Dieaktuelle Debatte über die Defizitsituationen insbesondere in der südlichenEurozone nimmt Formen an, die in wesentlichen Teilen der Sachlichkeitentbehren. Das gilt insbesondere für die Diskussion über Portugal, Spanien,Italien und Irland. Aber auch das Thema Griechenland wird in einer Formaufbereitet, die sachliche Kompetenz zu größten Teilen vermissen läßt.
Zunächstgilt es, zu hinterfragen, ob die Spitze der Rezession auf Ebene derIndustrieländer hinter uns liegt. Die Antwort lautet umfänglich ja. Die globaleWirtschaft soll laut IWF um 3,9% wachsen.
Die hohen Defizitzunahmen in derPhase 2008/2009 weisen bezüglich Griechenlands, Italiens und Portugals zu großenTeilen einen zyklischen Hintergrund auf. Mit der verbesserten Großwetterlageder Weltkonjunktur steht diesbezüglich Entspannungspotential auf der Agenda.
Die Debatte, die heute ausgehend vonNew York und London (Ähnlichkeiten zu der EWS-Krise 1992 sind natürlich reinzufällig) geführt wird, als auch die aktuelle Bewertung kommen circa 6-9 Monatezu spät.
Spanien undIrland haben stärkere strukturelle Probleme. In Spanien ist es dasUngleichgewicht eines zu großen Bau- und Immobilensektors. Die notwendigenAnpassungen werden hier andauern und belastend auf die Budgetsituation wirken.Ausgehend von 51,3% Verschuldung im Verhältnis zum BIP von nachhaltigenFinanzierungsproblemen zu sprechen, ist nicht nur ambitioniert, sondern es istabsurd!
IrlandsProbleme lagen und liegen in zu hohem „Leverage“ der privaten Haushalte alsauch der Banken. Das Thema ist adressiert und die virulente Phase dieserVerwerfung liegt hinter uns. Das Verschuldungsniveau von aktuell 61,2% bietetunverändert ausreichende Gestaltungsspielräume für Irlands Politik. Die getroffenenMaßnahmen sind in Irland massiv und implizieren sukzessive Heilung derstrukturellen Probleme.
Defizitquoten im Verhältnis zum BIP:
Länder | 2004 | 2005 | 2006 | 2007 | 2008 | 2009 (3.Q) |
Griechenland | 101,6% | 102,8% | 100,2% | 98,4% | 102,3% | 118,5% |
Portugal | 59,7% | 65,2% | 66,5% | 67,3% | 71,7% | 80,5% |
Spanien | 48,1% | 44,9% | 41,2% | 37,3% | 40,7% | 51,3% |
Italien | 106,5% | 108,0% | 108,5% | 106,0% | 108,9% | 122,6% |
Irland | 30,1% | 28,2% | 26,0% | 25,5% | 43,5% | 61,2% |
Deutschland | 66,4% | 66,6% | 67,9% | 66,2% | 66,9% | 73,1% |
USA | 64,0 | 64,6% | 64,8% | 65,6% | 74,1% | 83,6% |
Quellen: Eurostat, BEA,US-Treasury, eigene Berechnungen
Der Fokusdes Finanzmarkts liegt auf dem Budgetdefizit Griechenlands. Die letztenverfügbaren Daten von Eurostat ergeben ein Budgetdefizit per 3. Quartal 2009von 118,5%. Hier besteht fraglos Handlungsbedarf.
In denDiskussionen am Finanzmarkt wird mit dem Begriff Staatsbankrott gespielt. Im jetzigenUmfeld ist das mehr als unangebracht. Der beigefügte Chart von Flossbach &Storch belegt, daß sich Griechenland aktuell in eine Gefahrenzone bezüglich derBudgetlage bewegt und das Risiken tendenziell zunehmen, sofern nichtgegengesteuert wird.
Es handelt sichaber nicht um ein imminent bevorstehenden Staatsbankrott. Erst oberhalb derMarke von 40% Zinslast in Prozent der Steuereinnahmen (Erfahrungswerte) istdieses Risiko realistisch. Davon ist man noch klar entfernt.
Gesterngab es Klartext von der EU-Kommission für unsere Freunde in Griechenland, demLand der Mathematik, dem Herkunftsland des Platon, Pythagoras, des Thales, desArchimedes und des Euklid. Offensichtlich wurde dieses „urgriechische“ Wissen undnoch mehr die Umsetzung in sinnvolle und realitätsnahe Statistik sträflichignoriert.
· DieEU-Kommission unterstützt das griechische Sparprogramm
· Griechenlandhat bis Ende 2012 Zeit, das Haushaltsdefizit auf unter 3% zu reduzieren.
· Griechenlandmuß den ersten Bericht über erfolgte Maßnahmen und Erfolge bis Mitte März 2010vorlegen. Latente kurzfristige Kontrollen stehen auf der Agenda.
· VonGriechenland werden weitere Konsolidierungsschritte erwartet.
· Personalkostensind im öffentlichen Dienst zu senken.
· Griechenlandmuß eine Sicherheitsreserve von 10% der aktuellen Ausgaben bilden und
· Griechenlandmuß sich wegen fehlerhafter Statistiken vor Gericht verantworten.
DieserMaßnahmenkatalog ist in dieser Form für die EU-Kommission einmalig. Das istkein „Mundspitzen“ nach alter Brüsseler Art. Nein, hier handelt es sich um einvernehmbares „Pfeifen“, das einer partiellen Machtübernahme durch dieEU-Kommission nahekommt, aber mindestens die kürzeste Leine darstellt, die esin der EU je gab. Das ist beeindruckend!
Bildlichgesprochen sitzt Griechenland auf der „EU-Strafbank“ Griechenland hat mitseiner Pinocchio-Politik lange daran gearbeitet, als erstes Land diesen„Posten“ einzunehmen. „Mission accomplished“ – Handeln führt zu Konsequenzen!„Chapeau!“
Das Thema Defizitsituation in Griechenland ist imGegensatz zu den USA adressiert. Fortschritte stehen in Griechenland bezüglichfiskalischer Gesundung zukünftig ohne „wenn und aber“ auf der Agenda. Die EUsendet damit auch Signale an Portugal, Irland, Spanien und Italien!
NebenGriechenland gibt es weitere Defizitsünder. Die USA sind hier prominentesBeispiel. Die Finanzwelt ignoriert die Defizitpolitik der USA(Gesamtverschuldung circa 83,6% des BIP), einer Nation mit mehr als 300 Mio.Einwohnern gegenüber 10 Mio. Einwohnern Griechenlands.
- Die Fortsetzung der aggressiven US-Defizitpolitik wird per laufendem Fiskaljahr bei mehr als 10% des BIP oder 1.561 Mrd. USD (Gesamtverschuldung Griechenlands 355 Mrd. USD) und 1.300 Mrd. USD im Fiskaljahr 2011 laut aktueller Planung auslaufen.
- Die Defizitpolitik wird sich laut aktueller Planung nach einer zwischenzeitlichen Abnahme auf circa 700 Mrd. USD auf 1.000 Mrd. USD per 2020 wieder erhöhen.
- Die Finanzwelt ignoriert darüber hinaus die Finanzprobleme Kaliforniens, New Yorks oder Illinois, die am Rande eines realen Bankrotts stehen.
Im Gegensatz zu Griechenland wirddas US-Defizitproblem nicht adressiert. Es werden zwar Maßnahmen der Stabilisierunggeplant, sie sind aber nicht ansatzweise ausreichend, eine Trendwendeeinzuläuten.
Das Maß asymmetrischer Wahrnehmungam Finanzmarkt bezüglich nachhaltiger Risiken in Defizitländern ist Atem beraubend!
In seinem Buch „Endlich Klartext! Ein Blick hinter die Kulissen unseresFinanzsystems“ beschreibt Folker Hellmeyer, wie in den USA Statistiken und Märkte "gemacht" werden. GeschönteFinanzdaten sind da nur ein Beispiel. Genau diese (nicht ganzrichtigen) Daten und Fakten zu entlarven, hat sich Hellmeyer zurAufgabe gemacht.
--->Endlich Klartext! Ein Blick hinter die Kulissen unseres Finanzsystems