Marshall Auerback vertritt die These, dass Staaten durchaus Gas geben sollten bei den Schulden. Nur so könne man ein drohendes Fiasko abwenden. Einsparungen bedeuteten zwangsläufig Pleiten, Bankrott und hohe Arbeitslosigkeit. Ein Beispiel dafür sei Großbritannien.
von Marshall Auerback , Übersetzung von Lars Schall
Wir beginnen die wirtschaftliche Auswirkung des „neuen Normalen” in der Praxis zu sehen, wie sie Paul Krugman vor kurzem skizzierte. Nachdem Regierungen drastische Einsparmaßnahmen ergriffen, dämmert es ihnen jetzt, dass sie mit diesem Büßerhemdwirtschaften das Wachstum untergraben.
Das Paradebeispiel dafür ist das Vereinigte Königreich. Die NY Times druckte eine Bilanz des „Untergangs” der britischen Städte durch die Ausgabenkürzungen von ungefähr 130 Milliarden US-Dollar, die mit dem Haushaltsbudget vom letzten Juni in Kraft traten. Die Times beschrieb das Ganze als „eine Massenexekution ohne Widerspruch.”
Zusammen mit diesem Artikel kommt ein Bericht von der Financial Times, Schlagzeile: “Economic Fears Rise as House Prices Dip.” Hier wird dokumentiert, dass die Häuserpreise im UK zum ersten Mal seit einem Jahr gefallen sind. Der Artikel weist darauf hin, dass dieser Rückschlag eintrat “after a year when the recovery in house prices surprised almost everyone and brought relief to Britain’s stretched banks, [so] the return of a buyers’ market threatens to increase jitters in a fragile economy.”
Nun, für uns waren weder die Nachricht der aus der Bahn geworfenen britischen Kommunen, noch die letztjährige Erholung des UK-Immobilienmarkts in irgendeiner Weise „überraschend“. Von der größten Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg heimgesucht, tat die letzte Labour-Regierung das, was jede sensible Administration tun sollte, wenn es nicht genug Aktivität in der Wirtschaft gibt, um die Beschäftigung und das Wachstum der Arbeitnehmerschaft beizubehalten: sie steigerte die öffentliche Nachfrage durch größere Nettoausgaben des Staates.
Bei allem Gejammer über das „außerordentliche” Budgetdefizit der Briten, war diese politische Antwort der Brown-Regierung tatsächlich eine gute. Im Großen und Ganzen stabilisierte sie die Wirtschaft und hielt die Arbeitslosigkeit unter dem Niveau von 7%. Trotz der Kritik des Vorsitzenden der Bank of England stellte die Regierung legitimer Art dar, dass der rapide Anstieg der staatlichen Schulden eine unvermeidbare Konsequenz der Finanzkrise war (die selbst das Produkt eines Schulden-Saufgelages des Privatsektors ist).
Ja, womöglich könnte man sehr gut kritisieren, dass eine große Anzahl der Leistungen in Wirklichkeit an jene ging, die am wenigsten benachteiligt waren, aber das entkräftigt nicht das Argument, dass der Einsatz der Ausgabenressourcen eines Staates eingesetzt werden kann, wenn man sich mit einem enormen Produktionsmangel und einer enormen Unterauslastung der Arbeiterschaft konfrontiert sieht.
Aus dem gleichen Grund sind die Versuche, die angebliche „staatliche Verschwendung“ zu senken (d. h. die neue Rechtfertigung, die staatliche Wohlfahrt zu attackieren), im Kontext einer weitergehenden hohen Arbeitslosenrate damit verknüpft, dass sie zu einer weiteren ökonomischen Schwächung UND einer höheren öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP führen, nämlich durch ein sinkendes BIP. Zweifelsohne sind manche staatlichen Ausgaben höchst ineffizient (obwohl es im Lichte der Plethora einer vom Privatsektor induzierten Schuldenblase ziemlich unglaubwürdig ist zu argumentieren, dass jedwede Ausgaben des Privatbereichs ausnahmslos effizienter sind als die des Staats).
Aber das Defizit insgesamt ist nichts anderes als ein Rechenausdruck für die Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen. Sich darüber als „unnachhaltig“ zu beschweren ist so, als ob man sich über die Anzeigetafel eines Fußballspiels beschwerte, weil sie anzeigt, dass die eigene Mannschaft mit zwei Toren verliert, statt sich auf das Geschehen auf dem Spielfeld zu konzentrieren, das die Zwei-Tore-Differenz überhaupt schuf.
Im Vereinigten Königreich (wie auch in den USA) versuchen die Verbraucher immer noch ihre Schulden zu reduzieren, wodurch die Sparquote steigt. Von diesem Bereich ist also wenig Kreditdurst zu erwarten. Dadurch ergibt sich das Problem einer Lücke bei der Gesamtnachfrage, das nur durch die Fiskalpolitik korrigiert werden kann. Aus politischen Gründen ist das derzeit leider unmöglich.
Weder die Federal Reserve, noch die Bank of England (zwei der führenden Ausübenden der „Quantitativen Lockerung“ in den letzten 18 Monaten) vermögen durch ein Schwenken ihres „QL“-Zauberstabs die Wirtschaftslage zu verbessern. Niedrige Zinssätze mögen vielleicht die Kosten der Kreditnahme senken; eine solche Politik stiehlt jedoch auch das Einkommen von Sparern, zum Beispiel von Rentnern.
Und hinsichtlich der Gesamtnachfrage ist zu betonen, dass Privatunternehmen positive Aussichten brauchen, dass sie das, was sie produzieren, auch verkaufen können. Diese Aussichten bleiben gedämpft. Weshalb denn auch die Geschäftsbanken in den USA nach wie vor wenig Kredite vergeben, während das hohe Schuldenniveau eine weitere Kreditnahme durch die Verbraucher extrem problematisch macht.
Nachdem sie die Auswirkung der Ausgabenpolitik öffentlich missbilligten und vor den langfristig schädlichen Effekten einer steigenden öffentlichen Verschuldung warnten, können die Federal Reserve und/oder die Bank of England nun nicht den Kurs wechseln und glaubwürdig einen Ausgabenstimulus unterstützen. Um die saft- und kraftlose Natur ihrer jeweiligen monetären Reaktionen zu verwischen, präsentiert eine Anzahl von Ökonomen die hohen Arbeitslosigkeitsraten als „strukturell“ bedingt. Damit wollen sie andeuten, dass man sehr wenig dagegen tun kann. Es ist schlicht und ergreifend das „neue Normale“, was in Wahrheit das ultimative politische Versagen darstellt.
Unsere poltischen Eliten wagen es nicht, sich die Sinnlosigkeit von Ausgabeneinsparungen einzugestehen. Drum fallen sie auf Theorien wie die “equilibrium unemployment rate” oder die “non-accelerating inflation rate of unemployment“ (kurz NAIRU) zurück. Damit wollen sie andeuten, dass die Versuche, die Unterauslastung der Arbeiterschaft durch eine Expandierung der Ausgabenpolitik zu reduzieren, inflationär wären, wenn es keine „strukturellen Reformen“ gäbe.
Dazu zählen Privatisierung, die Deregulierung des Arbeitsmarkts, Gesetzgebungen gegen Gewerkschaften und harsche Maßnahmen gegen das Wohlfahrtssystem. Aber diese Maßnahmen der „Angebotsseite“ reflektieren in Wirklichkeit die Agenda-Präferenzen des späten 20. Jahrhunderts, die die Einkommen zerstört und die Mittelschicht ausgeweidet haben. Unser „neues Normales“ stellt somit ein kollektives Schulterzucken unserer Politiker dar, die den wachsenden Unterstrom aus Wut und Verzweiflung ignorieren.