Gesetzgebung zur Griechenlandhilfe ist ein Ermächtigungsgesetz. So interpretiert US-Historiker John Ryskamp den Gesetzentwurf, den das deutsche Finanzministerium zur „Bewältigung“ der Griechenlandkrise vorgelegt hat. "Politische Systeme begehen durch Verabschiedung von Ermächtigungsgesetzen Selbstmord."
Von Lars Schall
John Ryskamp, der in Berkeley, Kalifornien lebt, vergleicht das „Gesetz zum Erhalt der Stabilität der Währungsunion“ mit dem Ermächtigungsgesetz, das im März 1933 den Tod der Weimarer Republik bedeutete.
Auch die Bailout-Initiative des damaligen US-Finanzministers Hank Paulson vom Herbst 2008 sei sei letzlich ein Ermächtigungsgesetz. Rsykamps Beitrag, der den Titel “German Greek Bailout Legislation as an Enabling Act” trägt, wird von MMnews im englischen Original veröffentlicht. --->German Greek Bailout Legislation as an Enabling Act
Im besagten Artikel sieht Ryskamp die Gesetzgebung zur Griechenlandhilfe als ein Ermächtigungsgesetz, das seinen historischen Vorläufern darin ähnelt, „kurz und vage“ zu sein. „Es verspricht viel zu garantieren, sagt aber nur wenig.“ Die Auswirkungen seien gleichwohl nicht zu unterschätzen:
„Ein Ermächtigungsgesetz verändert die Natur des politischen Systems, das es zur Ausführung bringt, und das ist der Grund, warum man davon spricht, dass solche politischen Systeme durch Verabschiedung von Ermächtigungsgesetzen ‚Selbstmord begingen’. Das ist wichtig im Bewusstsein zu behalten, weil Ermächtigungsgesetze das vorherige politische System nur abzuändern scheinen, das politische System als solches bliebe bestehen, und in der Tat betonen Ermächtigungsgesetze, das existierende politische System angeblich zu bewahren.“
Schaut man sich das Gesetz zur Griechenlandhilfe an, wird man feststellen dürfen, dass es davon spricht, eine „Ermächtigungsgrundlage” schaffen zu wollen – und zwar für etwas, dass die deutsche Verfassung bislang nicht vorsieht. Der Gesetzesentwurf, der lediglich zwei Paragraphen umfasst, ist hier als pdf einzusehen: Griechenlandhilfe.pdf
Laut der Einschätzung von Ryskamp erachten es die Autoren der Gesetzesvorlage als nicht gegeben, ihr Vorhaben allzu sehr zu begründen. Dieses Charakteristikum habe es mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 und der Bailout-Initiative von 2008 gemeinsam. „Zuviel Rechtfertigung“, so Ryskamp, „untergräbt die Ermächtigung, da sie zu definieren beginnt, was alles nicht Teil des Gesetzes ist. Die Ermächtigung setzt voraus, dass sie durch den Notzustand gerechtfertigt ist, und der Notzustand verlangt nach dem Gesetz. Die Verfassung spielt keine Rolle und es gibt einen politischen Konsens – das „Offensichtliche“ zu hinterfragen, ist ein Angriff auf die Gesellschaft.“
Der kleinste Nenner dieser Rechnung besteht darin, dass sich Macht durch sich selbst legitimiert. Des Weiteren sei Sinn und Zweck einer Ermächtigung, eine Debatte zu beenden, nicht sie zu beginnen. Resultat sei die Herstellung einer einheitlichen Macht: unitary power.
Auch würden Klauseln, die das Auslaufen eines „Ermächtigungsgesetzes“ festschreiben, gerade dieses derart unverbindlich tun, dass sie leicht zu missachten seien. Was das Ende des Gesetzes, das auf zwei weitere Jahre angelegt ist und nunmehr zur Verabschiedung im Bundestag ansteht, bewirken könnte, sei völlig undeutlich in der Einschätzung Ryskamps. „Das Ergebnis“ des Undefinierten bestehe darin, „dass es keine Klarheit gibt, was am Ende der zwei Jahre endet.“
Zum Schluss seines Vergleiches der drei Gesetze bringt John Ryskamp hinsichtlich der deutschen Situation ein Zitat von Karl Marx in Erinnerung:
„Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“