SOS-Kinderdörfer-Chef: Für Haiti wurden 2,5 Milliarden Euro gespendet – ein Drittel davon versickert. Wilfried Vyslozil warnt vor übereiltem Investitieren der Spendengelder und fordert Schulung 600 lokaler Führungskräfte – Drohendes „Scheitern der gut gemeinten langfristigen Bemühungen“ wie nach Tsunami vor fünf Jahren.
SOS-Kinderdörfer-Chef Wilfried Vyslozil warnt drei Monate nach dem Erdbeben in Haiti vor der Verschwendung von Spendengeldern annähernd in Milliardenhöhe und fordert die Schulung lokaler Führungskräfte. Bis Mitte März dürften, so schätzt Vyslozil, „mit den Spenden aus Asien, Russland und dem arabischen Raum 2,5 Milliarden Euro“ weltweit zusammen gekommen sein.
1,35 Milliarden Euro stammen aus zehn westlichen Ländern inklusive USA (653 Millionen Euro) und Deutschland (195 Millionen Euro). Trotz der guten Spendenresonanz schlägt Vyslozil Alarm: Viele der 3000 in Haiti agierenden Nichtregierungsorganisationen „laufen nun Gefahr, ihre Spendeneinnahmen überstürzt auszugeben, weil uns in vielen Ländern Gesetze zwingen, Spendenmittel nach bestimmten Regeln und zeitnah auszugeben.
Das führt dazu, dass manche Organisationen Projekte starten, nur weil das Geld ausgegeben werden muss“. Es drohe eine Wiederholung der Fehler, die nach dem Tsunami Ende 2004 in Asien gemacht wurden: „Weil sehr viel Geld vorhanden war, wurde es auch ausgegeben. Mit der Folge, dass die Baupreise explodierten und mit ihr die Korruption der lokalen Eliten. Die betroffene Bevölkerung wurde kaum in den Wiederaufbau eingebunden und weiterhin als Opfer betrachtet.“
Deshalb fordert Wyslozil ein Umdenken. Die ausländischen Hilfsorganisationen unter Regie der UN-Organisation Ocha sollten den Wiederaufbau Haitis stärker auf Einheimische und lokale Initiativen stützen: „Jetzt schon müssten ungefähr 600 lokale Führungskräfte geschult werden. Aber keiner nimmt das in Angriff.
So droht ein Scheitern der gut gemeinten langfristigen Bemühungen wie in Sri Lanka vor fünf Jahren.“ Dort habe an der vom Tsunami zerstörten Küste jede Hilfsorganisation ihren eigenen Claim abgestickt. Vyslozil: „Jede suchte eigene Kontakte zu lokalen Politikern. Vieles wurde doppelt, dreifach, vierfach getan.“
Der Chef der vom jährlichen Spendenaufkommen her führenden deutschen Hilfsorganisation, die auf Haiti seit über zwanzig Jahren zwei SOS-Kinderdörfer betreibt, geht davon aus, dass bisher „ein Drittel“ aller Spendengelder bei Katastrophen fehlinvestiert wird und in korrupten Strukturen versickert. Bislang gebe es kein übergreifendes Controlling, das den Geldeinsatz aller in einem Gebiet agierenden Organisationen koordiniert und überwacht. Vyslozil fordert deshalb „einen virtuellen Geldpool, wie er sich auf der Mikro-Ebene schon bewährt hat“.
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