Hongkong ist die chinesische Variante des Turbokapitalismus. Überall flackerts und flimmerts. Aber eigentlich ist Hongkong keine Stadt, sondern ein Shopping Center: Nirgendwo gibt es so viele Einkaufstempel.
Unterwegs in Hongkong
Ms Lee Hong Cum, Grenzbeamtin, schaut in meinen Pass und lächelt erleichtert: Das Bild im Dokument stimmt tatsächlich mit meinem Antlitz überein. Ms. Hong Cum - der Name der Kontrolleurin passt zur Stadt, in die ich Einreise begehre: Hongkong. Stempel im Pass. Einreise genehmigt. Per High-Speed-Zug ins Zentrum.
Hongkong ist die chinesische Variante des Turbokapitalismus. Überall flackerts und flimmerts. Überall quirlen Menschenmassen in den Straßen – insgesamt 7 Millionen auf einer Fläche halb so groß wie Berlin. Arbeiten ohne Murren bis zum Umfallen.
Ein Wunder, dass hier nicht mehr Stress aufkommt bei unseren gelben Schöpfungskollegen. Doch die Menschen sind friedlich und freundlich. Die Stadt klinisch rein und effizient.
Aber eigentlich ist Hongkong keine Stadt, sondern ein Shopping Center. Denn in Hongkong kann man nur zwei Dinge tun: Shoppen und Fressen. Nirgendwo gibt es so viele Einkaufstempel. Nirgendwo kann man die weltweiten Marken so gut buchstabieren wie in der ehemaligen Kronkolonie: Von A wie Adidas, B wie Bose bis Z wie Zara. Also: alles so wie zuhause – nur größer, sauberer, geschäftiger. Der Marken-Tand ist obendrein teurer als daheim, wegen des kaputten Euros.
Die Chinesen leiden offenbar unter einem Marken-Fetischismus. Die „Marke“ der Inbegriff der westlichen Welt. Der Westen – der heimliche Traum des Chinesen. Chinesisches sucht der Tourist dagegen in der Stadt vergebens. Allenfalls die Restaurants erinnern daran, dass man nicht in Berlin oder Madrid spaziert, sondern in China.
Essen in Hongkong ist aber gar nicht so einfach – wenn’s ums Einheimische geht. Natürlich sind die US-Fastfood-Kraken schon in jeder Straße präsent. Ich aber suche die urige Gaststätte, dort wo auch der Ur-Chinese Nahrung nimmt. Ein englischsprachiger Ur-Hongkonger weist mir den Weg. Problem: Leider kann ich kein chinesisch. Der Besuch eines chinesischen Restaurants kommt deshalb einem kulinarischen Abenteuer gleich.
Im Speiseraum sorgt ein unübersehbar großes Herr von Kellnern für Hektik. In Hongkong steht das Essen schon auf dem Tisch, bevor man überhaupt Platz genommen hat. Alles muss eben schnell gehen in Hongkong. Man hat schließlich keine Zeit zu verlieren.
Hochtechnisierte High-Speed-Kellner sausen mit speziellen Minicomputern durch den Raum – zusätzlich ausgestattet mit Ohrwürmern für die direkte Befehlsannahme.
Sobald der arglose Gast den Speisesaal betritt, geht alles in Lichtgeschwindigkeit. Wenn der Kellner den Wunsch des Gastes nicht schon erahnt, tippt er ihn geschwind in eine Art Ipad. 30 Sekunden später steht das Essen auf dem Tisch. Ein Regisseur im Hintergrund scheint den Tischdienern Anweisungen zu geben, in welche Richtung des Restaurants sie zu rennen haben. Das sorgt für eine gewisse Hektik während der Nahrungsaufnahme.
An der Essenstelle selbst ist Vorsicht geboten. Noch während der Kellner die Order aufnimmt, landen von Hilfskräften zahlreiche Näpfchen obskuren Inhalts auf dem Tisch. Sieht aus wie Vorspeisen. Während sich in der einen Schale noch eine Art Erdnüsse befindet, die ganz normal schmecken, lauert in der anderen Schale schon der sichere Tod.
Wer hier beherzt zugreift, spürt die Konsequenzen 3 Sekunden Später auf der Zunge: Massenmord an den Geschmacksknospen. Was da so appetitlich aussah, ist in Wahrheit eine Art konzentrierte Chilisäure. Zu spät. Schon im Magen. Es rumort verdächtig.
In einer anderen Schale locken Gurkenscheibchen. Sieht sehr appetitlich aus. Vielleicht damit den Brand löschen?
Eine Fehlentscheidung. Denn das Chili-Abenteuer ist steigerbar. Kaum hat man so ein Gurkenstücken im Rachen, löst sich selbiger auf. Denn die Gurke war offenbar in Salzsäure getränkt.
Hilft nur noch neutraler Reis und Wasser. Beides wird von hilfreichen Kräften schnell herangereicht, damit der Gast das Gourmet-Abenteuer überlebt.
Später im Hotel dann auch äußere Abkühlung im Pool auf dem 76. Stock. Von hier aus hat man einen guten Blick auf diese Stätte des Turbokapitalismus. Ein riesiges Häusermeer. Millionen leben hier in ihren Pferchen. Es wundert mich, dass die Menschen das friedlich hinnehmen. Es wundert mich, dass die Menschen trotz des ganzen Wahnsinns so freundlich und höflich sind.
Oase der Ruhe: Pool auf der 76. Etage