Als die Blase im Nikkei Index im Jahr 1990 platzte, fielen nicht nur die Aktienmärkte. Auf das zunehmend unsichere wirtschaftliche Umfeld reagierten die Anleger mit Anleihen-käufen am langen Ende, was die Zinsen immer mehr ins Rutschen brachte. Am kurzen Ende versuchte die japanische Zentralbank ebenfalls mit Zinssenkungen die Wirtschaft zu stimulieren. Als später das Werkzeug des „Quantitative Easing“ ausgepackt wurde, brachte auch dieses Mittel Japan nicht aus der Deflation heraus.
Als die Blase im Nasdaq Index im Jahr 2000 platzte, fanden sich die USA ebenfalls unvermittelt in einem deflatorischen Umfeld wieder. In 2002/03 konnte eine Nullzins-politik gerade noch vermieden werden. Dies gelang im Gefolge des Lehman-Crashes nicht mehr. Seit Ende 2008 gilt in den USA die Nullzinspolitik, gepaart mit dem Werkzeug des bereits in Japan eingesetzten „Quantitative Easing“.
Da die japanische Blase genau 10 Jahre früher platzte als die Nasdaq-Blase, könnte man mit gutem Recht annehmen, dass sich die Zinssätze im Gefolge in den USA ähnlich verhalten wie in Japan. Das würde bedeuten, dass sich die US-Nullzinspolitik incl. niedriger Zinsen auch am langen Ende bis zum Jahr 2020 fortsetzt (folgender Chart).
Auf der anderen Seite existiert seit dem Jahr 1800 ein Zinszyklus, dessen obere und untere Wendepunkte sich etwa alle 30 Jahre abwechseln. Nachfolgend zeigen wir den Chart seit 1915.
Da die Zinsen seit Beginn der 1980er Jahre fallen, müsste die Phase der Bodenbildung in spätestens ein bis zwei Jahren abgeschlossen sein. Der Gedanke niedriger Zinsen bis 2020 widerspricht diesem Zyklenmuster.
Wie wird sich diese Konfliktsituation auflösen? Bleiben die Zinsen niedrig oder beginnen sie demnächst ihren zyklischen Anstieg? Die Gemeinschaft der Industriestaaten steht vor einem nicht aufzulösenden Dilemma: Einerseits ist Wachstum erwünscht, um die Neuverschuldung mit Hilfe von Steuereinnahmen zurückfahren zu können. Andererseits sollen die Zinsen besonders niedrig sein, damit die Staatsbudgets nicht übermäßig von Zinszahlungen belastet werden. Beides kann man jedoch nicht haben, da Wirtschaftswachstum üblicherweise steigende Zinsen mit sich bringt.
Da die Blase in Japan zuerst patzte, der Schrumpfungsprozess der Bevölkerung Japans bereits läuft und auch der Verschuldungsprozess dort so weit fortgeschritten ist wie in keinem anderen größeren Industrieland (mehr als 50 Prozent des japanischen Haushaltsbudgets wird durch Neuverschuldung finanziert), dürfte Japan eines der ersten Länder sein, das sich ernsthaft einem Problemlösungsprozess stellen muss.
Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Schuldenproblematik zu implodieren droht, dirigieren die Marktteilnehmer ihre Liquidität massiv in Staatsanleihen (siehe Chart).
Das ist vergleichbar mit einer Situation, in die Bewohner eines brennenden Hauses ihr bereits gerettetes Hab und Gut zurück in die Flammen werfen.
Staatsanleihen sind kein sicherer Hafen. Die Probleme des „Club Med“ plus Irland haben sich nicht in Luft aufgelöst, nur weil die Medien kaum noch darüber berichten. Dies zeigen - die sich auf neuen Verlaufshochs befindenden – Zinsspreads zur Benchmark Bundesanleihen (nächster Chart).
Für Politiker gilt ein einfaches Gesetz: Niedrige Zinssätze verleiten zum Geldausgeben (Beispiel USA), während hohe Zinssätze das Sparen erzwingen (Beispiel Griechenland). Niedrige Zinssätze können Politiker sogar soweit bringen, dass sie glauben, einen Krieg billigst finanzieren zu können. Man beachte, dass sich die Zinsen sowohl vor Ausbruch des ersten als auch des zweiten Weltkriegs auf historisch niedrigen Niveaus befanden.
Je länger eine Niedrigzinsphase andauert, desto mehr könnten Politiker auf dumme Ideen kommen. Schon deshalb wäre ein baldiger Zinsanstieg die „gesündere“ Variante.
Schon jetzt nehmen Wirtschaftskriege Gestalt an. China diversifiziert einen Teil seines Handelsbilanzüberschusses in japanische Staatsanleihen. Im Ernstfall eines japanischen Staatsbankrotts dürfte China sein Geld zurückfordern. Zahlt Japan nicht, könnte China Landkompensationen einfordern.
Zudem löschen Niedrigzinsen eine Gruppierung aus, die man in früheren Zeiten „Sparfüchse“ genannt hat. Viele jüngere Leute (bis 30 Jahre) werden diesen Begriff nicht mehr kennen. Es gab tatsächlich Zeiten gab, in denen man sein Geld „aufs Sparbuch legte“ und damit Realgewinne erzielen könnte.
Auch gilt: Wie das Beispiel Japan zeigt, stimulieren niedrige Zinsen die Konjunktur nicht, sondern erhöhen lediglich die Verschuldung.
Fazit: Niedrige Zinsen sind auf vielfältige Art und Weise verführerisch. Aus den genannten Gründen sollte auf eine anhaltende Niedrigzinspolitik verzichtet werden. Wir glauben nicht an niedrige Zinsen bis 2020. Dafür ist die Instabilität des Weltfinanzsystems bereits zu weit fortgeschritten. Die fällige Neuordnung der Finanzwelt sollte möglichst bald vollzogen werden. Aber nicht in kriegerischer, sondern möglichst in friedlicher Art und Weise. Der „Wiener Kongress Teil 2“ muss - ausgehend von der G20-Gruppierung - für alle teilnehmenden Staaten zu einem halbwegs befriedigenden Interessensausgleich führen. Im Zuge dieser Verhandlungen sollten gegenseitige finanzielle Abhängigkeiten eliminiert werden. Zudem sollte ein neues Währungssystem eingeführt werden. Vorschläge dafür gibt es zuhauf (Golddeckung, konkurrierende Privatwährungen etc). Die Uhren der Kapitalmärkte sollten auf Null gestellt werden. In solchen Verhandlungen käme China als größtem Gläubiger die Schlüsselrolle zu. Wie weit geht die Bereitschaft Chinas, auf Forderungen zu verzichten?
Der österreichische Außenminister Fürst von Metternich hatte die Neuordnung Europas in kluger Manier im Rahmen des Wiener Kongresses zustande gebracht. Zum Lohn erhielt er die Domäne Schloss Johannisberg (Rheingau) 1816 vom Kaiser Franz I. als Geschenk.
Sollte es einem Politiker auf dem "Wiener Kongress II" gelingen, erfolgreich den verästelten Kapitalmarkt zu entwirren und mit einer Neuordnung die Staatengemeinschaft allseits zufrieden zu stellen, so wäre ein Weingut als Alterssitz für diese Leistung eine verhältnismäßig kleine Belohnung…