Netto Marken-Discount: Massive Kritik am Umgang mit Beschäftigten. Verdi will offensiver gegen „Mitarbeiterdrill“ bei Netto vorgehen. Unternehmen weist Vorwürfe zurück.
Deutschlands drittgrößter Lebensmitteldiscounter, der Netto Marken-Discount, gerät wegen seiner Personalpolitik unter Druck. Nach Recherchen der WirtschaftsWoche klagen zahlreiche Mitarbeiter über Sparwut in den Filialen, ein immenses Arbeitspensum und rigide Personalführung.
„Der Druck auf die Leute ist unglaublich“, sagte Ulrich Dalibor, Bundesfachgruppenleiter Einzelhandel bei Verdi, dem Magazin. Es gebe „immer wieder Beschwerden über Mitarbeiterdrill, unbezahlte Überstunden und falsche Bezahlung", sagte Dalibor und kündigte an: "Wir werden uns jetzt offensiver mit Netto befassen.“ Rund zwei Dutzend ehemalige und aktuelle Mitarbeiter aller Hierarchiestufen bestätigten die Vorwürfe gegenüber der WirtschaftsWoche und bezeichneten die Unternehmenskultur als „miserabel". Kritik übten vor allem Mitarbeiter, die im Zuge der Übernahme des Tengelmann-Discounters Plus zu Netto gekommen waren.
Interne Unterlagen, die der WirtschaftsWoche vorliegen, deuten zudem darauf hin, dass Mitarbeiter gezielt aus dem Unternehmen gedrängt werden sollten, um Personalkosten zu sparen. In einer E-Mail eines Netto-Gebietsverkaufsleiters von April 2010 werden Verkaufsleiter, die jeweils sechs bis acht Märkte betreuen, aufgefordert, Maßnahmen zu definieren, um „die Kosten zu senken“. Diese Maßnahmen würden Mitarbeitergespräche zur Stundenreduzierung beinhalten, zudem sollten alle befristeten Verträge auslaufen. Schließlich müsse die „Umbesetzung von Problemmitarbeitern in Filialen“, erfolgen, „bei denen Sie die Unterstützung des ML (Marktleiters) haben, um eine Freisetzung zu unterstützen“.
Auch ein „Leitfaden“ der Netto-Zentrale deutet darauf hin, dass die Verkaufsleiter angehalten wurden, Filialmitarbeiter von einer „Reduzierung der vertraglichen Arbeitszeit“ zu überzeugen. Weigerten sich Filialmitarbeiter, sollte ihnen die Arbeitszeitreduzierung unter anderem „als Alternative zu Versetzungen“ erklärt werden.
Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück. Die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter sei nach der Plus-Übernahme „sehr zufrieden mit der neuen Situation", sagte Unternehmenschef Franz Pröls der WirtschaftsWoche. Dass Vorgesetzte „in Einzelfällen auch mal über die Stränge schlagen oder es Missverständnisse gibt, ist bedauerlich, lässt sich bei der Größe des Unternehmens leider nicht völlig vermeiden.“ Generell gelte für Netto: „Überstunden werden ausgezahlt, im Krankheitsfall wird der Lohn weiter gezahlt, und es gibt selbstverständlich keine Anweisungen, Beschäftigte aus dem Unternehmen zu drängen“, so Pröls.
Die Edeka-Tochter Netto Marken-Discount beschäftigt rund 64.000 Mitarbeiter und betreibt mehr als 4000 Filialen in Deutschland.