Die Krise ist immer auch eine Krise, die im Kopf stattfindet. Die Hoffnungslosigkeit, Zukunftsangst und allgemeine Niedergeschlagenheit ist nicht mehr durch äußere Reize, also zum Beispiel sehr gute Zahlen aus der Wirtschaft, verbesserbar.
Es ist interessant, wie zäh sich angesichts der guten Nachrichten aus der deutschen Wirtschaft die Stimmung in der Bevölkerung dreht. Nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) soll es in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von satten 3,4 und im nächsten von immerhin 2,4 % geben. Die Wirtschaftskrise soll damit nächstes Jahr endgültig überwunden sein, so der Wirtschaftsverband. Das Exportvolumen geht auf die Eine-Billionen-Euro Marke zu.
Zudem soll die wirtschaftliche Erholung gerade im nächsten Jahr auch am Arbeitsmarkt nicht vorbei gehen. Der DIHK rechnet nächstes Jahr mit 300.000 neuen Jobs.
Doch die Menschen verbleiben in Krisenstimmung. Sie trauen dem Braten nicht. Es sei nur ein vorübergehendes Aufblühen, ist zu hören. Immer wenn Torsten Ewert und ich hier im Steffens Daily von diesen positiven Nachrichten schreiben, erhalten wir Mails, in denen betont wird, dass das alles noch ein böses Ende nehmen wird.
Die fehlende Objektivität
Und das zeigt, wie sehr wir doch von den Medien abhängig sind. Denn auch in den Medien fangen die Redakteure, die schließlich auch nichts anderes als Menschen sind, die in Deutschland leben, nur sehr langsam an, auf die positiveren Nachrichten zu reagieren. Auch hier gibt es viele Bedenken und Vorbehalte. Und solange die Meinungsmacher in den Medien ihren Grundtenor bei der Berichterstattung nicht verändern, wird auch die Bevölkerung kaum in der Lage sein, eine positivere Stimmung zu entwickeln. Zu sehr sind wir mittlerweile von den Meinungsbildern der allgegenwärtigen Informationsflut beeinflusst und abhängig. Ich glaube, nur wenige Menschen begreifen, wie groß diese Abhängigkeit eigentlich ist, und wie wenig Objektivität es gibt.
Das Schöne ist, dass man sich als Börsianer diesen Umstand zu Nutze machen kann. Denn wenn die Medien wieder voller Euphorie berichten, wird auch die Bevölkerung wieder euphorisch. In diesem Moment werden wir Antizykliker anfangen, vorsichtig zu werden. Also ist es doch gut, dass die Stimmung nicht allzu positiv ist…
Nur schwacher Euro und niedrige Zinsen?
Zurzeit wird auf jeden Fall alles versucht, um den aktuellen Aufschwung durch vorübergehende Effekte zu erklären. In diesem Zusammenhang werden der schwache Euro und die expansive Geldpolitik als verantwortliche Faktoren genannt. Sobald die Zinsen steigen und der Euro wieder anzieht, wird es mit der wirtschaftlichen Euphorie vorbei sein – so die Argumentation. Dabei sieht die Wirklichkeit oft anders aus.
In der ersten Zeit, wenn nach einer Rezession die Zinsen wieder zu steigen beginnen, wird auch die Wirtschaft weiter wachsen. Erst wenn die Zinsen ein Niveau von über 4 bis 5 % erreichen, wird es für die Wirtschaft wieder kritischer.
Die wirtschaftliche Depression im Vergleich mit der pathologischen Depression
Mal unabhängig von der Frage, ob wir tatsächlich gerade nur einen kurzen Zwischen-Boom vor dem nächsten Crash oder einen nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung erleben, wird mir immer klarer, warum man eine Rezession auch als „Depression“ bezeichnet.
Die Depression
Depression, (lat. deprimere „niederdrücken“) ist eigentlich ein aus der Psychologie bekannter Begriff. Aber die Parallelen sind eindeutig: Allgemein wird ein Zustand massiver Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit mit diesem Zustand betitelt. Das passt perfekt zu der Stimmung im Zusammenhang mit der Wirtschaft. Gleichzeitig führt eine Depression zu einer Stimmungseinengung. Das bedeutet, der Depressive verliert die Fähigkeit Freude, Trauer und ähnliche Emotionen zu erfahren. Und ganz wichtig: Dieser niedergeschlagene, emotionsarme Zustand ist bei stärkeren Depressionen auch nicht mehr durch äußerlich positive Reize verbesserbar.
Und genau das trifft die aktuelle Situation vieler Bürger in Deutschland: Die Hoffnungslosigkeit, Zukunftsangst und allgemeine Niedergeschlagenheit ist nicht mehr durch äußere Reize, also zum Beispiel sehr gute Zahlen aus der Wirtschaft, verbesserbar. Offensichtlich haben sie die Fähigkeit zur Freude, nämlich der Freude daran, dass es vielleicht doch besser wird, verloren. Ebenso die Freude, dass sie in dem Land wohnen, das bisher mit der Krise von den Industrienationen am besten zurecht gekommen ist.
Das Problem Binnenkonjunktur
Und das ist natürlich nicht gut, denn eine verbesserte Stimmung der Bürger, sprich der Verbraucher, würde auch zu einer nachhaltigen Verbesserung des Binnenkonsums in Deutschland führen. Und die Binnenkonjunktur hinkt der exportorientierten Wirtschaft noch immer deutlich hinterher. Aber was muss denn noch passieren, damit die Depression die Köpfe der Menschen verlässt?
Und was ist mit den USA
Auf der anderen Seite frage ich mich, wie lange wird es angesichts der Dramatik der aktuellen Krise wohl in den USA dauern, bis die Depression der US-Bevölkerung sich dreht. Eigentlich war es immer eine Stärke der USA, dass ihre Bürger zu einem fast schon zwanghaften Optimismus neigten. Egal was auch passierte, man konnte es schaffen. Dieser Optimismus ist abhanden gekommen. Und gerade in dem Land, das am meisten vom Binnenkonsum abhängig ist, wird dieses zur alles entscheidenden Frage: Wann finden die US-Bürger ihren Optimismus wieder…
Und wenn man einigen Volkswirtschaftlern Glauben schenken möchte, ist diese Frage sogar wichtiger als die Frage nach niedrigen Zinsen, Steuererleichterungen oder US-Konjunkturprogrammen. Die Krise ist immer auch eine Krise, die in den Köpfen der Menschen stattfindet…