Entgegen landläufiger Meinung ist der Irak nicht ein einziges Trümmerfeld. Gerade die unter der Verwaltung der Kurdischen Regionalregierung stehenden drei nördlichen Provinzen erfahren derzeit ein regelrechtes Wirtschaftswunder.
Der beste Indikator für die verbesserte Wirtschaftslage ist das Verhältnis zwischen Irakischem Dinar und US-Dollar. Im Oktober 2003 stand der Wechselkurs für einen US-Dollar bei 1949 Irakischen Dinar. Heute erhält man für einen US-Dollar nur noch 1150 Irakischen Dinar. Dies bedeutet, dass das Vertrauen in den Irakischen Dinar um fast 70 % gestiegen ist.
Motor dieser Entwicklung war und ist der unübersehbare Bauboom in dieser Region. Nach 30 Jahren Kriegs- und Embargoleiden fungiert nun zudem der internationale Handel gerade durch Importe im großen Stil wieder als Wachstumsmotor für die irakische Wirtschaft. Während die wichtigsten Handelspartner vor dem Embargo die EU und allen voran Deutschland waren, nehmen die Spitzenpositionen heute jedoch die Nachbarstaaten ein. Spitzenreiter ist die Türkei!
Allein die deutschen Ausfuhren in den Irak gingen von 4 Mrd. vor dem Embargo und 403,8 Millionen Euro im Jahre 2002 auf 138,1 Millionen € zurück. Die Türkei dagegen verzeichnet Zuwachsraten von bis zu 300% (!) allein in der exportorientierten Baubranche.
Hauptgrund für diesen Absturz der Handelsbilanz Deutschlands ist die flächendeckende Desinformation über den Irak hierzulande. Kaum einem Unternehmer ist bekannt, dass beispielsweise die Sicherheitslage im Gebiet der Kurdischen Regionalregierung (KRG) mit seinen Provinzen Erbil, Dohuk und Suleimania seit Jahren stabil gut ist.
Die Deutsch-Irakische Mittelstandsvereinigung e.V.(MIDAN) versucht die Vorbehalte der Deutschen und der deutschen Unternehmer abzubauen. Der Verein lud im Juni zu einer Reise in den Irak. Die Teilnehmer waren positiv überrascht. Michael Mross sprach mit dem Vorsitzenden von MIDAN, Gelan Khulusi.
Gelan Khulusi. Khulusi ist Iraker. Er lebt in Deutschland und Irak.
MMnews: Herr Khulusi, wie ist die Stimmung im Irak derzeit?
„Die Stimmung ist abhängig von der Sicherheitslage in den verschiedenen Regionen. Generell kann man sagen, dass der Irak größtenteils schon friedlich ist. Nur in Bagdad und teilweise im Süden leiden die Menschen derzeit immer noch unter dem Terror der extremistischen Kräfte. Allerdings hat auch dieser Terror in letzter Zeit nachgelassen. Aber die Versorgung von Strom und Wasser ist in Bagdad derzeit immer noch schwierig. Manche Gegenden in Bagdad haben nur 2 Stunden Strom am Tag und dies bei Temperaturen von 50 Grad im Schatten.
Euphorie im Norden
Im Norden des Irak kann man dagegen geradezu von einer echten Euphorie sprechen. Alle Menschen packen an und wollen eine neue Zukunft aufbauen. Überall entstehen neue Gebäude, Strassen, Geschäfte. Sogar Autobahnen werden gebaut. Das sieht man am besten in der Hauptstadt des Nordens, in Erbil. Die Stadt hat sich in den letzten Jahren zu einer echten Metropole entwickelt. Hier sagt man: ‚Zwischen einer Baustelle und einer anderen Baustelle liegt eine Baustelle'. Der Flughafen von Erbil wird innerhalb von 5 Jahren zum dritten Mal erweitert. Im 240km entfernten Duhok soll ein zusätzlicher Flughafen entstehen. Iraqi Airways wird demnächst wieder internationale Flüge anbieten. Die ersten Boeings werden im August geliefert. Zusätzlich sind in den letzten Jahren noch viele kleinere Fluggesellschaften gegründet worden, welche verschiedene Städte des Iraks mit ausländischen Zielen verbinden."
Flughafen Erbil
Kann man sich im Norden frei bewegen ohne Angst zu haben?
„Das kann man in vielen Regionen des Iraks. Nur Bagdad ist hier und da noch gefährlich. Aber Erbil zum Beispiel ist völlig gefahrlos. Hier leben jetzt schon viele Kulturen und Religionen friedlich zusammen. Es gibt sogar ein katholisches Viertel mit Kirchen. Außerdem werden viele neue Hotels gebaut, z.B. das Sheraton wird Duhok und das Kempensiki in Erbil. Ausserdem gibt jetzt schon ein großes Hotelangebot, unter anderem auch der „Deutsche Hof" in dem es sogar Bitburger Bier gibt - neben anderen Biersorten."
Wie würden Sie die Situation in Bagdad beschreiben?
„Bagdad ist derzeit komplett ruhig geworden. Die massiven Einsätze der US-Armee in Zusammenarbeit mit der irakischen Armee und die Verriegelung der Southern City hat die Unruhen in der Hauptstadt um 80% reduziert. Trotzdem sollte man etwas vorsichtiger in Bagdad sein."
Woher kommen die Investoren?
„Sie kommen hauptsächlich aus dem arabischen Raum und aus der Türkei. Allein Dubai will 16 Milliarden Euro investieren. Die Europäer sind dagegen kaum vertreten. Die Stadt Erbil will sich zu einem Investorenparadies entwickeln. Ausländische Investoren werden mit niedrigen Steuern gelockt. Ein Welthandelszentrum ist Planung. Überall entstehen neue Wohnviertel. Auch Freizeitparks, Golfplätze und Schwimmbäder werden gebaut. Wer im Nordirak eine Firma gründet, braucht keinen lokalen Geschäftspartner - wie normalerweise in der Golfregion üblich.
Die neuen Bauprojekte verschlingen derzeit Milliarden und sind Symbol und Hoffnung für eine bessere Zukunft. Wer würde denn auch bei uns investieren, wenn er meint, dass der Irak im Chaos versinkt? Jeder hier hat ein Interesse an einem friedlichen Zusammenleben."
Parlament in Erbil
Geht es auch in Bagdad aufwärts?
„Ja schon, aber da traut sich erst recht kein ausländischer Unternehmer rein. Das machen alles die Iraker selbst. Auch in Bagdad ist ein Aufschwung sichtbar, auch wenn die Situation in der Stadt teilweise noch ein bisschen chaotisch ist."
Was kann der Westen tun, damit sich der Friedensprozess im Irak beschleunigt?
„Der Westen sollte sich am Aufbau in den sicheren Regionen beteiligen. Wir brauchen keine Spenden, sondern echte Investoren. Dies könnte dann ein Maßstab für die anderen Regionen sein. Insbesondere Deutschland sollte sich mehr an den Aufbauarbeiten beteiligen. Gemessen am früheren Exportvolumen der Deutschen in den Irak sind die Geschäfte heute praktisch zum Erliegen gekommen. Es wäre sehr schön, wenn sich die Deutschen mit ihrem Know How und mit ihren Technologien stärker beteiligen würden am Wiederaufbau Iraks".
Trauen sich die Deutschen nicht in den Irak?
„Sie sind verängstigt, durch das, was dauernd in den Medien über den Irak erzählt wird. Die Medien vermitteln den Eindruck, als wenn der ganze Irak im Chaos versinkt und man täglich mit Mord und Totschlag rechnen muss. Dies ist aber absolut nicht der Fall.
Bis vor 6 Wochen hat das Auswärtige Amt noch vor Reisen in den gesamten Irak gewarnt. Jetzt sind die Regionen Erbil, Duhok, Suleimania von dieser Warnung freigestellt. Zusätzlich hat die Botschaft der BRD eine Niederlassung der Deutschen Botschaft Bagdad in Erbil eröffnet. Doch deutsche Investoren sind bisher kaum auszumachen".
Wann wird der gesamte Irak zu einem normalen Leben zurückkehren?
„Ich schätze in vier bis fünf Jahren."
Vielen dank für das Gespräch.
In diesem Jahr finden in Erbil, der Regionalhauptstadt des Nord-Irak, folgende Messen statt:
- Erbil International Fair - 15.10. bis 19.10.2008 - umfassende, nicht branchengebundene Messe
- Erbil Agro Food - 04.11. bis 07.11.2008 - Landwirtschaftsmesse
- Project Iraq 2008 - 04.11.2008 bis 07.11.2008 - Baumaterialien und -zubehör, Konstruktion
- Erbil Motorshow - 01.12. bis 05.12.2008 - vorgestellt werden Autozubehör und -ersatzteile
Mehr Infos: http://www.midan.de Deutsch-Irakische Mittelstandsvereinigung - Midan e.V.
MIDAN Deutsch-Irakische Mittelstandsvereinigung e.V. vertritt die Interessen seiner über 850 deutschen und irakischen Mitglieder sowie diverser irakischer Verbände und Institute. Ziel der Arbeit ist die Intensivierung und Förderung der deutsch-irakischen Beziehungen.