Double-Dip-Rezession wahrscheinlicher als eine konjunkturelle Erholung. Der US-amerikanische Investmentberater und Herausgeber von “Credit Writedowns“, Edward Harrison, sieht keinen Grund für eine Krisenentwarnung. „Wir sehen zwar derzeit etwas Wachstum und die Schwierigkeiten scheinen kleiner zu sein, aber im Grunde stehen wir immer noch mit den gleichen Problemen da.“
Edward Harrison, geboren 1969 in Washington D.C., arbeitet als Partner bei Global Macro Advisors und ist Herausgeber des viel geschätzten Finanzblogs „Credit Writedowns“ (www.creditwritedowns.com). Zusätzlich zu einem ausführlichen Interview, das gestern in englischer Sprache unter diesem Link erschien:http://www.chaostheorien.de, nahm sich Herr Harrison auch etwas Zeit, um ein paar Fragen auf deutsch zu beantworten.
Von Lars Schall
Herr Harrison, wie beurteilen Sie die derzeitige Lage des Euroraums, und wie fügen sich die Probleme des Euro für Sie ins Große und Ganze ein?
Meines Erachtens nach hat sich die Lage für den Euroraum in den letzten drei Wochen etwas verbessert. Das Interessante ist vor allem, dass die Konjunktur in Europa, und besonders in Deutschland, sehr viel besser läuft als in den Vereinigten Staaten. Im Großen und Ganzen ist mein Eindruck, dass wir die Krise des Euro momentan hinter uns gelassen haben. Sie wird aber zurückkommen und wir werden erneut Probleme in der Eurozone sehen, allerdings werden bis dahin noch ein paar Monate vergehen, bevor das passiert.
In Europa herrscht die Stimmung vor, dass der Euro von New York und der City of London aus unfair angegriffen worden sei. Teilen Sie diese Auffassung?
Nein, auf keinen Fall. Was wir in der Vergangenheit gesehen haben, war im Grunde, dass die Staaten, die sehr schwach dastanden, diese so genannten Angriffe abbekommen haben. Das hatte aber im Nachhinein betrachtet ganz offensichtlich mit den zu großen Staatsschulden zu tun. Wir werden mal sehen, ob die Maßnahmen, die nun getroffen wurden, genug sind. Ich bin da skeptisch. Besonders für Griechenland wird die Problematik zurückkommen. Das hat nichts mit den anglo-amerikanischen Händlern zu tun, sondern mit der fundamentalen Schwäche mancher Länder der Eurozone.
Inwiefern wird die Euro-„Rettung“ eventuell negative Auswirkungen für Deutschland hervorbringen?
Für Deutschland kann das alles, zumindest kurzfristig, eigentlich gute Resultate haben. Eine Schwächung der Währung war immer gut für das Exportvolumen Deutschlands. Und jetzt läuft die Konjunktur nicht schlecht deswegen. Ich verstehe, dass die Deutschen eine starke Währung haben wollen, aber auf der anderen Seite ist eine Schwäche der Währung für Deutschland gar kein Problem. Ganz im Gegenteil: für eine Exportnation wie Deutschland besitzt das Vorteile.
Zuletzt stieg der Goldpreis unter dem Eindruck der Eurokrise. Darf man optimistisch bleiben?
Ich denke schon. Über die lange Strecke gesehen darf man optimistisch bleiben. Momentan sehen wir eine Konsolidierung und insofern geht der Preis etwas zurück, aber die Nachfrage wird zurückkehren mit der Zeit.
Eine Blase sehen Sie beim Goldpreis nicht?
Noch längstens nicht. Wenn wir uns den Preis von vor dreißig Jahren anschauen, als er bei 800 US-Dollar lag, müssten wir in den heutigen Preisen erst einmal einen Preis von ungefähr 2200 US-Dollar erreichen. Und bei den Massen an Geld, die die Zentralbanken drucken, kann man beruhigt davon ausgehen, dass wir noch deutlich höher als 2200 US-Dollar gehen werden.
Für die Entwicklung des Goldpreis sind Inflationsbefürchtungen wichtig. Steht für Europa und die USA eine ausgeprägte inflationäre Phase zu erwarten oder doch eher ein deflationärer Crash?
Ich denke, zuerst kommt ein deflationärer Niedergang. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass es einen deflationären Crash geben wird. Derzeit geht die Inflation jedenfalls zurück. Später wird sie wiederkehren. Die Nachfrage, die wir langfristig bei Gold sehen, hat mit der Währungsschwäche zu tun und damit, dass man etwas haben möchte, das seinen Wert hält. Eine Währungsschwäche kann es auch ohne Inflation geben. Das sehen wir momentan: die Währung wankt und wird nicht wirklich stabil.
Was halten Sie von der Quantitativen Lockerung, die die Federal Reserve vor kurzem ankündigte?
Gar nichts. Wir haben während der ersten Phase der Quantitativen Lockerung gesehen, dass sie nichts bewirkt hat, außer dass die Immobilienpreise und die Aktienwerte etwas hochgingen. Auf die Inflationsrate hat sie keinen Effekt, was die Federal Reserve eigentlich beabsichtigt, und auch für die Kreditvergabe kann ich den nicht sehen. Die Quantitative Lockerung ist keine Lösung unserer Probleme.
Erwarten Sie für die USA eine Double-Dip-Rezession?
Da würde ich sagen, dass man sie nicht erwarten muss, man sollte sie aber auf keinen Fall ausschließen. Ich persönlich bin der Meinung, dass eine Double-Dip-Rezession wahrscheinlicher ist als eine konjunkturelle Erholung. Das gilt besonders, wenn man sich anschaut, wie sich die Immobilienpreise und der Mangel an Arbeit entwickelt. Das Problem der Unterbeschäftigung in den Vereinigten Staaten wird nicht schnell beseitigt werden.
Wie könnte denn das Arbeitsplatzproblem gelöst werden in einer Wirtschaft, die größtenteils de-industrialisiert ist, wie in den USA der Fall?
Eben das ist das Problem. Wir besitzen strukturelle Schwierigkeiten, die langfristiger Natur sind. Die Politiker sprechen viel von der Schaffung von so genannten „Green Jobs“, womit umweltorientiertes Investment gemeint ist. Die Zeit wird zeigen, ob das gelingen kann. Aber selbst wenn es gelingt, wird das dauern. Deswegen haben wir auch die Abhängigkeit vom Finanzsektor, weil es keine andere Lokomotive für die Schaffung von Arbeitsplätzen gibt.
Wird die globale Krise, in der wir stecken, mit einem Platzen der chinesischen Finanzblase verschärft weitergehen und ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen?
Das Platzen der chinesischen Blase sehen wir gerade. Die Frage ist, was mit der Konjunktur passiert. Ich denke, dass eine harte Landung bevorstehen könnte. Wenn China nur um fünf Prozent oder weniger wächst, werden wir beispielsweise große Auswirkungen auf die Rohstoffpreise haben. Und wenn die Vereinigten Staaten überverschuldet sind und die Europäer nunmehr auf Einsparungen setzen, kann das Wachstum der Weltwirtschaft im Grunde nur von China kommen, zusammen mit Indien und Brasilien. Fünf Prozent wären hier zu wenig. Das heißt nicht, dass das zu einer tiefen Depression führen muss, aber negative Auswirkungen wird es definitiv geben. Der Immobilienmarkt in China ist jedenfalls eine große Blase, die nicht weitergehen kann. Allerdings müssen wir abwarten, wie China das aushalten wird.
Ein Ende der Krise sehen Sie nicht?
Nein, die Krise wird weitergehen. Wir sehen zwar derzeit etwas Wachstum und die Schwierigkeiten scheinen kleiner zu sein, aber im Grunde stehen wir immer noch mit den gleichen Problemen da. Besonders in den USA, in Großbritannien, Spanien und Irland, wo die Schulden im Privatsektor extrem hoch sind. Für Deutschland wird es auch Probleme geben, allerdings bin ich der Meinung, dass Deutschland vergleichsweise gut aus der Krise hervorkommen kann. Deutschland orientiert sich von den USA weg und mehr hin zu China, Brasilien und so weiter. Das dürfte positive Resultate hervorbringen.
Herr Harrison, für wie wahrscheinlich sehen Sie einen Krieg gegen den Iran?
Einen amerikanischen Angriff sehe ich nicht als wahrscheinlich an. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass dort etwas passiert. Aber man muss bedenken, dass Obama ein Problem damit hat, sowieso schon zwei Kriege führen zu müssen, die er von Bush erbte. Diese Kriege gehen immer noch weiter, und von daher halte ich es nicht für besonders wahrscheinlich, dass noch ein dritter hinzukommt. Wenn die Kriege im Irak und in Afghanistan vorbei wären, sähe die Lage anders aus. Einzelne Schläge aus der Luft sind möglich, aber einen richtigen Krieg sehe ich nicht. Obama würde sehr große Probleme mit seiner Partei bekommen, wenn er noch einen Krieg anfinge.
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Herr Harrison!