Paul Kirchhof: Gesetz zum Euro-Rettungspaket verstößt möglicherweise gegen die Verfassung. "Wenn das Parlament letztlich nicht mehr weiß, was es beschließt, wie kann es dann noch den Willen des Volkes vertreten?“ Stabilität der Währung sei eine „elementare Bindung unseres Staatswesens“.
Paul Kirchhof, von 1987 bis 1999 Richter am Bundesverfassungsgericht und bei der Bundestagswahl 2005 CDU-Kandidat für das Amt des Bundesfinanzministers, stellt die Verfassungskonformität des Gesetzes zum Euro-Rettungspaket in Frage. Das Rettungspaket hatte die Bundesregierung Anfang Mai in Brüssel in einer dramatischen Nachtsitzung zugesagt, der Deutsche Bundestag hat das entsprechende Gesetz anschließend im Eilverfahren beschlossen.
Auf die Frage, ob ein Gesetz allein deswegen verfassungswidrig sei, weil es im Parlament durchgepeitscht wurde, sagte Kirchhof in einem Interview mit der WirtschaftsWoche: „Diese Frage stellt sich.“ Gesetzgebung, so der frühere Verfassungsrichter, sei „kein formaler Akt“. Zwar könne man die üblicherweise im Bundestag vorgesehen drei Lesungen beschleunigen, aber „die Grundidee bleibt: Das Parlament muss den Entscheidungsgegenstand kennen, es muss ihn öffentlich beraten haben und aufgrund dieser Beratung zu einer Entscheidung finden“.
Das Euro-Rettungspaket wie auch bereits das von der großen Koalition beschlossene Finanzmarktstabilisierungsgesetz zur Bankenrettung seien, so Kirchhof, „mit großer Eile beschlossen worden“. In dieser Zeit „kann selbst der begabteste Abgeordnete die Komplexität solcher Gesetze nicht erfassen. Wenn aber das Parlament letztlich nicht mehr weiß. was es beschließt, wie kann es dann noch den Willen des Volkes vertreten?“
Auch die Instrumente des Euro-Rettungspakets seien bei einer verfassungsrechtlichen Würdigung des Gesetzes zu hinterfragen. „Wenn hier ein Rettungsschirm für eine bestimmte Gruppe aufgespannt wird, erhebt sich die Frage: Was geschieht mit den anderen, die im Regen stehen, und was geschieht mit künftigen Steuerzahlern, die in die Traufe kommen, wenn sie die Zusagen irgendwann einmal finanzieren müssen?“ Dabei hätten „die Auswirkungen auf eine Generation, die sich heute noch nicht wehren kann, aber künftig die Lasten zu tragen hat, besondere rechtliche Bedeutung“, sagte Kirchhof.
Darüber hinaus sieht der Leiter des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg Korrekturbedarf im Steuerrecht. So betrage für thesaurierte Gewinne die Körperschaftsteuer 15 Prozent, die Abgeltungsteuer 25 Prozent, bei der Einkommensteuer würden aber bis zu 45 Prozent fällig. „Diese Ungleichgewichtung springt ins Auge, sie ist politisch, sozial und verfassungsrechtlich nicht richtig.“ Zu Lösung des Problems empfiehlt Kirchhof, die Besteuerung der Arbeitseinkommen auf 25 Prozent zu senken und im Gegenzug alle Privilegien und Ausnahmen im Steuerrecht abzuschaffen. Dieses Modell sei „das einzige, das Gerechtigkeit schafft“.