Der Präsident der Bundesbank, Axel Weber, in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung
Der Markt muss Liquiditätsprobleme selbst lösen
Geldpolitik muss Moral Hazard vermeiden - Übertreibung und Korrektur sind dem Finanzsystem inhärent
Die internationalen Finanzmärkte haben ein turbulentes Jahr hinter sich. Steigende Ausfallraten im Subprime-Bereich des US-Hypothekenmarktes führten ab dem Sommer 2007 zu mehreren Erschütterungswellen an den internationalen Geld- und Kreditmärkten. Damit endete an den Finanzmärkten ein längerer Zeitraum überaus günstiger Rahmenbedingungen. Hatte bis dahin eine dynamische Weltwirtschaft im Verbund mit niedrigen Teuerungsraten zu sinkenden Risikoprämien geführt, so kehrte sich der Risikoappetit der Investoren seit Sommer letzten Jahres abrupt um. Im Epizentrum der Erschütterungen stand - und steht - das Bankensystem. Die Wucht der Korrektur hat überrascht, denn die großen, internationalen, systemisch relevanten Finanzinstitute waren ganz überwiegend mit reichlich Eigenkapital ausgestattet, ertragsstark und hatten ihr Risikomanagement verbessert. Mit dem Ende der günstigen makrofinanziellen Gesamtkonstellation zeigte sich jedoch, dass wesentliche Teile der Geschäftsmodelle des Kredittransfers und das entsprechende Risikomanagement der Banken auf brüchigem Fundament ruhten. Seit einigen Wochen lassen sich zwar gewisse Anzeichen einer Entspannung beobachten, die Lage an den Geld- und Kreditrisikotransfermärkten bleibt jedoch schwierig. Der Rückgang der Verspannungen an den betroffenen Märkten ist ein zäher Prozess, bei dem neuerliche Runden von Verunsicherung nicht auszuschließen sind. Immer stärker in den Blickpunkt des Interesses rückt damit die Frage, welche Konsequenzen aus den Verwerfungen der letzten Monate zu ziehen sind.
Alle relevanten internationalen Gremien und Organisationen suchen derzeit nach Möglichkeiten, das Finanzsystem widerstandsfähiger und weniger prozyklisch zu machen, und viele haben dazu schon konkrete Vorschläge vorgelegt. Dreh- und Angelpunkt dieser Bemühungen ist das Financial Stability Forum (FSF), das den G7-Staaten im April - auch unter Mitarbeit der Bundesbank - einen Katalog mit Handlungsempfehlungen vorgelegt hat. Er umspannt den ganzen Krisenbogen: Beseitigung von Fehlanreizen und anderen Unzulänglichkeiten an den Kreditmärkten, Verbesserung der Liquiditätsvorsorge, Nachjustieren der neuen Eigenkapitalregeln und nicht zuletzt geeignetes Rüstzeug der offiziellen Stellen für den Umgang mit Krisensituationen. Die FSF-Empfehlungen werden derzeit sukzessive umgesetzt, die wichtigsten innerhalb von 100 Tagen: Der Baseler Ausschuss hat seine überarbeiteten Leitlinien für das Liquiditätsrisikomanagement der Banken bereits zur Konsultation gestellt, die internationale Organisation der Wertpapieraufseher IOSCO hat ihre Verhaltensempfehlungen für Ratingagenturen überarbeitet und veröffentlicht. Von den Banken erwarten wir in den anstehenden Halbjahresabschlüssen eine detaillierte Offenlegung ihrer Risikopositionen in komplexen strukturierten Wertpapieren sowie darauf vorgenommener Abschreibungen. Sie müssen ihr Risikomanagement verbessern und, wo nötig, frisches Kapital aufnehmen. Dies ist der beste Weg, verloren gegangenes Vertrauen zurückzuerobern. Es muss im Kern der Regulierungsinitiativen darum gehen, die erkennbar gewordenen Defizite an den Märkten zu beheben, ohne über das Ziel hinauszuschießen. Hier zeichnen sich meiner Ansicht nach die FSF-Empfehlungen durch das notwendige Augenmaß aus.[
Lücken beseitigen
In diesem Zusammenhang wird die Beseitigung der spezifischen Regelungslücken im Kreditrisikotransfer - etwa in der aufsichtlichen Behandlung von außerbilanziellen Finanzierungsvehikeln - schneller erreichbar sein als Reformen, die die grundsätzliche Neigung des Finanzsystems zu prozyklischem Verhalten mindern. Nichtsdestotrotz ist es gerade dieser letzte Aspekt, der das Finanzsystem nachhaltig widerstandsfähiger macht, denn keine Phase von Stress an den Finanzmärkten gleicht den übrigen in ihren konkreten Ausprägungen. Scharfe Korrekturen an den Finanzmärkten weisen jedoch trotz der immer vorhandenen spezifischen Ausprägungen regelmäßig gemeinsame Elemente auf. Dies ist auch bei den aktuellen Entwicklungen der Fall. Hierzu zählt die Erkenntnis, dass einem marktgetriebenen Finanzsystem Phasen der Übertreibung und der anschließenden scharfen Korrektur inhärent sind. Risiken derartiger Finanzmarktzyklen sind oftmals im Vorfeld durch steigende Vermögenspreise, sinkende Risikoprämien und eine lebhafte Kreditentwicklung diagnostizierbar. Prozyklizität betrifft im Konkreten Fragen der Rechnungslegung, der Praxis der Eigenkapitalunterlegungsvorschriften, aber auch der grundsätzlichen Ausrichtung der Geldpolitik mit Blick auf Vermögensmärkte und Vermögenspreise. Das Augenmerk sollte dabei stärker auf die Erarbeitung tragfähiger Regelungen gerichtet sein, nicht auf regulatorische Schnellschüsse.
Fragiles Vertrauen
Die Notenbanken sahen sich durch die Ereignisse der letzten Monate auf einem Kerngebiet ihrer Tätigkeit vor bedeutende Herausforderungen gestellt. Vor Auftreten der Verspannungen wurde ein funktionierender Geldmarkt - nicht zuletzt als erstes Glied in der Kette der Übertragung geldpolitischer Maßnahmen auf die übrigen Bereiche des Wirtschaftsgeschehens - weitgehend für selbstverständlich gehalten. Liquiditätsverspannungen, die die internationalen Interbankenmärkte in der Breite trafen, sind eine neue Erfahrung. Die Stockungen an den Geldmärkten erweisen sich als hartnäckig und führen vor Augen, wie eng der Zusammenhang zwischen Markt- und Finanzierungsliquidität ist und wie entscheidend - aber auch wie fragil - gegenseitiges Vertrauen für das Funktionieren der Finanzmärkte ist. Die Risikoauf-schläge, die Banken für die unbesicherte Mittelvergabe einfordern, sind bis heute weit von ihren früheren Niveaus entfernt. Eine möglichst rasche Rückkehr zur Normalität wird nur durch Wissen über den Umfang der Engagements der einzelnen Institute in problematischen Kreditmärkten gelingen, also schließlich durch Offenlegung und Transparenz.
Das Eurosystem ergriff entschieden die ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen, um mit den Verspannungen am Geldmarkt rasch und flexibel umzugehen und ihre Folgen abzumildern. Dies erwies sich als richtig. Vor diesem Hintergrund ist es eine wesentliche Lehre, dass ein grundsätzlich angelegter breiter und flexibler Handlungsrahmen der Notenbanken Vorteile bietet, da er das Risiko minimiert, gerade in turbulenten Phasen den aktuellen Entwicklungen hinterherzulaufen und das Instrumentarium diskretionär in einem sich rapide wandelnden Marktumfeld anzupassen. Zutreffend bleibt aber auch dann: Die tieferen Ursachen der Spannungen am Geldmarkt lassen sich allein durch das übliche Instrumentarium der Notenbanken nicht beseitigen. Der Kern des Problems liegt in einem Überhang illiquider forderungsbesicherter Papiere in den Bilanzen der betroffenen Institute. Die erforderliche Bereinigung ist durch die Marktteilnehmer selbst zu erreichen. Würde die Notenbank diese Aufgabe übernehmen, würde sie ein moralisches Risiko auf Seiten der Halter dieser Papiere erzeugen, womit in einer längerfristigen Betrachtung bereits der Keim für neuerliche Übertreibungen an den Finanzmärkten gesät wäre.
Die gleiche Ratio mit Blick auf die Vermeidung von Moral Hazard seitens der Geldpolitik gilt ebenfalls für die Ausrichtung der Zinspolitik. Das Eurosystem hat hier konsistent den Standpunkt vertreten, dass die Zinspolitik mit Blick auf das Primärmandat Sicherung der Preisstabilität auszurichten sei. Die Zinspolitik ist ein zu grobes Instrument, um Verwerfungen an Teilsegmenten des Finanzmarktes entgegenzuwirken. Im Übrigen gilt unverändert, dass Preisstabilität die beste Voraussetzung ist, um nachhaltig Finanzstabilität zu sichern. Dies ist gerade im gegenwärtigen Umfeld aktuell, in dem die Teuerungsraten seit geraumer Zeit die Stabilitätsnorm übertreffen. Würde die Geldpolitik in diesem Umfeld zulassen, dass der Eindruck entstünde, die Preisstabilität sei mittelfristig bedroht, würde sie die Volatilität an den Finanzmärkten deutlich erhöhen und so den erforderlichen Korrekturprozess merklich erschweren. Es ist daher nicht angebracht, den Kompass der Geldpolitik neu auszurichten.