Ab sofort veröffentlicht MMNews jeden Montag eine exklusive deutschsprachige Kolumne des kanadischen Fondsmanager und Finanzanalysten Marshall Auerback zum aktuellen Geschehen der Wirtschaft. Zum Debüt gibt Auerback eine Prognose für den Euro und adressiert die deutsche Angst vor der Inflation. Marshall Auerback, geboren 1959 in Toronto, Kanada, ist Global PortfolioStrategist für RAB Capital Plc und externer Berater von PIMCO. Er lebt in Denver, USA.
Von Marshall Auerback, Übersetzung aus dem Englischen: Lars Schall
Die allgemeine deutsche Haltung hierzu ist, dass eine Zahlungsunfähigkeit von, sagen wir, Kalifornien genauso wenig die Überlebensfähigkeit des Dollar bedroht, wie die griechische Zahlungsunfähigkeit den Euro. Allerdings besitzen die Vereinigten Staaten von Amerika eine NATIONALE geldpolitische Autorität, die auf die wachsenden Zahlungsschwierigkeiten der Bundesstaaten durch Dollarschöpfung und einhergehende Verteilung von Steuereinnahmen mit den Bundesstaten reagieren kann. Eine vergleichbare geldpolitische Instanz gibt es im Euroraum nicht.
Obwohl man Griechenland bisher durchaus als das „Lehman”-Problem der Europäischen Währungsunion bezeichnen konnte, lässt das vor kurzem verkündete Rettungspaket einen Vergleich mit Bear Stearns näher liegender erscheinen. Durch Bear’s „Rettung“ im März 2008 sah es anfangs so aus, als ob es den weltweiten Finanzmärkten möglich sei, eine Krise in dem durch Vermögenswerte gesicherten Wertpapier-Markt zu verhindern. In Wirklichkeit verlagerte sie die Dinge lediglich nach hinten, da die zugrunde liegenden strukturellen Probleme, die die Krise überhaupt erst hervorriefen, ungelöst blieben. Die Kreditkrise, die im August 2007 begann, beinhaltete das Versagen der Liquiditäts- und Solvenz-Risiko-Systeme gleichermaßen. Die daraufhin einsetzende Gefrierstarre ergab sich, weil die nachfolgende Pleite von Lehman und der Kollaps von AIG die (durch jahrelange Bailouts aufgebaute) Erwartung der Märkte zerstörte, dass es einen ultimativen Marktregler geben würde, der schon stets mit diesen Wertpapierinstrumenten umzugehen verstünde.
Ähnlich schuf der Aufbau einer gemeinsamen Währung die Markterwartung, dass das Geld des einen Landes so gut sei wie jedes anderen auch – was erklärt, warum solch „ausgabenpolitisch unverantwortliche“ Nationen wie Italien jahrelang Geld zu deutschem Zinssatz-Niveau leihen konnten. Allerdings war es die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, eine grundlegende „Rückkauf“-Funktion zu blocken – um genau zu sein, den Verkauf griechischer Schulden durch einige europäische Geschäftsbanken und den Umtausch dieser Schulden über Rückkauffunktionen mit der EZB in deutsche und französische Staatspapiere, die die Griechenlandkrise ausgelöst zu haben scheint und Fragen nach Athens möglicher Zahlungsunfähigkeit aufwarf.
Wie wir die Dinge verstehen, wurde die Einstellung dieser Rückkauffunktion größtenteils auf Wunsch der Deutschen durchgeführt, die in dieser Aktivität eine Art von „Hintertür-Monetisierung” sahen, die unweigerlich zur Inflation führt. Und das trotz der Tatsache, dass der gesamte Euroraum von großer Arbeitslosigkeit, hohen Entlassungsraten und zusammenbrechender Binnennachfrage gekennzeichnet ist. All das wird im Kern von der pathologischen Angst der Deutschen vor der Inflation bestimmt, die sie als die unausweichliche Folge von großen Staatshaushaltsdefiziten erachten.
Doch Deutschlands unvernünftige Inflationsbefürchtungen erhöhen nur die Wahrscheinlichkeit für eine sehr viel größere Krise. Die Euro-Infektion könnte nunmehr leicht auf Italien, Portugal, Spanien und Irland übergreifen, von denen alle (unter den Bedingungen des Rettungspakets) Griechenland zu beleihen haben, und zwar zu je 5%. Was wird also mit ihren Finanzierungskosten geschehen? Sie werden als dem nächsten Schritt über 5% steigen. Als in den USA die good banks die bad banks übernahmen, wurden sie selbst zu bad banks (siehe Bank of America und Countrywide). Und was ist mit der Vorrangigkeit dieser Kredite? Werden sie den Inhabern von griechischen Regierungsanleihen untergeordnet sein? Man könnte annehmen: ja, aber durch das Rettungspaket ist das nicht klargestellt. Kurzum, es scheint eine zusammengeschusterte Lösung zu sein, und sie wird für ein Spanien und ein Italien nicht funktionieren. Es besteht nicht einmal Klarheit darüber, ob sie ratifiziert wird. Die EU sagt, sie sei beschlossene Sache, aber Deutschland und die Niederlande sagen, sie bräuchten das parlamentarische Einvernehmen (was sich leicht verschleppen lässt).
Um klar zu sein: in den Nachwehen des Ersten Weltkriegs waren die Produktionskapazitäten Deutschlands entweder erheblich beschädigt oder aber auf die Anforderungen des Militärs ausgerichtet. Die alliierte Blockade schränkte Importe bis weit ins Jahr 1919 ein, und 1923 besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet, das einen Großteil der deutschen Produktionsbasis beheimatete. All diese Maßnahmen begrenzten die deutsche Produktionsfähigkeit auf beträchtliche Weise, was die Verteilungsprobleme anheizte, die die Hyperinflation nährten.
Nichts von alledem trifft auf das heutige Deutschland zu, und doch dominiert das “Weimar 2.0”-Denken auf ähnliche Weise die Deutschen, wie das „Maginot-Linien“-Denken das französische Militär-Establishment vor dem 2. Weltkrieg. Die Verteidigungs-Obsession gegen eine „äußere“ Gefahr der Inflation macht Deutschland blind. Es sieht nicht die Gefahr, dass ein Zusammenbruch der Gesamtnachfrage innerhalb der Europäischen Währungsunion am Ende zu einem Kollabieren des deutschen Exportsektors führen wird (der zu einem wesentlichen Teil das Produkt innereuropäischen Handels ist), und zu einer damit einhergehenden Ausbreitung der PIIGS-Krankheit des langsamen Wachstums und der hohen Arbeitslosigkeit auf das Herzland der Eurozone. Wir wissen, wie es für Frankreich endete, nachdem sich die Maginot-Linie als bloß scheinbar vorhandene denn wirklich existente Verteidigung herausstellte.