Ist die Tragödie um den Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte von den Akteuren billigend in Kauf genommen worden? Wurde der Vorfall gar provoziert?
Von Michaela Barallon aus Tel Aviv
Die israelische Armee widersetzt sich dem Eindringen von sechs Schiffen in ihre territorialen Gewässer und die Welt ist empört. Die Israelis haben nichts anderes von der Weltgemeinschaft erwartet. Immer dann, wenn es um Israel geht, ist sich die Welt plötzlich einig: die Reaktionen sind harsch und Sanktionen durch die UNO werden regelmäßig durch die USA blockiert.
Die Israelis sind daran gewöhnt, dass sich vor allem die Europäer bedingungslos hinter ihre palästinensischen Nachbarn stellen. Auch dann, wenn es sich um ein Gebiet handelt, nämlich Gaza, das von einem terroristischen Regime namens Hamas kontrolliert wird. So oder so ähnlich sehen die Israelis die Geschehnisse rund um die so genannte “Friedensflotte“.
Tatsache ist, seit drei Jahren existiert eine israelisch-ägyptische (!) Blockade des Gazastreifens als Antwort auf den acht Jahre andauernden Raketenbeschuss des südlichen Israels. In Hochzeiten regnete es bis zu hundert Kassams pro Tag und die letzten Raketen erreichten bereits die Stadt Ashdod, 30 km südlich von Tel Aviv. Auf eine weltweite Empörungswelle haben die Israelis vergeblich gewartet.
Die Verweigerung der Hamas zu Friedensgesprächen und zur Anerkennung des Nachbarn Israel scheint definitiv. “Alle Juden ins Meer“ ist hier immer noch die Devise. Die palästinensische Bevölkerung in Gaza wurde von ihrer eigenen illegitimen Regierung in Zwanghaft genommen. Die oft blutig endenden Kämpfe der Hamas gegen die legitime Regierung der Palästinenser, die Fatah, mit Mahmud Abbas als Präsidenten, die die Autonomen Gebiete im Westjordanland regiert, sind ebenfalls bekannt
Tatsache ist auch: seit einer Woche hat es mehrere Angebote gegeben, die Angelegenheit friedlich zu regeln. Die israelische Regierung hat für alle unüberhörbar vorgeschlagen, die Hilfsgüter, so es denn nur Hilfsgüter sind und keine Waffen oder Material zum Raketenbau, über Israel nach Gaza zu bringen. Vorschlag abgelehnt.
Es handelte sich hier weder um eine Friedens- oder Hilfsaktion, sondern um eine klare gegen Israel gerichtete Provokation. Und leider, wie zu oft, sind die Israelis in die Falle getappt. Ziel der Provokation: Israel auf der Weltbühne zu isolieren und das Image noch ein wenig mehr zu zerstören, so dies denn möglich ist.
Mitten in der weltweiten Empörungswelle stellen sich die Israelis viele Fragen und voll hinter ihre Armee. Wenn denn die Aktivisten keine Waffen an Bord hatten, wie kommt es dann, das mindestens zwei israelische Soldaten mit Schusswunden im Krankenhaus liegen?
Warum gab es den Widerstand, der zu neun Toten führte, nur auf einem der sechs Boote?
Hierzu sollte man wissen, dass dieses Boot namens “Mavimarmara“ von der islamitisch-türkischen Organisation “IHH” gechartert wurde. Eine Organisation mit klaren Verbindungen zur Al Kaida, so eine Studie des Dänischen Instituts für Internationale Recherchen, die 2006 veröffentlicht wurde. An Bord, islamistische Extremisten, die sicher nicht in humanitärer Mission unterwegs waren. Einer von ihnen ist der Anführer einer im Westjordanland angesiedelten radikalen palästinensischen Bewegung, Raed Salah. Diese Gruppierung wird verdächtigt, für verschiedene Attentate in Israel verantwortlich zu sein. Der Israeli auf der Straße fragt sich mit Recht, wie und warum diese Leute in einen humanitären Hilfskonvoi geraten?
Man kann sich auch die Frage stellen wie die Mitglieder der Partei „Die Linke“ gerade auf dieses Boot gerieten? Auf der gut inszenierten Pressekonferenz, die ihre Rückkehr nach Deutschland feierte, erfuhr man darüber allerdings nichts. Stattdessen berichteten sie anschaulich über “Massaker” und “Blutbad“, natürlich mit Blutflecken an der Jeans und zerzauster Frisur, ganz nach dem Motto „Unsere Abenteurer sind zurück.“ Seriöse Analysen der Geschehnisse sind zur Zeit nicht gefragt.
Die wenigen Kamerabilder, die bisher freigegeben wurden, zeigen die “Friedensaktivisten“, die mit Eisenstangen bewaffnet die israelischen Soldaten von Bord prügeln und ins Meer werfen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die israelische Marine strikte Anweisungen hatte, es nicht zu einer gewaltsamen Konfrontation kommen zu lassen, denn einen Skandal wie diesen können die Israelis im Moment am wenigsten gebrauchen Doch der Auftrag, die Boote unter keinen Umständen die Blockade durchbrechen zu lassen, war oberstes Ziel.
Ich denke, und so geht es Vielen hier in Israel, die israelischen Marinesoldaten haben keinesfalls mit einem derartigen Widerstand gerechnet. Und auf den fünf anderen Schiffen ging die Sache ja auch friedlich über die Bühne. Aber was tut ein 19jähriger, bewaffneter Soldat, der auf kleinstem Raum, nämlich an Deck der “Mavimarmara“, mit Eisenstangen empfangen und angegriffen wird? Er verteidigt sein Leben und seinen Auftrag, wenn nötig mit seiner Waffe. Eine Regel, die für alle Soldaten aller Armeen dieser Welt gilt.
Noch eine Frage stellt sich der Mann oder die Frau auf der Straße in Tel Aviv und anderswo. Warum sind die Boote nicht über ägyptische Gewässer nach Gaza eingereist und hätten so die ägyptische Armee provoziert, die Gaza ebenso blockiert wie die Israelische?
Der Grund ist klar, die Empörung über ein ägyptisches Eingreifen wäre sicher weniger pompös ausgefallen und hätte das politische Ziel eindeutig verfehlt.
Die Israelis fragen sich seit langem, wie dumm und blind Europa sein muss, um ein terroristisches Regime wie das der Hamas mit derartigen Aktionen zu unterstützen. Versuchen sie nicht alle, den weltweiten islamistischen Terrorismus zu bekämpfen? Doch was für andere Staaten eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich seine Grenzen und Gesetzte mit allen Mitteln zu verteidigen, gilt nicht für Israel. Es geht übrigens um ein Land, so klein wie kaum ein Anderes, dessen Bevölkerung aus 20% muslimischen Israelis besteht. Die Bevölkerung des Westjordanlandes natürlich nicht einbegriffen…
Die Israelis erwarten schon lange nichts mehr von Europa und es kratzt sie auch wenig, wenn die französische Tageszeitung “Liberation” mit dem Titel “Israel, ein Piratenstaat” aufmacht oder wenn sich der französische Gutmensch Bernard Kouchner, zur Zeit Außenminister, echauffiert. Er war bereits Minister in der Regierung Mitterrands als das Greenpeace Boot ‚Rainbow Warrior’ versenkt wurde. Zur Erinnerung: Greenpeace-Aktivisten wollten die französischen Atomversuche auf dem Atoll Mururoa verhindern. Die französische Regierung fühlte sich, am anderen Ende der Welt, in ihrer nationalen Sicherheit bedroht und versenkte das Boot in einem neuseeländischen Hafen. Ein Toter war zu beklagen. Zu unterstreichen ist hier ein kleines aber wichtiges Detail: diese Aktion spielte nicht vor der Küste Frankreichs ab sondern auf neuseeländischem Staatsgebiet. Die Reaktionen waren jedoch weit weniger aggressiv als heute…
Aber, wie gesagt, was für andere Staaten selbstverständlich ist, wird Israel regelmäßig verwehrt.
In Sachen “Friedensflotte” wird sich die schockierte Menschheit sicher bald um andere Dinge kümmern und eine “unabhängige“ Untersuchungskommission wird eingerichtet. Der Imageschaden für Israel aber bleibt.
Man darf allerdings auch die Naivität und Unüberlegtheit der israelischen Armee in Frage stellen, und dies lassen sich der Mann und die Frau auf der Straße hier in Israel nicht nehmen. Eine Israelische Tageszeitung titelte heute: „Kein Besen ist breit genug, um diesen Misserfolg unter den Teppich zu kehren.” Und sie haben zweifellos Recht.
Warum hat die israelische Marine die Boote nicht einfach auf See blockiert und angeboten, die Hilfsgüter umzuladen und nach Gaza zu bringen? Die Aktivisten hätten danach keinerlei akzeptablen Grund mehr gehabt, die Gazablockade zu durchbrechen. Wahrscheinlich wollte sich Israel dem tagelangen Medienspektakel nicht aussetzen, diese Propaganda der “Friedensflotte” nicht gönnen und außerdem ihre Entschlossenheit demonstrieren.
Doch eins ist sicher, die Aktion der israelischen Marine ist kläglich gescheitert.
Die Kommunikationspolitik Israels ist mir meistens ein Rätsel. Da sind die Palästinenser weitaus versierter.
Wie gesagt, als Israeli hat man eigentlich aktuell andere Probleme. Hier wartet man wöchentlich, täglich oder stündlich auf einen iranischen Angriff, den der Präsident Ahmadinedschad unüberhörbar seit Langem auf internationalen Bühnen ankündigt. Gasmasken werden hier in Israel wieder an die Bevölkerung verteilt… Viele Israelis kritisierten die Haltung ihrer Regierung gegenüber dem Iran scharf. Sie erwarten, dass sie von ihren Regierenden und ihrer Armee vor einen deklarierten Feind beschützt werden. Und dies mit allen verfügbaren Mitteln, auch militärischen.
Der jüngste Zwischenfall mit der so genannten “Friedensflotte” ist nur eine weitere Episode in Sachen Provokation und Reaktion und die daraus entstehenden „Kollateralschäden”. Neun Tote sind auch und vor allem für jeden Israeli neun Tote zuviel. Sie sind es schon lange leid, ihre Töchter und Söhne, anstatt auf Eliteschulen in die Armee und in den Krieg zu schicken. Aber sie haben keine Wahl. Wir sind eine Demokratie im permanenten Kriegszustand und dies seit Gründung des Staates, heißt es hier.
Das Leben geht weiter und das Leben ist für die meisten Israelis hart genug.