Jakob Hein: Suchtmediziner fordert radikale Entmystifizierung der Drogen: „Wir sollten unseren Kindern ganz offen sagen: Wir sind eine Rauschgesellschaft und ihr wollt da rein“. - „Kinder und Jugendliche schauen sich um und sehen eine rauchende, trinkende, kiffende, koksende Gesellschaft. Jeder Spießer nimmt heute Drogen.“
München. Der Suchtmediziner und Schriftsteller Jakob Hein hat scharfe Kritik an dem Umgang unserer Gesellschaft mit Alkohol und Drogen geübt. Es sei äußerst problematisch, Kindern und Jugendlichen klarzumachen, sie sollten keine Drogen nehmen, wenn die Erwachsenen um sie herum selbst ihrer jeweiligen Sucht nachgehen, sagte der an der Berliner Charité arbeitende Psychiater dem Nachrichtenmagazin FOCUS. „Wir sollten unseren Kindern ganz offen sagen: Wir sind eine Rauschgesellschaft und ihr wollt da rein“, so Hein im FOCUS-Interview. „Kinder und Jugendliche schauen sich um und sehen eine rauchende, trinkende, kiffende, koksende Gesellschaft. Jeder Spießer nimmt heute Drogen.“
Laut Hein ist „der härteste Angriff gegen Alkohol und Cannabis“, wenn man einem Jugendlichen erklärt, „dass er bekifft oder betrunken schlecht im Bett ist.“ Absolut kontraproduktiv seien Sätze wie: „Tue nicht das, was ich tue, sondern tue das, was ich Dir sage“, so der Psychiater. „Vorbild sein, das wirkt.“ Hein forderte eine systematische Drogenaufklärung, die auch in der Schule fest integriert werden soll. „Man muss die Mythen, die sich um Drogen ranken, rigoros zerstören. Denn der Reiz liegt ja auch darin, eine verbotene Welt zu betreten.“
Der Konsum von Jugendlichen hat sich Hein zufolge stark verändert. Heute gebe es fast nur noch Mischkonsumenten, die je nach Anlass eine Droge wählen. „Es gibt Drogen für Partys, für die Arbeit, für Sex. Welche zum rauf- und welche zum runterkommen.“ Ein Mensch rauche beispielsweise am Abend Heroin und nehme am nächsten Morgen etwas Beruhigendes oder Angstlösendes, wie Benzodiazipine oder Cannabis.