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The Great Recession

Haben Sie schon von „The Great Recession“ (Die große Rezession) gehört? Eine spontane Umfrage im Bekanntenkreis ergab, dass die meisten – wenn überhaupt – diesen Begriff der (hierzulande) „Weltwirtschaftskrise“ genannten Zeit in den 1930er Jahren zuordnen würden.

 

Von Torsten Ewert

Doch diese wirtschaftliche Zäsur wird in den USA „The Great Depression“ genannt. Die Schöpfer des Begriffs „The Great Recession“ haben diese begriffliche Verwandtschaft allerdings ganz bewusst gewählt. Gemeint ist damit die gegenwärtige Krise, die eine Reihe von Parallelen, aber auch etliche Unterschiede zu der einschneidenden Erfahrung des vergangenen Jahrhunderts aufweist.

 

Der schleichende Stimmungsumschwung

Heutzutage vergeben die Kommentatoren sprachliche Superlative ja inflationär. Daher habe ich mir keine großen Gedanken gemacht, als ich Anfang 2010 „The Great Recession“ oder ähnliche Begriffe in einschlägigen Analysen fand. Stutzig wurde ich erst, als ich in dem Buch „Dieses Mal ist alles anders“ von Carmen Reinhardt und Kenneth Rogoff (ein sehr aufschlussreiches, aber sehr „wissenschaftliches“ Werk mit vielen Statistiken zur Geschichte von Finanzkrisen) über den – sehr sperrigen – Terminus „Zweite Große Kontraktion“ stolperte. Doch auch hier ging ich noch darüber hinweg – schließlich hängt der Erfolg eines solchen Werkes auch von der Dramatik des Marketings ab...

Doch inzwischen findet sich dieser Begriff häufiger. Er hat sogar schon Einzug bei Wikipedia gehalten, und auch bekannte US-Medien wie Forbes oder Newsweek griffen ihn seit Jahresanfang wiederholt auf. Doch dies ist wie immer nur Ausdruck der Stimmungslage im Land. Mainstream-Medien kreieren keinen Trend, sondern tragen ihn nur weiter. Und die Stimmung ist in den USA augenscheinlich ziemlich am Boden.

Ein bezeichnendes Indiz dafür ist, dass z.B. viele Börsendienste dort Produkte anbieten wie „So schützen Sie sich vor der Staatspleite in Europa!“ Erstaunlich ist dabei weniger die grundsätzliche Zielrichtung. Geschäfte mit der Angst florieren derzeit prächtig – auch hierzulande. Überraschend ist das Thema: Noch vor wenigen Monaten wurde man ausgelacht, wenn man behauptete, die Euro-Schuldenkrise würde die Amerikaner interessieren. Und jetzt scheint das Problem offenbar so groß, dass man sogar dem Mann auf der Straße Börsenbriefe dazu unterjubeln kann...

 

Verkehrte Welt: Deprimierte Amerikaner – gelassene Deutsche

Als außenstehender Beobachter ist man angesichts dessen verdutzt. Ich kenne die USA seit über 20 Jahren durch diverse geschäftliche Kontakte und fast genauso lange aus Börsensicht. Dabei habe ich ganz unterschiedliche Menschen getroffen: Naturburschen aus Maine an der kanadischen Grenze und großspurige Texaner, entspannte Typen aus Florida und trockene Technokraten aus den Autohochburgen des Mittleren Westens, wie auch steife Juristen und Finanzleute aus Boston oder New York. Doch es war keiner dabei, der nicht vor Optimismus strotzte und sich den Europäern und speziell uns Deutschen aufgrund unserer ständigen Bedenken über dies und das nicht haushoch überlegen fühlte. 

Zugegeben, das nervte manchmal ganz schön. Aber auch, wenn man es nicht gerne zugibt – vielfach hatten sie recht, und der zupackende Pragmatismus der Amerikaner, der zudem fast immer erfolgreich war, hat mir stets imponiert.

Und so betrachte ich die gegenwärtige Stimmungslage in den USA zurzeit etwas fassungslos. Nicht, dass ich die tatsächlichen Probleme der Amerikaner in Abrede stellen will. Insbesondere ein Jobverlust sowie der Verlust des Heims infolge Überschuldung sind natürlich einschneidende Erlebnisse für jeden Betroffenen. Demgegenüber blieben in Deutschland den Meisten persönliche Krisenerfahrungen erspart.

 

Lage und Stimmung klaffen auseinander

Doch zwei Aspekte machen mich nachdenklich. Den USA als Wirtschaftsnation geht es insgesamt eigentlich vergleichsweise gut. Am Freitag wurden die ersten Schätzungen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) für das zweite Quartal veröffentlicht. Danach wuchs die auf das Gesamtjahr hochgerechnete Wirtschaftsleistung um 2,4 % gegenüber dem Vorquartal. Das ist zwar etwas weniger als erwartet und ein deutliches Stück unter der Erwartung von vor einigen Wochen, als teilweise noch mit einer Drei vor dem Komma gerechnet wurde.

Doch die US-Wirtschaft wächst – und das nun schon seit vier Quartalen in Folge! Auch wenn sich dieses Wachstum abschwächt (ein normaler Prozess nach der ersten Erholung nach einer Krise), steht Amerika keineswegs kurz vor dem befürchteten „Double Dip“, also dem Rückfall in eine erneute Rezession.

Der andere Punkt, die langsame Erholung des Arbeitsmarktes, ist ebenfalls typisch für die ersten Jahre (!) nach einer Rezession. Die momentan so argwöhnisch beäugten Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung benötigten in den fünf Rezessionszyklen seit 1969 im Schnitt mehr als zwei Jahre bis sie auf ein Nachrezessionstief fielen – und dieses Tief lag in drei dieser fünf Fälle höher als das vorherige Tief! Eine schnelle Erholung des Arbeitsmarktes ist diesbezüglich also schlicht Wunschdenken.

 

Erhellende Daten zum BIP

Und dennoch hängen die USA in einem klaren Stimmungstief. Dies zeigen seit geraumer Zeit auch diverse Verbraucherumfragen. Doch die jüngste Veröffentlichung der Daten zum BIP liefert indirekt eine mögliche Erklärung zur Stimmungslage in den USA. 

Denn gleichzeitig erfolgte die Revision der Daten für 2007 bis 2009. Und hierbei überraschten insbesondere die Zahlen zum privaten Konsum. Danach stieg die Sparquote der privaten Haushalte (blaue Linie in folgender Grafik) bereits mit Ausbruch der Krise 2007 an (und fiel nicht noch bis ins Jahr 2008 hinein). Außerdem lag sie mit über sieben Prozent im zweiten Quartal 2009 um ganze zwei Prozentpunkte höher, als bisher angenommen!

 

Quelle: Bureau of Economic Analysis

Doch nicht nur das. Die Sparquote schnellte nach oben, trotzdem das durchschnittlich verfügbare Einkommen (inflationsbereinigt) ebenfalls leicht anstieg (rote Kurve)! Was anfangs als „Angstsparen“ abgetan wurde, entwickelt sich inzwischen wohl doch zu einem anhaltenden Trend.

Und dies hat einen offensichtlichen Grund. Während die Amerikaner die Unsicherheit im Job gewöhnt sind, ist der Verlust ihres Heims für sie ein extrem einschneidendes Erlebnis. Dagegen verblasst offenbar auch der Verlust der Ersparnisse in einem Börsen-Crash wie beispielsweise 2000-2003.

 

Das eigene Haus – das wichtigste Vermögen

Nun ist die Zahl der tatsächlich von Zwangsversteigerungen Betroffenen trotz allem noch vergleichsweise überschaubar. Doch selbst diejenigen, denen dieses Schicksal nicht unmittelbar droht, spüren die Auswirkungen. Da viele immobilienbezogene Abgaben in den USA auf den aktuellen Wert des Objektes bezogen werden, spüren alle Immobilienbesitzer den (buchungstechnischen) Vermögensverlust. Genauso wie wir einen „Buchverlust“ an der Börse erleiden, wenn die Kurse einbrechen. 

Doch anders als an der Börse gibt es bei Immobilien laufende Verpflichtungen, z.B. aus Hypotheken. Und diese bleiben auch bei einem „Buchverlust“ konstant bzw. steigen – je nach Vertragsgestaltung – sogar noch. 

Und nicht zuletzt ist es wie in allen Krisen: Selbst wer nicht unmittelbar betroffen ist, kennt jemanden, der jemanden kennt, der davon gehört hat... Die zusätzliche Unsicherheit um den Arbeitsplatz tut dann noch ihr Übriges. Dies ist eine ziemlich einzigartige und völlig neue und daher ungewohnte Erfahrung für die erfolgsverwöhnten Amerikaner. Sie stellt ihr bisheriges Weltbild gehörig auf den Kopf. 

Scheinbare gesetzliche „Verschärfungen“ (Gesundheitsreform) bzw. als unzureichend oder ungerecht empfundene Maßnahmen (Finanzmarktreform) erzeugen zudem ein – ebenfalls ungewohntes – Gefühl der Dominanz des Staates. Andererseits wünscht sich sicherlich mancher (ebenfalls ungewöhnlich) Hilfe von Seiten des Staates – und des von so vielen Hoffnungen ins Amt begleiteten Präsidenten. Stattdessen liefen staatliche Unterstützungen für Immobilienkäufer im April aus. Und genau seit diesem Zeitpunkt schlagen die US-Börsen Purzelbäume...

 

Neue Erfahrungen drücken die Stimmung

Diese Stimmung in der Bevölkerung ist offenbar mit Ausbruch der Euro-Schuldenkrise auch in den Medien angekommen. Europa war also nicht Auslöser des Stimmungsumschwungs, sondern der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

 „The Great Recession“ bezieht sich also weniger auf die wirtschaftliche, als auf die stimmungstechnische Lage. Da aber Wirtschaft zu mindestens 50 % Psychologie ist, wie schon Ludwig Erhard wusste, sind mittelfristige Folgen für die US-Konjunktur tatsächlich nicht ausgeschlossen. Schlimmstenfalls droht sogar dann doch der befürchtete „Double Dip“.

Allerdings liefert die aktuelle BIP-Statistik auch hoffnungsvolle Signale: Parallel zu den übermäßigen Sparanstrengungen der privaten Haushalte legten die Investitionen der Unternehmen überproportional zu. Gleichzeitig sind die Unternehmen vergleichsweise optimistisch, wie die Verlautbarungen zur laufenden Berichtssaison ergaben. Das ist nicht nur gut für die aktuellen Zahlen, sondern auch wichtig für die kommenden Jahre. Denn Investitionen von heute sind die Produktion von morgen. 

 

Künftige Verbesserungen könnten bald sichtbar werden

Damit schließt sich der Kreis. Denn da, wo produziert wird, werden auch Arbeitskräfte gebraucht. Und Menschen mit Jobs blicken optimistischer in die Zukunft. Doch bis dahin könnten die Börsen holprig bleiben. Denn die großen Medien folgen derzeit den Bären.

Und solange auch noch opportunistische Börsenpublikationen das schnelle Geschäft mit der Angst der Anleger machen, werden es die Bullen schwer haben. Lassen Sie sich also von dieser trübseligen Stimmung nicht anstecken! Halten Sie die Augen offen, nach den Gelegenheiten die sich auch in schwierigen Zeiten ergeben. Und verpassen Sie vor allem nicht den Moment, wenn das Pendel wieder in die andere Richtung umschlägt...

Steffens Daily --->stockstreet.de

 
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