Zu diesem Ergebnis kommen Cathérine Müller und Carlos Bozzoli vom DIW Berlin. Sie haben Umfragen ausgewertet, in denen Bürger unmittelbar vor und nach den vereitelten Terroranschlägen von London vom Juli 2005 befragt wurden. „Direkt nach Anschlägen gibt es eine fundamentale Verschiebung in der Bereitschaft, Bürger- und Freiheitsrechte im Gegenzug zu einem schärferen Anti-Terror-Kampf einzuschränken,“ fassen Cathérine Müller und Carlos Bozzoli ihre Studie zusammen. „Unter Normalbedingungen unterschieden sich Menschen in dieser Frage sehr grundlegend, beispielsweise je nachdem, ob sie politisch eher als konservativ einzustufen sind oder nicht: Nach einem Anschlag verschiebt sich das gesamte Spektrum vorübergehend aber und die Liberalen stehen plötzlich dort, wo vorher die Konservativen standen.“
Konkret ablesbar ist das an der Bereitschaft, der Einschränkung bestimmter Freiheitsrechte zuzustimmen, etwa der Einschränkung der Meinungsfreiheit oder der Überwachung mutmaßlicher Terroristen. Besonders deutlich ist dies etwa bei der Zustimmung zur vorläufigen Inhaftierung Terrorverdächtiger ohne Haftbefehl: Auf einer Zustimmungsskala von 1 bis 4 (1= stimme gar nicht zu, 4= stimme völlig zu), klettert nach einem Anschlag der Wert von durchschnittlich 3 auf 3,3. Deutlich mehr Zustimmung gibt es nach einem Terroranschlag auch dafür, Terrorverdächtige zu foltern, um auf diese Weise an Informationen zu gelangen.
Politische Brisanz gewinnen die Ergebnisse der DIW-Untersuchung vor dem Hintergrund der Medien- und Politikspirale, die sich nach jedem Anschlag oder vereitelten Anschlag neu zu drehen beginnt – zumindest, wenn er sich in Westeuropa oder den USA ereignet hat. Für Befürworter möglichst harter Anti-Terror-Maßnahmen käme es demzufolge darauf an, beschlussfähige Vorschläge bereits in der Schublade zu haben und die breite öffentliche Zustimmung dafür so schnell wie möglich in politische Beschlüsse umzusetzen.
„Die Terroristen kommen ans Ziel“
Die DIW-Wissenschaftler verweisen aber noch auf einen anderen Aspekt ihrer Studie. „Das Hauptziel von Terrorismus ist es letztlich, Angst und Unsicherheit zu verbreiten, nicht nur bei den direkten Opfern – man will die Gesellschaft als ganzes treffen,“ so das Fazit der DIW-Experten Bozzoli und Müller. Genau dies gelänge den Terroristen auch, wenn sie eine Spirale der Angst, immer schärferer Anti-Terror-Maßnahmen und stärkerer Beschränkungen der Freiheitsrechte in Gang zu setzten. „Die Gesellschaft muss sich fragen, ob sie sich darauf einlassen will – oder ob sie Freiheitsrechte verteidigen will, die sie über Jahrhunderte mühsam erkämpft hat,“ sagen Carlos Bozzoli und Cathérine Müller. „Unsere Untersuchung zeigt: Gerade nach einem Anschlag – wenn man dem Terrorismus direkt gegenübersteht – gilt es, der Verführung immer schärferer Repression zu widerstehen.“
Für ihre Untersuchung stützen sich die DIW-Forscher auf eine Umfrage unter 1.052 Briten, die zwischen Juni und November 2005 befragt wurden, also unmittelbar vor und nach den Anschlägen. Im Einzelnen ging es um die Bewertung freiheitsbeschränkender Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus wie etwa die Einschränkung der Meinungsfreiheit die Überwachung mutmaßlicher Terroristen oder die Folter von Terrorverdächtigen.
Hintergrund: Warum sich Ökonomen mit Terrorismus beschäftigen
Terrorismus und Anti-Terror-Maßnahmen – in der Wissenschaft gelten diese Themen als Domäne von Sicherheitsexperten, Konfliktforschern und Politologen. Dieser traditionelle Ansatz wird zunehmend um eine ökonomische Perspektive ergänzt. So untersuchen Ökonomen die Kosten und die Finanzierung des Terrorismus und sie können Kosten-Nutzen-Analysen zu Anti-Terror-Maßnahmen erstellen. Besonders wichtig ist die Frage nach den Ursachen von Terrorismus: Wie hängen Armut und Unterentwicklung damit zusammen? Und wer sind die ökonomischen Profiteure einer Spirale des Terrors?