Menschen sind in der Lage, an die Grenzen des Machbaren zu gehen. Doch wenn das Machbare außer Kontrolle gerät, dann ist unsere eigene Existenz in Gefahr.
Der Zauberlehrling ist eine Ballade von Johann Wolfgang von Goethe, die zu seinen populärsten Werken gehört. Entstanden ist sie in der Weimarer Zeit Goethes, im Jahre 1797, dem so genannten Balladenjahr der Klassik, das in die literarische Geschichte einging.
Der Zauberlehrling ist alleine zu Hause und probiert einen Zauberspruch seines Meisters aus. Er verwandelt mittels Zauberspruch einen Besen in einen Knecht, der Wasser schleppen muss. Das Gedicht beginnt mit den folgenden berühmten Versen:
Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
Merkt ich und den Brauch
Und mit Geistesstärke
Tu ich Wunder auch!
Anfänglich ist er stolz auf sein Können, doch bald merkt er, wie er der Situation nicht mehr gewachsen ist:
Und sie laufen! Nass und nässer
wirds im Saal und auf den Stufen:
welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister, hör mich rufen! -
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
werd ich nun nicht los.
Und heute?
Es gibt viele Zauberlehrlinge, Wissenschaftler genannt.
- Sie bohren in 1500m Tiefe Löcher, um Öl abzusaugen. Doch wenn was passiert, dann ist leider kein Meister da, der die bösen Geister bändigen kann.
- Überall werden Atomkraftwerke gebaut. Doch wenn wirklich eines mal außer Kontrolle gerät – wo bleibt der Meister, der die Kernschmelze stoppen kann?
- Gentechniker brüsten sich damit, künstliches Leben zu erzeugen. Doch sollte es sich unkontrolliert vermehren – wie ist es möglich, dies je wieder zu begrenzen?
- Nanotechnologie experimentiert mit kleinsten Teilchen. Teilchen, die in der Natur so nicht vorkommen. Was passiert, wenn diese ultrafeinen Partikel Umwelt und Natur zerstören?
- Notenbanken schaffen Geld aus dem Nichts. Unser Geldsystem verlangt exponentielles Wachstum. Gibt es jemanden, der diese Entwicklung je Einhalt gebieten kann?*
- Am Teilchenbeschleuniger in Genf spielen Wissenschaftler Gott, in dem sie den Urknall künstlich erzeugen. Für den Fall, dass sie es wirklich schaffen: Wo ist der Meister, der im Ernstfall Nebenwirkungen Einhalt gebieten kann?
Der Zauberlehrling hat noch mal Glück gehabt: Denn schon bald kommt der Meister und bereitet dem Spuk ein Ende:
»In die Ecke,
Besen! Besen!
Seid’s gewesen.
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister.«
Wer wird die Besen der modernen Wissenschaft dereinst in die Ecke befehlen?
*)Für Goethe- und Geldinteressierte eine Buchempfehlung von Prof. Hans Christoph Binswanger: GELD und MAGIE - Eine ökonomische Deutung von Goethes Faust.