Was veranlasst die Märkte, Griechenland und die USA so unterschiedlich zu bewerten, obwohl beide unheilbar in Schulden zu versinken scheinen? Marshall Auerback betrachtet in seiner Montags-Kolumne den Euroraum und stellt einen wesentlichen Wettbewerbsnachteil seiner Mitgliedsländer im internationalen Maßstab dar.
Von Marshall Auerback, Übersetzung aus dem Englischen: Lars Schall
Viele Marktanalysten, Kommentatoren und Ökonomen behaupten, dass es ihnen schwer fallen würde, herauszufinden, inwiefern die USA in einer besseren finanziellen Verfassung dastünden als Griechenland. Ken Rogoff beispielsweise warnte kürzlich davor, dass ein griechischer Staatsbankrott eine ganze Serie von Staatsbankrotten einleiten würde, und wies im National Public Radio darauf hin, dass die Krise auch Implikationen für die USA besäße. Der Historiker Niall Furguson machte vor ein paar Monaten eine ähnliche Aussage in der Financial Times. Die Schreie der Defizit-Falken werden lauter: Tuet Buße, all ihr Ausgabenverschwender, bevor der „Tag der Abrechnung“ kommt.
Schrauben wir die biblische Hysterie ein klein wenig herunter, solange noch Zeit für eine rationale Debatte da ist. Die kürzliche Antwort der Märkte auf die sich intensivierenden Spannungen im Euroraum legt die Vermutung nahe, dass die Investoren zwischen solchen Staaten, die wie die USA oder Japan souveräne Währungsherausgeber sind, und solchen, die wie Griechenland und jede andere Euroraumnation keine souveränen Währungsherausgeber sind, zu differenzieren beginnen. Der US-Dollar steigt im Wert, ungeachtet des Staatsdefizits, während die Schuldendrangsal in den so genannten “PIIGS“-Ländern, insbesondere Griechenland, intensiver wird und den Euro dadurch auf ein neues 12-Monats-Tief herunter fährt.
Das Abschneiden verschiedener Währungen gegenüber dem US-Dollar ist diesbezüglich höchst aufschlussreich. In den vergangenen drei Monaten haben der australische, neuseeländische und kanadische Dollar um die 4 % gegenüber dem Greenback zugelegt. Wer hat am schlechtesten abgeschnitten? Keineswegs überraschenderweise der Euro, der in diesem Zeitraum 6,3 % verlor. Ob bewusst oder nicht, die Märkte demonstrieren, dass sie die Unterschiede zwischen Benutzern von Währungen, die mit äußeren Finanzierungseinschränkungen konfrontiert sind, und solchen Nationen, die in ihren Defizitausgaben keinen äußeren Einschränkungen unterworfen sind, da sie selber Währungen herausgeben, verstehen.
Dass die USA die Weltreservewährung haben, ist hier von irrelevanter Bedeutung. Der Hauptunterschied bleibt Benutzer vs. Herausgeber. Der Euroraum ist Teil des Ersteren, wohingegen Kanada, Australien, England, Japan und die USA Repräsentanten des Letzteren sind.
Die “PIIGS”-Länder als Vergleich zu den Vereinigten Staaten oder England zu nutzen wie es Rogoff, Furguson und unzählige andere Kommentatoren tun, ist falsch. Ihre fehlerhaften Analysen sind das Resultat der Unfähigkeit der Defizit-Kritiker, zwischen den monetären Arrangements souveräner und nicht-souveräner Staaten unterscheiden zu können. Jede souveräne Regierung (kein Staat innerhalb der Europäischen Währungsunion genießt diesen Status mehr) kann mit dem Kollabieren der Einnahmen und dem Anstieg der Ausgaben von finanzieller Perspektive her umgehen, ohne jene Art von totalem Stillstand hervorzurufen, die nunmehr den Euroraum lähmt. Das ist der Grund, warum sich zum Beispiel der japanische Yen nicht gegenüber dem Dollar im freien Fall befindet, obgleich Japan eine öffentliche Verschuldung gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt von über 200% besitzt, fast das 2,5-fache von dem der USA. Tatsächlich hat der Yen gegenüber dem Dollar in den letzten Tagen zugelegt. Warum sollte dem so sein, wenn doch die Lektion, die wir angeblich zu lernen haben, von den Übeln der „unnachhaltigen“ staatlichen Defizitausgaben handelt?
Wenn die Märkte Bedenken haben wegen der staatlichen Zahlungsfähigkeit, werden sie keine Kredite verlängern. Und das ist das Problem, vor dem alle Länder des Euroraumes stehen. Griechenland, Portugal, Italien, Frankreich und Deutschland sind allesamt Benutzer des Euros – keine Herausgeber. In dieser Hinsicht gleichen sie amerikanischen Bundesstaaten oder Kommunen, die alle Benutzer des Dollars der US-Bundesregierung sind.
Und Defizite werden per se nicht die Konditionen für die Zahlungsunfähigkeit der USA sein. Wenn die USA weiterhin Nettoexportdefizite unterhalten (was umso wahrscheinlicher ist in Anbetracht des Werteverfalls des Euro) und der private inländische Sektor seine Nettoersparnisse beibehalten möchte, muss die US-Regierung Nettoausgaben tätigen – das heißt Defizite unterhalten. Das ist die buchhaltungstechnische Wahrheit, nicht mehr und nicht weniger. Wenn die US-Regierung unter diesen Umständen versuchen würde, Überschüsse zu produzieren, würde das den privaten inländischen Sektor zu Defiziten (und steigenden Schulden) zwingen und müsste letzten Endes scheitern, weil der Letztere versuchen würde, seine Sparquote wieder zu steigern.
Die gleiche Logik trifft für Griechenland zu. Das IWF/EU-Paket beabsichtigt, das Staatsdefizit im prozentualen Verhältnis zum BIP von derzeit 13,6 % auf 8,1% in 2011 zu reduzieren. Wie soll das erreicht werden? Der Versuch, eine Reduzierung des Defizits qua Einsparprogramme (oder Einfrierungen oder wie auch immer man sie sonst nennen möchte) in einer Zeit herbeizuführen, in der die privaten Ausgaben nicht ausreichen, um ein angemessenes BIP-Wachstum zu erhalten, ist das Rezept für ein Desaster. ES WIRD DAS DEFIZIT ERHÖHEN.
Man betrachte in dieser Hinsicht Irland als Paradebeispiel. Irland begann seine Defizitausgaben 2008 zurückzufahren, als sich seine Bankenkrise auszuweiten begann und sein Staatshaushaltsdefizit im prozentualen Verhältnis zum BIP 7,3% betrug. Prompt schrumpfte die Wirtschaft um 10%, und – Überraschung, Überraschung – sein Defizit explodierte auf 14,3% zum BIP. Wir würden große Wetten darauf setzen, dass Griechenland ein ähnliches Schicksal erwartete angesichts der Unfähigkeit der EU, grundlegende Kapitalbilanzen und Wechselbeziehungen unter den verschiedenen Bereichen der Wirtschaft zu verstehen oder anzuerkennen. Weder eine Regierung noch der IWF können mit irgendeiner Sicherheit voraussagen, was das Ergebnis sein wird – letzten Endes wird das private Sparverlangen das Ergebnis bestimmen, so wie es Bill Mitchell wiederholt anmerkte.
Warum haben wir immense Haushaltsdefizite rund um den Globus? Nicht etwa, weil all unsere Politiker zu sowjet-artigen Apparatschiks geworden wären. Hauptsächlich ist es deswegen, weil die verlangsamte globale Wirtschaft zu niedrigeren Einnahmen führte (weniger Einkommen = weniger gezahlte Steuern, insofern das meiste Steueraufkommen auf Einkommen und den niedrigen Steuergruppen basiert) und höheren Aufwendungen für das soziale Sicherheitsnetz. Dieses soziale Sicherungsnetz auszuweiden, weil wir von den falschen Lektionen der besonderen (und selbstverschuldeten) Euroraum-Zwickmühle ausgehen, bedeutet den Höhepunkt wirtschaftlicher Ignoranz. Es spiegelt auch eine durchsichtige politische Agenda wider, die zu übernehmen die USA schlecht beraten wären. Die Rettungspakete, der IWF-Eingriff und all das Gerede von geordneten Zahlungsunfähigkeiten kann die grundsätzlichen Gestaltungsfehler der Europäischen Währungsunion nicht überwinden. Lasst den Neoliberalismus mit dem Euro sterben.