Wenn die amerikanischen Kongresswahlen im November, die noch den Blick auf den allgemeinen Zustand der USA verdecken und die Berichterstattung monopolieren, vorbei sein werden, wird die Welt entdecken, dass die Wirtschaft wieder schrumpft, und dass das westliche Wirtschaftsmodell, das seit 60 Jahren ohne eine dauerhaft wachsende US-Wirtschaft undenkbar ist, schlicht und einfach nicht mehr funktioniert. Jedoch werden US-Regierung und US-Wirtschaft in der ersten Hälfte 2011 es nicht mehr vermeiden können, ein rigides Sparprogramm aufzulegen, wie dies in den USA noch nie der Fall war. Dadurch wird das Land in ein neues finanzielles, wirtschaftliches, geldpolitisches und soziales Chaos stürzen.
In dieser Analyse stellen wir einen Auszug unserer Vorhersagen zu dem weitreichenden Sparprogramm vor, das die USA ab dem Frühjahr 2011 auflegen werden müssen: « Welcome to the United States of Austerity ».
Wie jeder, der in die Ecke getrieben ist, sind die USA bereit, wild um sich zu schlagen, um sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Es ist gerade etwas mehr als ein Jahr her, dass weltweit die Politiker und Zentralbanker den USA zur Hilfe eilten und keine Ausgaben scheuten, um die Wirtschaft der USA wieder flott zu bekommen. Heute hat sich die Lage jedoch wesentlich geändert. Das Selbstbewusstsein, das die Regierung Obama und die Fed zu Beginn der Krise an den Tag legten weil sie der festen Überzeugung waren, sie hätten die Krise verstanden und wüssten, wie sie zu bekämpfen sei, hat sich als reine Überheblichkeit entpuppt. Das amerikanische Wachstum schwächt sich von Quartal zu Quartal ab.
Da kann es nicht verwundern, dass auch der US-Verbraucher den Einkaufszentren weiter fernbleibt, denn seine finanziellen Verhältnisse haben sich nicht verbessert. Für jeden fünften Amerikaner, der keine Arbeit hat, verschlimmert sich die Lage sogar weiter.
Hinter solchen statistischen Betrachtungen verstecken sich drei Fassetten der Wirklichkeit, die, wenn sie erst in das allgemeine Bewusstsein gelangen, die politische, wirtschaftliche und soziale Landschaft Amerikas und der Welt in den nächsten Monaten und Jahren radikal ändern werden.
Im November 2010 treibt die Wut der Straße die Regierung in die Handlungsunfähigkeit
Die Wut, die die einfachen Menschen insbs. gegen die Finanzmärkte ergriffen hat, lässt sich auch sehr gut daran ablesen, dass die Amerikaner den Aktienmärkte und Wall Street den Rücken kehren. Jeden Monat verkaufen mehr Kleinaktionäre ihre Anteilscheine. Heute werden mehr als 70% der Transaktionen an der Börse von den großen Banken, sonstigen Finanzinstitutionen und anderen « high frequency trader » getätigt. Wenn man sich vor Augen hält, dass bisher die Börse als der Tempel des Kapitalismus galt, kann man nicht anderes daraus schließen, als dass der Kapitalismus in einer massiven Glaubenskrise steckt. Ein Vergleich mit den großen Demonstrationen gegen den Kommunismus in den Ländern des Ostblocks vor seinem Zusammenbruch ist insoweit nicht ganz abwegig.
Die US-Zentralbank weiß heute, dass sie machtlos ist
Da kann es nicht verwundern, dass die Diskussionen bei dem Treffen der Zentralbanker in Jackson Hole in depressiver Atmosphäre stattfanden, dass sie sich auf keine gemeinsame Vorgehensweise einigen konnten, dass sie endlos über die Risiken der nächsten Monate diskutierten, ob mit Inflation oder Deflation zu rechnen sei, dass sich Anhänger von Konjunkturprogrammen und Befürworter von Sparprogrammen immer heftiger stritten. Gerade das Beispiel von Inflation und Deflation ist ein gutes Beispiel für die Ohnmacht der Zentralbanken. Wir werden in einem folgenden Kapitel darstellen, dass die Zentralbanken gar nicht in der Lage sind, diese Trends mit ihren veralteten Methoden zu messen und die wirtschaftlichen Folgen daraus abzuschätzen. Und dann gab es noch die Rede von Ben Bernanke, in der er verschnörkelt, aber doch unmissverständlich bei seinen Kollegen folgende Nachricht anbrachte: Wir werden alles Denkbare, mag es noch so unsinnig erscheinen, versuchen, um einen Zusammenbruch der Wirtschaft und der Finanzmärkte zu vermeiden. Und ihr werdet uns das alles finanzieren. Wenn nicht, drucken wir so viel Geld, dass die Inflation durch die Decke geht, der Dollar zusammenbricht und eure Anlagen in Dollar und US-Staatsanleihen nicht mehr das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt sind.
Wenn ein Zentralbanker sich anhört wie ein Erpresser, weiß man, dass Feuer unter Dach ist.
In den nächsten Quartalen wird man sehen, wie die anderen großen Zentralbanken darauf reagieren werden. Die EZB hat schon angedeutet, dass weitere schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme für die USA sehr gefährlich wären. Und China erklärt zwar offiziell, dass für Eile kein Grund bestehe, verkauft aber derweilen eifrig US-Anlagen und kauft mit den Erlösen japanische Anleihen. Dies lässt sich mit dem historisch hohen Wechselkurs Yen/Dollar nachweisen. Japan hingegen steckt in der Zwickmühle, sich gleichzeitig mit Peking und Washington abstimmen zu müssen. Das wird wohl dazu führen, dass seine Zentralbank ihren letzten Handlungsspielraum einbüßt. Die Fed, wie auch die US-Regierung, werden in den nächsten Quartalen zur schmerzhaften Erkenntnis gelangen, dass die Loyalität ihrer Verbündeten auch immer davon abhing, wie groß der Nutzen war, denn das Land aus der Treue zu Amerika ziehen konnte, und bis zu welchem Grad sie seine Teilhabe an deren Macht ermöglichte. Natürlich ist es auch nicht sehr loyalitätsfördernd, wenn die Gefolgsleute Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen ihrer Lehnsherren hegen.
Das „land of plenty“ wird zu „land of few“. Die Bürger des Lands der grenzenlosen Möglichkeiten werden an eine Grenze stoßen, die ihnen bisher unbekannt waren, nämlich dass sie nicht mehr über die finanziellen Mittel verfügen, um ihr Land durch Konjunkturprogramme aus der Misere zu führen. Um eine zwanzigjährige Depression wie in Japan zu vermeiden, werden viele Entscheider in Politik und Wirtschaft zu einer Schocktherapie neigen. Andere Länder haben solche Schocktherapien schon hinter sich. Es sind die Sparprogramme, zu denen in der Vergangenheit die USA und der IWF Staaten in Südamerika, Asien und Ost-Europa gezwungen hatten.
Eigentlich müsste dies für die Rating-Agenturen, die immer sehr schnell den Splitter im Auge der anderen Staaten sehen, Anlass genug sein, den USA mit einer Herabstufung ihrer Bonitätsnoten zu drohen, wenn sie nicht umgehend ein massives Sparprogramm auflegen. Aber wenn die Rating-Agenturen sie nicht dazu zwingen, werden sich die USA dem Druck des Tatsachen beugen müssen, der ihnen keine andere Wahl lässt. Und wenn sie intern politisch handlungsunfähig sind, wird der Rest der Welt sie dazu zwingen.
Bis dahin ist davon auszugehen, dass die Fed eine weitere Serie von «ungewöhnlichen Maßnahmen» Technokratenausdruck für «verzweifelte Versuche“) auflegen, um unter Aufbietung aller Anstrengungen die von uns antizipierte Entwicklung zu verhindern. Denn eines ist klar: Ein amerikanisches Sparprogramm wird die internationalen Finanzmärkte, die seit Jahrzehnten nur eine verschwenderisches Amerika kennen und es brauchen, um zu funktionieren, in Chaos stürzen. In den USA wird das Sparprogramm eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe sein, wie das Land sie seit den dreißiger Jahren nicht mehr erleben musste.