Es gibt Filmzitate, die einemimmer wieder von Zeit zu Zeit ins Gedächtnis schießen. In dem französischenMeisterwerk „Hass – La Haine“ von Regisseur Mathieu Kassovitz kommt einen solches Zitat vor, an das ich dieserTage häufig denken muss. Es lautet: „Dies ist dieGeschichte einer Gesellschaft, die fällt. Während sie fällt, sagt sie, um sichzu beruhigen, immer wieder: Bis hierher lief’s noch ganz gut, bis hierherlief’s noch ganz gut, bis hierher lief’s noch ganz gut... – Aber wichtig istnicht der Fall, sondern die Landung!"
Die letzte Gelegenheit, bei derich an dieses Zitat denken musste, fand statt, als ich kürzlich eine Analysevon J. S. Kim las: “The Second Phase ofthe Global Economic Crisis Is at Our Doorstep.“[1] HerrKim, der der Gründer und Vorsitzender von SmartKnowledgeU ist (http://smartknowledgeu.com/), schreibtdort, dass wir uns im Grunde global im Zustand des Fallens befinden, währendwir uns zuflüstern: „Bis hierher lief’s noch ganz gut...“
Schaut man sich beispielsweisean, wie die New Yorker Börse zuletzt dastand, könnte man oberflächlich betrachtetdurchaus den Eindruck gewonnen haben, die Dinge seien stabil und nicht imfreien Fall begriffen. Die Betonung liegt auf der oberflächlichen Betrachtung.Darunter lauert der Abgrund, wie Herr Kim festhält – und nichts habe seit 2008stattgefunden, ihn zu überbrücken:
“The structural problem that existed in 2008that burst the top level of the world’s major stock markets still remains out ofview from the majority of the world’s citizens. However, cracks are multiplyingwith increasing frequency out of the view of the public-at-large… Though mostof the public cannot see these fractures, they are clear to anyone willing todive below the surface.
I’ve listed evidence of just a fewof the many many below-surface fractures here:
(1) Almost 100% of the gains in the US stock marketsince September 14th have been manufactured in after-hours trading withenormous purchase of market futures. Strong circumstantial evidence points tothis large buyer’s identity as the Plunge Protection Team.
(2) The secret, out of the public eye, purchases of US Treasury Bonds by the US Federal Reserve to prevent the USTreasury Bond market from defaulting.
(3) Abnormally low daily trading volume in all major world markets since thisfall that indicates a dearth of retail buyers in the world stock markets and apreponderance of computerized trading programs trading against each other torig stability in the markets.
(4) A monetary system in which NOTHING prevents Central Bankers from printingunlimited monetary supply out of thin air.
When … the second phase of thisglobal economic crisis starts, it will be far worse than anything weexperienced in 2008. Among the most egregious acts committed by bankers incollusion with world governments in response to the second phase of this globaleconomic crisis will be direct money grabs through a slew of additional taxmeasures. This means creating hoaxes like the carbon emission based globalwarming theories to tax the people if necessary. This means new taxes on minerslike the proposed flat 40% tax on mining profits in Australia. There can only be onething that we can be sure of and it is the following – governments and bankerswould collude to rob the wealth of its citizens through increased taxes and newpunitive legislation when we enter the inevitable second phase of this monetarycrisis.
When the second phase of this globaleconomic crisis hits, and it will, we’ll hear all the same familiar excuses weheard back in 2008 from our favorite financial industry CEOs, our favoriteHarvard and Princeton educated, Keynesian economists, and our favoritepoliticians – ‘Nobody could have predicted that we would suffer such a significantrelapse. Nobody.’”[2]
Nimmt man Herrn Kim ernst, dannkönnte man den bildhaften Vergleich ziehen, als säße man in einem Auto – esbietet sich, des Namens wegen, ein Volkswagen an –, der sich mit viel zu hoherGeschwindigkeit einer Kurve nähert. Es besteht eine zeitlang die Möglichkeit,abzubremsen. Irgendwann aber ist der Punkt erreicht, wo es egal wird, ob manbremst oder nicht: man wird ganz einfach, wenn die Kurve dann da ist, ob derFliehkräfte aus derselbigen getragen und bricht durchs Geländer.
Die vier Punkte, die Herr Kimauflistet, sind dazu da, den Zeitpunkt des rechtzeitigen Bremsens zuverhindern, so man sie nicht zur Kenntnis nimmt. Unbewusst und kollektiv der Katastropheentgegen, sozusagen – dazu unangeschnallt und ohne Airbag.
Es ist jedenfalls schon einbeachtlicher Vorgang, dass der merkwürdige Hybrid, der „weder ein Arm derRegierung noch privatwirtschaftlich organisiert“ ist, sondern eher „ein vonBundesgesetzen geschütztes Kartell“ darstellt[3]- gemeint ist die amerikanische Zentralbank Federal Reserve -, dass dieserHybrid im Jahre 2009 schätzungsweise 80 Prozent aller Staatsanleihen der USAaufgekauft hat.[4] Zumeinen hat’s das bisher noch nie gegeben, und zum anderen lässt es nicht daraufschließen, dass Länder wie China, Japan und Saudi Arabien weiterhin zum Kaufbereit stehen.
Gleichwohlspiegelt sich der Ernst der Lage in den Kursen am New Yorker Aktienmarkt nichtwider. Da ist das Plunge Protection Team (PPT) vor, jene Verfilzung ausZentralbank, Staat und eindeutig privaten Großbanken, die die wichtigenHandelswerte künstlich hochhalten, um den Dow Jones blendend dastehen zu lassen.Die Handlungsweise des PPT, von der Herr Kim schreibt, nämlich “after-hours trading with enormous purchaseof market futures“, lässt sichauch gut auf deutsch ausdrücken. Ziehen wir dazu ein Interview von MMNews mitFolker Hellmeyer, dem Chef-Analysten der Bremer Landesbank, heran. Dort heißtes:
„Gesetzt, ich habe das Arbeitsschema des PPTzumindest ansatzweise verstanden, läuft es dann auf folgendes hinaus:
- dem Team stehen enorm große Geldbeträge zur Verfügung, mit denen es enorm große Käufe von Aktienindex-Futures tätigen kann, um so die Kurse nach oben zu treiben, wenn diese unter Druck geraten?
- von dem positiven Sog werden weitere Marktteilnehmer, die nicht wissen, was gespielt wird, zu Investitionen angeregt?
- die Käufe laufen vor allem über die großen Investmentbanken?
Folker Hellmeyer: Sie haben ins Schwarze getroffen. Üppige Liquidität mit Treasury und Fed am Tisch ist der Schlüssel. Derivate wirken mit höherer Durchschlagskraft und sind deshalb das ausgewählte Medium und es ist die ,Bankenaristokratie’, die das Spiel betreiben darf und sich dann für die ‚hart erarbeiteten’ Erfolge entsprechende Bonifikationen zugesteht.“[5]
Im selben Interview äußerte Folker Hellmeyer zwar die Ansicht: „Die Tatsache, dass die Existenz und das Procedere des ‚PPT’ bekannt sind, nimmt dieser Veranstaltung Teile ihres Einflusses“ – dem Anscheine nach versucht das PPT jedoch so lange weiterzumachen, bis selbst das massivste Intervenieren nichts mehr retten kann. Das scheint der Logik zu folgen, die ein anderes Zitat aus „Hass“ behandelt: „Es ist wichtig wieder loszulassen! Es ist schwierig rechtzeitig aufzuhören! Man darf nicht nervös werden! Man muss sich beruhigen können! Das ist das schwierigste!"
Nicht umsonst beginnt Herr Kim seine Analyse mit dieser Feststellung von John Maynard Keynes:
“A fraudulent monetary system that engages all economic forces on the side of destruction can create an illusion of wealth and economic health for irrationally long periods of time but eventually will implode and result in the great destruction of the economic security of a nation.”[6]
Nun, um sicher zu gehen, dass Herr Kim die Dinge ins rechte Licht rückt, so es den Aktienhandel und das PPT betrifft, habe ich mich um zwei Expertenmeinungen bemüht. Es gibt zwei kurze und eine lange.
Die erste kurze stammt von Catherine Austin Fitts, Präsidentin der Solari, Inc. und Herausgeberin des Solari Report (www.solari.com). Frau Austin Fitts, die sich auf der Wall Street seit ihrer Zeit als Vorstandsmitglied von Dillon Read bestens auskennt, macht’s knapp und bündig:
“More and more observers that I trust think that intervention are holding prices up.”
Die zweite kurze Stellungnahme stammt von Egon von Greyerz, Gründer der Matterhorn Asset Management AG in Zürich:
“I have observed the same phenomenon and am convinced that there is intervention and manipulation. The banks (owners of the Fed) are in a wonderful position to intervene in the markets for their own benefit.”
Die lange Einschätzung kommt vom kanadischen Investment Manager Marshall Auerback, der u. a. für RAB Capital Plc. tätig ist. Sie fällt so aus:
“I certainly agree that the market has been subject to some very odd trading activity and that there is a lot of circumstantial evidence to suggest official manipulation.
But do I think it can be sustained? No.“
Als Gründe nannte Auerback am Mittwoch, den 27. Januar 2010:
“After today, the S&P chart looks ugly. It has looked ugly before and then picked itself up and rose unrelentingly. But I see a triple threat.”
Threat 1
In reality Q4 economic growth was probably mostly inventory, real final sales were probably “punk”, and the underlying Q4 growth rate was probably much less than will be reported. With fiscal stimulus waning and the inventory “kicker” largely spent the U.S. economy could disappoint sooner rather than later.
I thought economic disappointment sooner rather than later would not be recognized until early February. For this reason I did not think the stock market would be rattled by an economic disappointment until next month. Massachusetts changes that.
Threat 2
The credit expansion in China in the first part of January was at twice the rate of the mega credit expansion of last year. This was a shock to the Chinese authorities. They recognized that their credit expansion and asset markets were out of control. Some Chinese authorities are talking about a cessation of all lending in order to offset the out of control credit expansion with which the year began.
In wrestling with an out of control situation, the Chinese authorities may initiate a fitful quantity credit rationing sufficient to burst the echo bubble in Chinese equities and perhaps even undo the mega bubble in Chinese real estate.
A surprise crash in Chinese equities and maybe more could pull down levitating risk assets around the globe.
Threat 3
The democratic shoo-in for Ted Kennedy’s seat in Massachusetts lost in Tuesday’s election. The polls show Coakley lost, not because of healthcare, but because of a broad array of voter grievances.
The next day President Obama came out with a financial market program that was a rejection of Geithner’s pro Wall Street anti Glass-Steagall policies and was an endorsement of Volcker’s pro Glass-Steagall policies. Investors saw this as a shift against financial markets and business interests.
Today, it has been all about whether Ben Bernanke will be confirmed as Fed Chairman. The majority of voters view Bernanke as a friend of Wall Street rather than Main Street; some legislators now feel they cannot afford a vote for Bernanke because it puts them at risk with an angered constituency.
Most investors believe Bernanke will be confirmed, Geithner will stay in power, and the political pendulum has not swung that far against Wall Street. It is my judgment that over time there will be a realization that, with 17.3% U-6 unemployment and fallen real wages, politics will keep swinging in the direction of populism as the midterm elections approach.
Above are three threats to the stock market. Maybe I am exaggerating the degree to which they are threats. It may take time for these threats to be recognized, if they are for real. Nonetheless, taken together they could be a very toxic combination for risk assets, including the U.S. stock market.
My guess is investors so far under appreciate these threats. They are likely to come more and more in focus in the weeks and months to come.
I have argued that the U.S. stock market rally last year was the most outsized stock market rally off a recession low relative to fundamentals in U.S. economic history. The size and speed of the rally was due in part to echo bubble dynamics augmented by mega moral hazard. Echo bubble dynamics are inherently prone to crashes. Mega moral hazard has no historical precedent. But if Bernanke and Geithner fall so may mega moral hazard. An outsized market rally relative to the fundamentals should be especially vulnerable if its echo bubble and mega moral hazard underpinnings come apart.”
Haken wir hier, nachdem die drei unmittelbaren Gefahren aufgezeigt worden sind, kurz ein und fragen uns, ob ein Crash in China so unwahrscheinlich ist. China macht derzeitig sehr viel richtig, wenn es um seine Energiesicherheit geht (MMNews berichtete[7]). Wie oben von Auerback vermerkt, hat sich aber auf dem chinesischen Immobilienmarkt eine gewaltige Blase gebildet. Sie ist dabei, denjenigen Weg zu gehen, den bisher noch alle Blasen gegangen sind: sie platzt – mit einem sehr lauten Knall, wie es dem Größenumfang der Blase entspricht. Laut James Chanos, Präsident von Kynikos Associates, handelt es sich um eine Blase „ohnegleichen“. Dem US-amerikanischen Wirtschaftssender CNBC sagte Chanos:
"We are not calling for an impending crash of China or of the Shanghai stock market, but in particular the bubble that has been blown up in real estate both commercial and residential as well as other forms of fixed asset investment in China is unprecedented."[8]
Langsam wird es kritisch. Wie sonst soll man die Nachricht verstehen, dass zahlreiche Banken in China keine Kredite mehr gewähren?[9] Des Weiteren ist der chinesische Staatsrat dazu übergegangen, sich die “lending figures on a daily basis“ anzuschauen, “instead of the usual monthly basis.“[10] Die unmittelbaren Folgen:
“This sudden suspension in lending has caught importers, along with many other companies, by surprise and could cause turbulence in China's import orders. Letters of credit (LoC) suddenly became unavailable, despite previous agreements. We believe that this will inevitably lead to delays or cancellations in China's imports. Import orders for commodities and machineries could be affected most.”[11]
Das kurz zu China.
Zurück zu den USA und zur Einschätzung von Marshall Auerback, was die Wahlergebnis in Massachusetts bedeutet:
“Here is the new reality. Obama went along with Geithner and Bernanke in arguing that though the banks were cause of the crisis they had to be part of the solution, and with the Wall Street ‘we are holding you hostage’ game: i.e., if you don't support us the markets will crash and you will be dead. Even though we have had a huge stock market rally and a supposed economic recovery the public feels worse. They have lost an additional three million jobs. Their hours and wages have been cut. They don't own stocks (i.e. they are not part of the rentier class), so that doesn’t make them feel any better.
Maybe there has been a bounce in house prices but they don’t see it, especially with foreclosures still high and housing looking like it is taking a turn for the worse again. They are victims of loan-sharking activities on the part of the banks, who greedily raised credit card rates pre-emptively to avoid the impact of the new legislation restricting rate rises on credit cards. The public is just catching on to the fact that their house prices are really down by a third and unlikely to recover any time soon, and they can no longer deploy the trick of using the house as a quasi-ATM via refinancing activity. They are tapped out. The economic data exaggerates the bounce and the public knows that. So they have not been mollified.
This all of a sudden is coming home after the Massachusetts thunderclap. Watch now: Barney Frank, Chris Dodd, Geithner and Summers, along with their allies on Wall Street will play the hostage game again. If you are not nice to us we will throw a tantrum and then stock prices will fall and you will be even worse off. Except this time that won't sell because the public doesn't own stocks (they have been conspicuously absent from this rally; it's been a game dominated by the institutional investors). What's more, the public couldn't give a damn and they don't think that being nice to Wall Street helps them a fig. It's hard to argue otherwise, given what has happened over the past year.
If Ted Kennedy's seat wasn't safe, it must be dawning on the Senators and members of the House that they can all croak. Hence, the political dynamics are shifting and it is going to be considerably more difficult from a political standpoint for the Obama Administration, the regulatory bodies, the Fed, Congress, etc. to act in a way that is going to go against the attitudes of the desperate body politic. Consequently, I think the hostage game isn’t going to work this time.
The President got suckered badly. Martin Wolf of the FT presciently commented that his Presidency might be doomed after Obama supported the bank bailout policies of his predecessor.[12] He's probably right if he doesn't change course. Perhaps Obama recognises this now. He has done the wrong things on the economic front over the last year and he has woken up to a different reality than Geithner, Summers and Bernanke fed him all last year. How he deals with it will determine the course of his Presidency. He'll either make a mid-course correction or crash and burn. That's my take, for what it's worth.“
Quellen:
[1] J. S. Kim: “ The Second Phase of the Global Economic Crisis Is at Our Doorstep”, veröffentlicht auf Seeking Alpha am 25. Januar 2010 unter:
[2] ebd.
[3] G. Edward Griffin: „Die Kreatur von Jekyll Island. Die US-Notenbank Federal Reserve”, Kopp-Verlag, Rottenburg, 2006, Seite 630.
[4] vgl. “Ponzi Scheme: The Federal Reserve Bought Approximately 80 Percent Of U.S. Treasury Securities Issued In 2009”, veröffentlicht auf The Economic Collapse am 8. Januar 2010 unter:
[5] Lars Schall: „Plunge Protection Team in Aktion“, Interview mit Folker Hellmeyer, veröffentlicht auf MMNews am 10. August 2010 unter:
[6] siehe Endnote 1.
[7] vgl. Lars Schall: „Russland macht ernst (...und China ebenso)“, veröffentlicht auf MMNews am 7. Januar 2010 unter:
http://www.mmnews.de/index.php/201001074609/MM-News/Russland.html,
sowie Lars Schall: „China und die Kunst des Wirtschaftskrieges“, veröffentlicht auf MMNews am 25. Januar 2010 unter:
[8] Antonia Oprita: “Jim Chanos: China’s Real Estate Bubble Is Unprecedented“, veröffentlicht auf CNBC am 25. Januar 2010 unter: http://www.cnbc.com/id/35056774/
[9] vgl. Joe Weisenthal : “Inside China's Tightening: Banks Literally Tearing Up Letters Of Credit, Importers In Disarray, Orders Cancelled”, veröffentlicht auf Business Insider am 26. Januar 2010 unter: http://www.businessinsider.com/
[10] ebd.
[11] ebd.
[12] vgl. Martin Wolf: “Has Obama already failed?”, veröffentlicht auf Financial Times Alphaville am 11. Februar 2009 unter:http://ftalphaville.ft.com/blog