um knapp zehnProzent gesunken. Neben der hohen Arbeitslosenquote ist auch derPreisverfall selbstgenutzter Immobilien in Ostdeutschland für dieseEntwicklung verantwortlich.
Mit Blick auf die künftigeAlterssicherung besorgniserregend ist auch eine weitere Entwicklung: Soist für die mittleren Altersgruppen von 36 bis 65 Jahren, in denen„normalerweise“ eher Vermögen aufgebaut wird, in Ostdeutschland einVermögensrückgang zu konstatieren. Dieser beläuft sich je nachAltersgruppe auf 7 000 bis 14 000 Euro, was einem Verlust von 10 bis 17Prozent entspricht.
Insgesamtverfügten die privaten Haushalte in Deutschland 2007 über einNetto-Geld- und Sachvermögen von gut sechs Billionen Euro.