Sodom und Gomorrha gelten als Inbegriff der Sünde und des Unmoralischen. Grund genug für einen Besuch vor Ort. Muss die Geschichte umgeschrieben werden?
Sodom und Gomorrha am Toten Meer
Von Michael Mross
Jeder kennt Sodom und Gomorrha. Zumindest vom Sprachgebrauch her. Die Städte sind Gegenstand einer Erzählung im Alten Testament, derzufolge sie durch Gott unter einem Regen aus Feuer und Schwefel begraben wurden, weil sie der Sünde anheim gefallen waren. Neueste Forschungen aber lassen den alten Sündenpfuhl in einem neuen Licht erscheinen.
Lange Zeit war die Lage des antiken Doppelstädtchens eher unbekannt. Nun jedoch scheint klar: Es handelt sich um die südwestliche Ecke des Toten Meeres, in der judäischen Wüste. Vor 5000 Jahren lebten die Menschen dort ziemlich abgekapselt. Heute gelangt man bequem per Schnellstraße dorthin. Von Tel Aviv ist’s etwa eine Stunde.
Das Treiben in Sodom und Gomorrha hat sich in den 5000 Jahren gründlich verändert. Dort, wo angeblich ein in der Luft explodierender Meteorit die Gegend unter sich begrub, wachsen heute einige karge Hotelklötze aus den Ufern des Toten Meeres und verwandeln den Ort in ein open air Sanatorium.
Alle unheilbaren Krankheiten der Welt sind hier versammelt. Trotz 40 Grad Hitze laufen die Patienten in dicken Bademänteln herum. Damit sich das teils übergewichtige Krankengut nicht zu sehr bewegen muss, wird es auf der kurzen Strecke zwischen Hotel und Strand mit Elektrowägelchen gekarrt.
Vorsichtig gleiten die Siechen ins Wasser und treiben selbst wie tot in der salzigen Lauge. Plastikenten-gleich floaten die Zivilisationskostgeschädigten im Toten Meer. Untergehen können sie nicht. Hier und da ragt neben einem Kopf auch ein riesiger Bauch aus dem salzigen Nass.
Das Tote Meer ist gut gegen viele Krankheiten: Rheuma, Rücken, Gicht, Haut. Selbst hartnäckige Hämorriden ätzt das Wasser weg. Und damit die Genesungsprozesse nicht zu schnell verlaufen, gibt’s gleich nebenan ein Mc Donalds und eine „Burger Ranch“.
Ansonsten fällt jede Bewegung schwer an diesem tiefsten Punkt der Welt, denn der Ort liegt 400m unter dem Meeresspiegel. Die Erdanziehungskraft ist hier spürbar stärker. Auch das Tote Meer selbst sackt mangels Wasserzufluss immer mehr ab. In den letzten 30 Jahren ist der Wasserspiegel um 20 Meter gesunken.
Unterdessen erhielt Sodom und Gomorrha seinen schlechten Ruf offenbar zu Unrecht. Neuesten Geschichtsinterpretationen zufolge wurde die Gegend keineswegs eliminiert, weil die Menschen sittenlos waren. Der eigentliche Grund für die Auslöschung: Die Menschen dort kannten angeblich kein Maßhalten. Sie konnten nicht „Nein“ sagen. Sie lebten über ihre Verhältnisse. Dem wollte Gott Einhalt gebieten und vernichtete die Gegend kurzerhand. Vielleicht vernichteten sie sich dadurch aber auch selbst? Parallelen zur heutigen Welt scheinen jedenfalls nicht ausgeschlossen. Der sinkende Wasserspiegel des Toten Meeres zeugt davon.