Inkompetenz – ein harter aber zutreffender Vorwurf
James K. Galbraith – nicht zu verwechseln mit seinem weltberühmtenVater, dem Ökonomen John Kenneth Galbraith – ist ein angesehenerÖkonom. Er lehrt an der University of Texas in Austin und gilt alseinflussreicher Keynesianer, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Schonfrüh warnte er vor der Gefahr, die intransparente, gebündelteKreditverbriefungen für die Finanzwelt darstellen. Diese Produktegelten heute als wichtigster Auslöser der Finanz- und Wirtschaftskrise.Galbraith ist eine Art Anti-Henkel und befindet sich in seiner Zunft inbester Gesellschaft – auch die Ökonomie-Nobelpreisträger Krugman,Akerlof und Stiglitz vertreten diesbezüglich deckungsgleichePositionen. Hans Olaf Henkels Welt ist einfacher. Für ihn sind dieMärkte eine heilige Kuh und die Finanzkrise sei für niemandenvorhersehbar, so der Lobbyist. Als James K. Galbraith Ende Januar ineinem Interviewmit den kruden Thesen Henkels konfrontiert wurde, hätte er sichwahrscheinlich nicht träumen lassen, dass seine Antwort zu einemPolitikum werden würde:
„Nun ja, Herr Henkel sollte vielleicht ein wenig mehr lesen. Er sollte sein Verständnis darüber, was eigentlich eine ökonomische Analyse ausmacht, schärfen. […] Sein Standpunkt ist grotesk, eine vollkommen unhaltbare Position, die eine fundamentale Engstirnigkeit und – wenn ich das so offen sagen darf – Inkompetenz offenbart, was für jedermann ersichtlich ist.
James K. Galbraith in einem Interview mit Lars Schall
Si tacuisses, philosophus mansisses
DieserRundumschlag muss das Ego des stets arrogant wirkenden Henkel zutiefstverletzt haben. Obgleich Hans Olaf Henkel natürlich wissen muss, dassGalbraiths Kommentar hart aber überaus zutreffend ist, konnte er derleiFundamentalkritik an seiner Person nicht auf sich sitzen lassen und holzte zurück.Wie schon zuvor in den deutschen Medien machte Henkel in seiner ReplikCarters „Housing and Community Delevopement Act“ für die Kriseverantwortlich. Henkel ließ es sich noch nicht einmal nehmen, diesenabstrusen Vorwurf durch die Konkretisierung auf einen bestimmten Absatzdes kritisierten Gesetzes zu präziseren – nicht die Finanzmärkte,sondern das Verbot des „Redlinings“ hätten zur Krise geführt. Unter demBegriff „Redlining“ versteht man eine Praxis, bei der Banken denStadtplan in „gute“ und „schlechte“ Zonen aufteilen. Die Bewohner der„schlechten“ Zonen – meist Afroamerikaner – haben keine Chance,bestimmte Dienstleistungen der Banken in Anspruch zu nehmen. Das Verbotdes „Redlinings“ gilt in den USA als wichtiges Gesetz, mit dem gegenrassistische Praktiken der Geschäftswelt vorgegangen wurde. Da mag esnicht verwundern, dass Henkels grobschlächtiges Geholze jenseits desAtlantiks die Alarmglocken schrillen ließ.
Vielleicht fehlt es dem ansonsten so polyglotten Hans Olaf Henkeleinfach nur an interkultureller Kompetenz. Es ist bekannt, dass die USAsehr sensibel mit dem Themen „Rassismus“ und „Diskriminierung“ umgehenund vor allem in akademischen Kreisen eine ausgesprochene Allergiegegen derlei Ansichten besteht. Selbst George W. Bush, der ansonstenkein Fettnäpfchen ausließ, war peinlich darauf bedacht, bloß nicht alsRassist oder Diskriminierungsbefürworter dazustehen.
Lieber Herr Sarrazin
Daheim provoziert Hans Olaf Henkel gerne und spielt sich alsunterdrückter Bote einer nicht zu unterdrückenden Wahrheit auf. Henkelist ein Anwalt des Marktfundamentalismus in seiner reinen Form. Er hältnicht viel von Marktregulierungen, noch weniger vom Sozialstaat undUmverteilung von oben nach unten ist für ihn eine Todessünde. Nicht dieMärkte oder gar das System, sondern die Opfer des Systems stehen fürihn nicht nur in der Verantwortung, sondern sogar in der Schuld. Wannimmer eine Person des öffentlichen Interesses gegen die Unterschichtoder Migranten hetzt, findet dies bei Hans Olaf Henkel ausdrücklichenBeifall. So gratulierte er auch dem unsäglichen Hetzer Thilo Sarrazinin einem offenen Briefin der WELT – „ohne jedes Wenn und Aber“, wie Henkel es formuliert.Henkels Obsession, hüben wie drüben die Untersten der Gesellschaft füralles und jedes verantwortlich zu machen, blieb auch in den USA nichtohne Widerspruch.
William K. Black ist ein angesehener Professor derRechtswissenschaften und Publizist. Der ehemalige Bankenregulierer giltals Koryphäe auf dem Gebiet der „Weißkragenkriminalität“ und hatmehrere Werke veröffentlicht, in denen er den Verantwortlichen für die„Ramschkredite“ an soziale Randschichten, die zur Subprime-Krisebeigetragen haben, nachspürt. Für den Experten sind HenkelsPauschalbeschuldigungen schlichtweg dumm und indiskutabel.Wahrscheinlich hätte er sie jedoch links liegen lassen, wenn derUrheber dieser latent rassistischen Äußerungen nicht gleichzeitigAngestellter der Bank of America wäre. Der ehemalige Chef-LobbyistHenkel ist seit 2006 „Chief Advisor“ des Bankgiganten – ob die Bank ofAmerica wirklich an Henkels Rat interessiert ist, kann jedoch getrostbezweifelt werden, es ist vielmehr das Netzwerk des umtriebigenLobbyisten, das für Banken sehr wertvoll ist. William K. Black hattejedoch – anders als sein Kollege Galbraith – im fernen Kansas City auchetwas von der Hetzkampagne Sarrazins mitbekommen und ihm stieß vorallem Henkels Solidarisierung mit dem Sozialdarwinisten „ohne Wenn undAber“ bitter auf. William K. Black schrieb einen offenen Brief an den Vorstand der Bank of America, in dem er Henkels sofortige Entlassung fordert:
Herr Henkel ist nicht einfach ein engstirniger Fanatiker. Seine inhaltliche politische Beratung – Deregulierung und weit höhere Vergütung von Führungskräften – macht ihn zu einem der wichtigsten deutschen Architekten der Krise. Er gab der Bank of America entsetzliche Ratschläge. Aber Herr Henkels traurigster Charakterzug ist die Heuchelei. Er ist ein Serienheuchler, weil sein Fanatismus, die Dinge angreift, die er vorgibt zu vertreten. […] Herr Henkel schmeichelt den Mächtigen durch das Evangelium des Sozialdarwinismus. Herr Henkel behauptet, der Meister der “Unternehmer” zu sein – aber er behandelt “Obst und Gemüse” Unternehmer mit Verachtung. Herr Henkel verurteilt Verleumdungskampagnen gegen die “Marktwirtschaft”, aber er beginnt und unterstützt die widerwärtigsten Verleumdungskampagnen, die ungeheure Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Weltgeschichte hervorgebracht haben.
William K. Black
Aufruhr in den USA – Alltag in Deutschland
Blacks offener Brief zog seine Kreise und wurde sowohl im Blog des bekannten Kapitalismuskritikers Michael Moore sowie im größten Blog der Welt, der Huffington Post,in voller Länge veröffentlicht. Rührselig naiv muten da dieamerikanischen Kommentatoren an, denen die Tristesse der öffentlichenDiskussion in Deutschland offensichtlich nicht bekannt ist. Für sie istHenkel wahlweise ein Rassist, ein Neocon, ein Wiedergänger derdeutschen Industriellen, die Hitler unterstützten oder einfach nur dasStereotyp des hässlichen Deutschen.
In einer besseren Welt würde man die Sarrazins und Henkels auchhierzulande mit derlei Attributen versehen. In der modernen BerlinerRepublik gilt Henkel jedoch als bürgerliche Mitte, als Mainstream, jaals konsensfähiger Moderator. Manchmal ist es schon hilfreich, unserenAlltag von der Position eines außenstehenden Beobachters aus zubetrachten, um zu erkennen, wie pervertiert unsere Eliten eigentlichsind. Oder um Heinrich Heine komplett aus dem Kontext zu zerren – “Denkich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht”.