Die Experten streiten sich gerade wieder darüber, wohin die Edelmetallkurse laufen könnten. Das tun sie immer im Sommer. Die einen sind dann besonders bullish, die anderen besonders bearish. Die einen pochen auf die offiziellen Statistiken, die anderen blicken ohne eine rosarote Brille hindurch. Letztere zeigen mit ihrem Finger auf die dicken negativen Realzinsen (Renditen minus Inflation), so dass Gold und Silber einen noch interessanten Weg vor sich haben müssten. Dr. Market wird es richten, wenn man ihn bloß ließe.
Der Krach unter den Experten ist bisweilen auch recht unterhaltsam. Neulich las ich wieder die Totschlagargumente, dass Gold und Silber nicht essbar sind und keine Zinsen abwerfen. Wie auch? Kupfer und Nickel kann man meines Wissens auch nicht verspeisen, doch sie werden gerne beworben, neben den anderen Anlagevehikeln, die das Essen weiter verteuern und den Gebühren, an denen sich die Bank erfreut. Und fragt man drei Experten, erhält man sechs Meinungen. Mir scheint es logischer, dass es das ganze neue Geld aus den Toren der Notenbanken ist, dass sich auf die Sachwerte stürzt und sich dort verbeißt. Irgendwo muss es doch hin. Und wer eine Tonne Kupfer hat, der hat eben eine Tonne Kupfer, im Gegensatz zu einer Tonne DAX. Aber wozu gibt es Experten? Gestern noch sagten sie neue Allzeithochs bei Aktien, Zertifikaten und dem Rest der anderen Anlageklassen voraus, heute sind sie auf einmal Experten für Rohstoffe und Edelmetalle. Wären gerade grüne Gurken, Katzenhaar und Stoxxe in Aspik en vougue, ich wette, sie würden ihren Senf auch dazu verkleckern - tun sie ja auch, denn dafür werden sie bezahlt.
Wenn die Sonne am höchsten steht, die Nächte am kürzesten sind und die Gold – und Silberbugs am frustriertesten, sollte man einen roten Stift hervorkramen und die Tage dick am Kalender anpinseln. Zwischendurch sollte man sich auch nicht wundern, wenn die Gold – und Silberpreise ohne Nachrichten einbrechen. Das tun sie gerne. Edelmetalle sind schließlich politische Metalle. Sie könnten ja anzeigen, dass etwas in den Finanzmärkten gärt bzw. aus dem Ruder läuft.
Vieles erinnert in diesem Jahr an den Sommer 2006, als Silber kurz bei 15 USD stand und dann 30 Prozent tiefer geschickt wurde. Trotz des Einbruchs in diesem Jahr zeigen die Edelmetalle den Aktien und Anleihen wieder eine ganz lange Nase. Der DAX hat in diesem Jahr 17 Prozent verloren, von den anderen Indizes gibt es oft noch schlechtere Nachrichten. 49 von 52 großen Aktienmärkten sind bislang im Minus. Gold und Silber liegen in diesem Jahr aber wieder vorn. Die fundamentalen Daten haben sich im Gegensatz zu den Aktien – und Anleihemärkten kaum verändert. Man könnte meinen, dass die Notenbanken mit ihren offenen Geldschleusen den Edelmetallen einen Garantieschein für einen Freiflug ausgestellt haben. Zudem halten die Shorties an den Terminmärkten weiterhin pervers hohe Positionen. Der Markt scheint ver-rückt zu sein, erklären die echten Edelmetallexperten. Sollten die Preise steigen, werden die Jungs vor allem aus ihren Silbershorts nicht mehr herauskommen und schreiend vom Dach springen. An der COMEX liegt nicht einmal das auf Lager, was längst verkauft wurde. Irgendwann wird das passieren, und das wissen die echten “Bugs”.
Die Nachricht des Internationalen Währungsfonds (IWF), sich von 400 Tonnen Gold trennen zu wollen, hat dem Markt nicht wirklich einen Schlag versetzt. Zu oft wurde das schon angekündigt. Beim heutigen Goldpreis brächte der Verkauf gerade mal 7 Mrd. Euro in die Kasse. Das verzockt eine deutsche Landesbank in einem Jahr. Und überhaupt - wieviele von den 3200 Tonnen, die der IWF vorgibt zu besitzen, liegen als Barren in den Kellern und wieviel davon ist verliehen?
Geschätzte 155.000 Tonnen Gold liegen auf der Welt irgendwo herum. Es tut nichts, schweigt sich aus und verrotten will es schon gar nicht. Für den industriellen Einsatz ist Gold zu teuer, im Gegensatz zu Silber. Die jährlich 30.000 angebotenen Silbertonnen stammen zu zwei Dritteln aus dem Bergbau, meist als Beiprodukt, aber auch aus reinen Silberminen. Zur Hälfte wird Silber als Rohstoff in der Industrie verbraucht. Und die Vorräte scheinen schon in wenigen Jahren zur Neige zu gehen, schreibt das Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Dort steht, dass die Goldreserven noch 17 Jahre reichen, die Ressourcen werden mit 37 Jahren ausgewiesen. Bei Silber werden die Reserven mit 14 Jahren, die Ressourcen mit 29 Jahren angegeben. Richtig große Vorkommen wurden seit Jahren nicht mehr gefunden. Inzwischen explodieren aber die Kosten, um die edlen Metalle ans Tageslicht befördern. Die jährliche Förderung stagniert unterdessen bzw. sie geht sogar zurück. Ohne die Verkäufe der Zentralbanken wäre der Goldmarkt längst im Defizit gefangen. Südafrika, einst Förderer von jährlichen 1000 Tonnen Gold, kommt in diesem Jahr gerade so noch auf 200 Tonnen, vorausgesetzt, es gibt genügend Strom und die Bewohner des Landes schlagen sich nicht die Köpfe ein. Viele von uns werden es vielleicht noch erleben, dass alles Förderbare abgebaut ist. Neben Peak Oil wird der Wirtschaft wohl um Peak Gold und vor allem um Peak Silber ergänzt.
Gold ist wegen seiner historischen Geldfunktion vor allem auch ein politisches Metall. Es fungiert als Barometer für Krisen. Von daher wundert es nicht, dass es als Feind des Papiergeldes angesehen und man steigende Preise gar nicht gerne sieht. Die Geschichte der Edelmetalle ist mit 5000 Jahren älter, als die Marktmacht der Notenbanken. Menschen suchten schon ganz zeitig eine allgemein anerkannte Tauschware, um gegen diese eine andere Ware zu bekommen. Gold war vor allem wegen seiner Eigenschaften schnell in dieser Position. Es war selten, kostbar, teilbar und unverwüstlich, im Gegensatz zu anderen früher genutzten Zahlungsmitteln wie Reiskörner, Edelsteine, Eseln und seltenen Muscheln. Gold war nicht nur Tauschware und Zahlungsmittel, sondern auch Wertspeicher. Heute ist es nicht anders, nur dass unser Papiergeld ein staatlich verordnetes Zahlungsmittel ist. Die Menge an Papier wächst schneller als die Produktion von Waren und Dienstleistungen. Deshalb steigen die Preise so rasant. Früher war das auch so.
Um Gold zu besitzen, wurden einst Kriege geführt, andere Länder überfallen und Millionen von Menschen ins Unglück gestürzt. Gold wird oft auch als “Relikt der Barbarei” bezeichnet. Doch sind die Kämpfe um Öl, Reis und so manche Währung dieser Welt nicht weniger barbarisch und warum denke ich gerade an den Irak?
An Mythos, Kraft und Glanz hat Gold bislang nichts eingebüßt, außer seine Geldfunktion. In jedem Land der Welt ist Gold durch Papier ersetzt worden, versehen durch Vertrauen und das Versprechen auch immer eine Ware für seine Papierscheine zu erhalten. Wieviel man von den Papierscheinen inzwischen für eine Ware aufwenden muss, davon ist nicht die Rede. Und unser heutiges „Geld“ ist nichts anderes als Kredit. Die Leistung für die vielen neuen Scheine muss erst noch erbracht werden.
Silber hat seine Geldfunktion im Alltag schon länger verloren. Dennoch besitzt es auch weiterhin alle Eigenschaften von Geld, doch vor allem die physikalischen und chemischen Eigenschaften sind es, die Silber zum Star machen. Ohne Silber läuft in der modernen Industrie inzwischen nichts mehr. Im Gegensatz zu Gold wird es verbraucht. Auch lohnt es sich (noch) nicht, ein Gramm Silber für 35 Cents zurückzugewinnen. Und so verschwindet es fein verteilt auf Müllkippen und in Ozeanen. In der Zwischenzeit ist Silber fünfmal so selten wie Gold.
Die oberirdischen Bestände sind Schätzungen zufolge von ein paar Milliarden auf ein paar hundert Millionen Unzen “abgeschmolzen”. Allein in Amerika gab es einst fünf Milliarden Unzen. Doch die scheinen weg zu sein. Das jahrzehntelange Defizit im Silber wurde durch Regierungsverkäufe ausgeglichen. Ein Hinweis auf die leeren Keller in den USA scheint die US-Mint mit ihren Lieferschwierigkeiten und Rationierungen zu liefern.
Die Hälfte der jährlich angebotenen Silbermenge wandert in die Industrie. 18 Prozent landen bei den Schmuckherstellern, weitere 14 Prozent bei der Fotoindustrie. Sieben Prozent werden inzwischen von ETF`s absorbiert. Vier Prozent der jährlichen Fördermenge werden zu Münzen und Medaillen verarbeitet. Obwohl die weltweite Förderung in diesem Jahr etwas ausgeweitet werden konnte, explodiert die Nachfrage vor allem von Investorenseite. Edelmetalle scheinen eben doch noch sicherer Hafen und Wertspeicher zu sein. Zudem funken die großen Münzprägestätten in Kanada, Australien und den USA öfters mal S.O.S. und kommen mit der Lieferung nicht nach. Sollte der Hortungswille der kleinen Investoren auf die Industrie überschwappen, könnte der Preis zu einem wahren Höhenflug ansetzen.
Seit 2005 gehören börsennotierte Silber ETF`s (Exchanged Traded Funds) zu einer ganz neuen Anlageklasse. Sie konkurrieren seitdem um das jährliche Angebot an Silber. Am bekanntesten ist das Silber ETF von Barclays mit einem gegenwärtigen Volumen von 195 Mio. Unzen oder einem Gewicht von 6000 Tonnen. Das entspricht 20% der weltweiten Jahresförderung. Über diese Konstruktion können nun auch große Adressen Silber kaufen. Da Barclays die Seriennummern veröffentlicht, muss davon ausgegangen werden, dass sich hinter jedem Stück Papier auch die entsprechende Menge Silber befindet.(10 Unzen pro Anteilschein). Auch das ETF der Züricher Kantonalbank (ZKB) ist binnen weniger Monate auf 18 Mio. Unzen angewachsen. Ein Anteil entspricht 1000 Unzen bzw. 31,1 kg. Inzwischen sind auch kleinere Einheiten handelbar. Weitere ETF`s sind in Vorbereitung. Theodore Butler, anerkannter US-Silberexperte wirft nun die Frage auf, inwieweit die Anteilscheine des Barclays-ETF leerverkauft werden können bzw. leerverkauft worden sind, um den Preisanstieg vom Frühjahr auszubremsen. Interesse könnten die großen Shorts haben. Diese Überlegungen sind neu, aber gar nicht so abwegig.
Im Gegensatz zum Goldmarkt mit einer Größe von ca. 5 Billionen USD ist der Silbermarkt ein Winzling. Angenommen, es gäbe wirklich einen oberirdischen Silberbestand von einer (freundlich gerechneten) Milliarde Unzen, dann hätte dieser Berg einen Wert von ca. 17 Mrd. USD oder 11 Mrd. EUR. Das entspricht einem Drittel des Marktwertes der Deutschen Bank. Anders ausgedrückt: Jeder Bürger auf der Welt könnte fünf Gramm Silber für vier US-Dollar kaufen. Das reicht nicht mal für Eheringe aus einfachem Silber.
Die Zeiten werden angesichts der real sichtbaren Probleme in der Welt härter. Ob Finanzkrise, Kreditklemme, Inflation, Rezession oder dem Depression - Edelmetalle haben sich seit 5000 Jahren als sicherer Hafen bewährt. Und auch der Spruch „entweder man hat sie – oder hätte sie gerne gehabt“ scheint nichts von seiner geschichtlichen Bedeutung eingebüßt zu haben.
Frank Meyer ist Moderator bei n-tv