Brüderle: „Fachkraft aus dem Ausland ermöglicht Arbeitsplätze für Deutsche“. Wirtschaftsminister Bürderle will Zuwanderungskonzept ausarbeiten – Punktesystem nach nationalem Bedarf, aber „keine staatliche Werbeprämie“ – Fachkräftemangel auch durch freiwillige Arbeit bis ins hohe Alter bekämpfen.
Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle will nach seinem Fachkräftedialog mit den Wirtschaftsverbänden am Dienstag (31. August) ein umfassendes Konzept zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte ausarbeiten. In einem Interview mit dem Magazin WirtschaftsWoche sprach sich der FDP-Politiker dafür aus, „Zuwanderung in Qualität“ zu organisieren. „Wir werden ohne Fachkräfte aus dem Ausland unseren Wohlstand nicht halten können.“ So empfiehlt Brüderle, das für Zuwanderer erforderliche Mindesteinkommen deutlich abzusenken und die Prüfung, ob es für eine Tätigkeit deutsche Bewerber gibt, abzuschaffen. „Das wären zum Beispiel zwei Maßnahmen, die aus meiner Sicht sehr schnell positive Wirkung entfalten könnten.“ Niedrigere Einkommensgrenzen wären „in der Tat ein wichtiger Schritt. Bislang wird von Zuwanderern ja ein viel zu hohes Mindesteinkommen von 66 000 Euro gefordert. Das erreichen selbst Akademiker in den ersten Berufsjahren kaum.“ Im vergangenen Jahr hätten weniger als 150 hoch qualifizierte Migranten eine unbegrenzte Niederlassungserlaubnis in Deutschland erhalten. Brüderle: „Wir verschenken da ein gewaltiges Potenzial.“ Auch das Handwerk habe in manchen Branchen wachsenden Fachkräfte- und Nachwuchsbedarf, zum Beispiel Bäcker und Metzger.
„Meine Initiative ist nicht gegen deutsche Arbeitskräfte gerichtet, im Gegenteil“, so Brüderle weiter. Durch die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte würden die Beschäftigungschancen deutscher Arbeitnehmer sogar größer. „Eine Fachkraft, die wir aus dem Ausland gewinnen, kann manchmal mehrere Arbeitsplätze für Deutsche ermöglichen. Ausländische Fachkräfte sind also keine Konkurrenz für den deutschen Arbeitsmarkt, sondern komplementär. Deshalb wäre ein Punktesystem am besten, das sich klar an unseren nationalen Interessen ausrichtet.“ Dabei will sich der FDP-Minister an ausländischen Erfahrungen orientieren. „Kanada könnte ein gutes Vorbild sein. Dort sieht man sich genau an, in welchen Bereichen Bedarf an qualifizierten Zuwanderern besteht. Menschen mit diesen beruflichen Qualifikationen erhalten dann ein Maximum an Punkten, die eine unkomplizierte Zuwanderung möglich machen.“
Zuschüsse der öffentlichen Hand zur Anwerbung lehnt Brüderle allerdings ab. „Es darf keine staatliche Werbeprämie geben“, sagte der Minister der WirtschaftsWoche. „Aber warum sollen die Unternehmen das nicht im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter tun? Begehrten Arbeitnehmern wird doch auch der Umzug von Nord- nach Süddeutschland bezahlt.“
Einwände von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und Innenminister Thomas de Maizière, die neue Zuwanderungsregeln bereits abgelehnt haben, will Brüderle überwinden. Er stehe mit seinen Kollegen im Dialog. „Ich glaube immer an die Kraft des guten Arguments.“ Natürlich müsse Deutschland alle heimischen Potenziale ausschöpfen, von der Beschäftigung Älterer bis zur besseren Qualifizierung und Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. „Die Bildungschancen der Kinder dürfen nicht vom Geldbeutel und der Herkunft der Eltern abhängen. Es ist richtig, Kinder aus sozial schwachen Familien fit zu machen zum Beispiel auch für eine Karriere als Ingenieur.“ Aber bis das in großer Zahl gelinge, „dauert es noch eine Weile. So lange können wir nicht warten, um die Facharbeiterlücke zu schließen.“
Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen schlägt Brüderle zudem eine flexiblere Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand vor. „Ich bin für eine Flexibilisierung. Wer entsprechende Abschläge in Kauf nimmt, sollte auch mit 60 Jahren schon in Rente gehen können. Wer kann und will, sollte aber auch lange arbeiten dürfen. Ich bin zutiefst überzeugt: Deutschland wird die Älteren dringend brauchen.“ Die Lebenserwartung werde in den nächsten zwei Jahrzehnten noch einmal um zwei bis drei Jahre steigen. „Viele Ältere sind heute fit und aktiv und wollen nicht auf das Abstellgleis geschoben werden. Von ihren Erfahrungen können wir alle profitieren. Mein eigener Vater hat als Einzelhändler bis zum Alter von 86 Jahren gearbeitet. Er wäre nie so alt geworden, wenn er nicht aktiv geblieben wäre.“