SPD und Grüne für Volksentscheide über Atom und Wehrpflicht. CSU will Mitspracherecht der Bürger bei EU-Fragen. “Wenn Deutschland wichtige Kompetenzen unwiderruflich an Europa abgibt oder neue Staaten in die EU aufgenommen werden sollen, sollte darüber das Volk abstimmen können.“
Berlin. Nach dem Bürgervotum in Hamburg gegen die Schulpolitik
des schwarz-grünen Senats ist der politische Streit um Volksentscheide
auch auf Bundesebene neu entbrannt. In der BILD-Zeitung (Dienstagsausgabe)
sprachen sich Politiker von SPD und Grünen dafür aus, bestimmte
Themen auch bundesweit zur Abstimmung zu stellen, wie zum Beispiel
die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken oder die
Beibehaltung der Wehrpflicht. Die CSU will die Möglichkeit von
Volksentscheiden bei wichtigen europapolitischen Fragen wie etwa
der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten zulassen. Bei CDU und FDP
überwiegen dagegen mit Blick auf bundesweite Referenden die Bedenken.
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles erinnerte in der BILD-Zeitung
daran, dass ihre Partei “seit Jahren“ versuche, Volksentscheide
auch auf Bundesebene durchzusetzen, damit aber bisher an der
Union gescheitert sei.
Grünen-Chefin Claudia Roth unterstützte in der BILD-Zeitung die
Pläne der SPD für Volksentscheide auf Bundesebene. Diese würden
die Demokratie “beleben“. Frau Roth forderte: “Schwarz-Gelb sollte
zum Beispiel die Pläne für eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken
zur Abstimmung stellen.“
Der Generalsekretär der baden-württembergischen SPD, Peter Friedrich,
nannte als weitere mögliche Themen die Abschaffung der Wehrpflicht
oder die Einführung einer Pkw-Maut.
CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt verlangte in der BILD-Zeitung,
die Bürger an wichtigen europapolitischen Weichenstellungen zu
beteiligen: “Wenn Deutschland wichtige Kompetenzen unwiderruflich
an Europa abgibt oder neue Staaten in die EU aufgenommen werden
sollen, sollte darüber das Volk abstimmen können.“
Unions-Fraktionsvize Günter Krings (CDU) warnte dagegen: “Über
sehr komplexe Themen, die die Grundfesten unseres Staates berühren,
wie Fragen der Finanzpolitik, der inneren und äußeren Sicherheit
sollte nicht nach aktuellen Stimmungen oder aufgrund von Zufallsmehrheiten
entschieden werden.“
Der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki
sprach sich grundsätzlich gegen bundesweite Abstimmungen aus:
“Da kommen schnell zu viele Emotionen rein.“ Das FDP-Vorstandsmitglied
nannte als Beispiel die Todesstrafe bei Kindesmord, für die es
“sofort eine breite Mehrheit“ geben würde.
Der Berliner Verfassungsrechtler Rupert Scholz (CDU) gab zu bedenken:
“Auf Bundesebene ist die Gesetzgebung viel zu kompliziert, als
dass man sie auf das Schema ‚Ja oder nein‘ reduzieren kann.“
Der Politikforscher Jürgen Falter von der Universität Mainz kann
sich dagegen vorstellen, dass alle Wahlberechtigten zum Beispiel
darüber abstimmen, “ob der Bundespräsident künftig direkt vom
Volk gewählt werden soll.“ Falter bescheinigte den Bürger “oft
mehr Kompetenz“, bezog dies jedoch vor allem auf kommunalpolitische
Fragen.
Wie die BILD-Zeitung weiter berichtet, hat eine Studie der Universität
Hamburg über die Erfahrungen mit Volksentscheiden in 88 Ländern
ergeben, dass sich allgemein die Steuermoral verbessere, wenn
Bürger die Möglichkeit hätten, bei wichtigen politischen Fragen
mitzureden.