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Krise: Zerfall der Weltordnung schreitet voran

Der Dollar ist dabei, wieder eine nationale Währung wie jede andere zu werden, also eine Währung und damit das Problem des Landes, das sie herausgibt. - In Europas Politik wird ein rauerer Wind herrschen.  Die Jungen begreifen, dass die Generation der Babyboomer versucht, sich die Rechnung für ihren Wohlstand von den nachfolgenden Generationen bezahlen zu lassen. Dies könnte zu brutalen Reaktionen führen. - Japan:  Die letzten Versuche, nicht in die chinesische Einflusszone zu geraten.

 

Eine Analyse des GEAB

Die Welt befindet sich schon weit in der Phase des Zerfalls der Welt– und öffentlichen Ordnung, deren Beginn wir für das Jahresende 2009 vorhergesehen hatten. Kaum ein Jahr später nehmen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu, drohen Staatsbankrotte, werden Währungskriege geführt.

 

Die Regierungen der großen Staaten und auch der G20 erweisen sich als unfähig, Gegenmaßnahmen zu vereinbaren. Damit sind schwere Konflikten in den internationalen Beziehungen unvermeidlich. Mit dem Gipfel von Seoul wurde eine weitere Etappe der umfassenden weltweiten Krise begonnen. Denn er ließ die Welt erkennen, dass die USA keine globale Supermacht mehr sind. Wo früher die US führten, gibt es heute nur Zwist und Streit. Jeder Staat versucht auf der Weltbühne, seine eigenen Interessen auf Kosten der anderen durchzusetzen.

 

Deshalb glauben wir, dass wir eine erneute Warnung veröffentlichen müssen: Die Welt ist in der Phase des Zerfalls der Welt- und öffentlichen Ordnung dabei, einen kritischen Punkt zu überschreiten. Wie immer, wenn in komplexen Systemen kritische Punkte überschritten werden, kommt es zu sprunghaften, unvorhersehbaren Änderungen im System, die nicht mehr den bisher üblichen Gesetzmäßigkeiten gehorchen und sich daher den üblichen Prognosemethoden entziehen. Auch der Weltordnung stehen solche Überraschungen in Wirtschaft, Finanzen, Währung, Politik und Sozialem bevor.

 

In den letzten Jahren haben wir mehrfach Krümmungspunkte in der Entwicklung der Krise vorhergesagt, die nichts anderes waren als ein aus der Mathematik entliehener Ausdruck für solche durch kollektiven Erkenntnisgewinn ausgelöste Beschleunigungsschübe und Sprünge in der Entwicklung der Krise. Unserer Auffassung nach wurden im Vor –und Umfeld des G20-Gipfels von Seoul ein ganzes Bündel an Ereignissen sichtbar, die nach der Terminologie der Politischen Antizipation „Brüche“ sind, so dass heute die Welt weiß, dass die bestehende Weltordnung in Auflösung begriffen ist.

 

Daher sehen wir uns in der Lage vorherzusagen, dass die Phase des Zerfalls der Welt- und öffentlichen Ordnung dabei ist, einen kritischen Punkt zu überschreiten. Die Folgen davon werden ab dem ersten Quartal spürbar werden und veranlassen uns, schon heute eine Warnung herauszugeben. Wir wollen die entscheidenden Brüche sowie das Chaos, das sie verursachen, hier Revue passieren lassen.


Fortsetzung und Ende der quantitativen Lockerung: Die Fed steht nun unter «strenger Beobachtung»

Die Entscheidung der US-Zentralbank, ihre Politik der quantitativen Lockerung mit dem Aufkauf von US-Staatsanleihen im Gesamtwert von 600 Milliarden Dollar bis Juni 2011 fortzusetzen (Quantitative Easing II) hat zum ersten Mal seit 1945 eine allgemeine und teilweise harsche Kritik von fast allen anderen großen Wirtschaftsmächten hervorgerufen: Japan, Brasilien, China, Indien, Deutschland, Asean-Staaten. Dabei war nicht die Entscheidung der Fed der Bruch in den historischen Tendenzen, sondern die Kritik. Zum ersten Mal wurde die Fed für eine ihrer Entscheidungen vom Rest der Welt mit Kritik geradezu überhäuft, und zwar nicht hinter den Kulissen und diplomatisch verbrämt, sondern vor den Kameras der Welt und mit deutlichen Worten.

Das hat nicht mehr viel gemein mit der gepflegten Atmosphäre von Jackson Hole und den noch gepflegteren Umgangsformen der Zentralbanker der Welt bei ihrem jährlichen Treffen. Die Drohung, die Ben Bernanke gegenüber seinen Kollegen ausgesprochen hat und über die wir in der 47. Ausgabe des GEAB berichteten, hat also nicht die Wirkung gezeigt, die er sich wohl versprochen hatte. Der Rest der Welt hat im November 2010 der Fed deutlich gemacht, dass die anderen Staaten die USA nicht mehr nach Gusto Dollar drucken lassen. Denn das hieße, die Probleme der USA auf Kosten der anderen Staaten zu lösen.

Der Dollar ist dabei, wieder eine nationale Währung wie jede andere zu werden, also eine Währung und damit das Problem des Landes, das sie herausgibt. Mit dem Jahresende 2010 haben wir das Ende der Ära erlebt, in der der Dollar die Währung der USA und das Problem des Rests der Welt war, wie John Connally, Finanzminister unter Nixon, 1971 die US-Währungspolitik so einprägsam zusammenfasste, als die USA die Goldbindung des Dollar unilateral kappten. Denn heute muss die Fed bei ihren Entscheidungen wieder Rücksicht auf die Interessen der anderen Staaten nehmen. Noch wurde die Fed nicht unter Vormundschaft gestellt, aber sie steht unter strenger Beobachtun.

Wir gehen daher fest davon aus, dass es keine weitere quantitative Lockerung geben wird, auch wenn viele Banker und Politiker sich noch dieser Illusion hingeben mögen; es sei denn, die USA wollen das Risiko massiver außenpolitischer Konflikte eingehen und den Zusammenbruch des Dollar bewusst herbeiführen.

Federal Reserve’s Assets (2008-2010) - Quellen: Federal Reserve of Cleveland / New York Times, 10/2010
Europäische Sparprogramme: Soziale Proteste nehmen zu, populistische Parteien erhalten Zulauf, Risiko der Radikalisierung der jungen Generationen, Steuererhöhungen

Von Paris bis Berlin, von Lissabon bis Dublin, von Vilnius bis Bukarest, von London bis Rom wachsen die sozialen Spannungen, kommt es zu Demonstrationen und Streiks. Die sozialen Folgen des Zerfalls der Welt- und öffentlichen Ordnung machen sich in dem Europa des Jahresende 2010 sehr wohl bemerkbar. Noch ändern die Proteste nichts an den von den Regierungen beschlossenen Sparprogrammen. Aber sie zeigen eine wichtige gesellschaftliche Entwicklung auf: Die Menschen überwinden die Schockstarre vom Beginn der Krise, weil sie erkennen, wie lang und wie tief sie sein wird und welche finanziellen und sozialen Opfer ihnen abverlangt werden.

Bei den nächsten Wahlen werden die gegenwärtigen Regierungen einen hohen Preis dafür bezahlen müssen, dass sie die Sparpolitik nicht sozial ausgewogen gestaltet haben. Sie haben nicht berücksichtigt, dass eine solche Politik von der großen Masse nur akzeptiert wird, wenn sie das Gefühl hat, dass die Lasten gerecht verteilt werden. Zur Zeit wenden die Regierungen weiterhin die neoliberalen Glaubenssätze aus der Zeit vor der Krise an: Spitzensteuersätze runter, Verbrauchssteuern hoch. Aber die zunehmenden sozialen Spannungen, die wir für unvermeidbar halten, und die Ergebnisse der kommenden Wahlen in den verschiedenen Ländern werden ein Umdenken erreichen. Bis dahin werden aber populistische und extremistische Parteien einen starken Zulauf verzeichnet haben.

In Europas Politik wird ein rauerer Wind herrschen. Gleichzeitig ist damit zu rechnen, dass die jungen Generationen, die allmählich begreifen, dass die Generation der Babyboomer versucht, die Rechnung für ihren Wohlstand von den nachfolgenden Generationen bezahlen zu lassen, sich zu brutalen Reaktionen hinreißen lassen. Sie werden es nicht akzeptieren, dass Studiengebühren steigen sollen, während Steuern für Spitzenverdiener und auf Kapitalerträge niedrig bleiben und auch das Rentenniveau gehalten werden soll. Um massive soziale Unruhen zu vermeiden, werden die Regierungen gezwungen sein, die Spitzen- und Kapitalertragssteuersätze zu erhöhen und insbesondere Banken höher zu besteuern. Sicherlich wird sich Europa auch stärker mit Zöllen gegen Importe abschotten. Die Handelspartner der EU sollten sich darauf schon heute einstellen.


Finanzzierungsbedarf einiger Staaten (2010-2011) - Quellen : FMI / Wall Street Journal, 10/2010
Finanzzierungsbedarf einiger Staaten (2010-2011) - Quellen : FMI / Wall Street Journal, 10/2010
Japan: Die letzten Versuche, nicht in die chinesische Einflusszone zu geraten

Seit einigen Wochen liefern sich Tokio und Peking einen diplomatischen Schlagabtausch von seltener Härte. Jeder Anlass oder auch Vorwand ist ausreichend (chinesische Schiffe in japanischen Hoheitsgewässern, China sei verantwortlich für die Yen-Aufwertung, da es japanische Aktiva kaufe, usw.) für verbale Angriffe. Bilaterale Treffen finden nur noch auf höchster Ebene statt. Jeder Streit wird auf der Bühne der Weltöffentlichkeit ausgetragen. Den Nachbarländern fällt dabei auf, dass die USA sich aus den Streitigkeiten heraushalten. Natürlich sind sich die Staaten der Region darüber bewusst, dass China anstrebt, die Hegemonialmacht in Süd- und Südost-Asien zu werden. Natürlich versteht jeder, dass Japan versucht, sich diesem Ansinnen entgegenzustellen.

Aber alle wundern sich, dass die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wichtigste Macht in dieser Region, nämlich die USA, von den Streitigkeiten gar keine Notiz zu nehmen scheint. Man kann fast davon ausgehen, dass China testen will, bis wieweit es Einfluss auf Japan nehmen kann. Und dass Japan testen möchte, inwieweit die USA überhaupt willens und fähig sind, sich in der Region zu engagieren und China in Schach zu halten. Die Ereignisse der letzten Wochen haben gezeigt, dass die amerikanische Regierung, gelähmt von der Pattsituation im Kongress und wirtschaftlich und finanziell von China abhängig, sich lieber von allem fernhält. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass damit in Asien die Einsicht sich durchsetzt, dass die regionalen Gleichgewichte sich dauerhaft verschoben haben (22). Die japanischen Unternehmen, geschwächt durch eine endlose Rezession der japanischen Wirtschaft, sehen es gerne, denn sie wissen, dass ihre wirtschaftliche Zukunft im Handel mit China liegt.


Dieses Bündel an Brüchen, das im Umfeld des G20-Gipfels festzustellen war – ein Gipfel, der sich als absolut unfähig erwiesen hat, die Gründe der wirtschaftlichen, finanziellen und währungspolitischen Konflikte zwischen seinen Mitglied auszuräumen – hat die Weltöffentlichkeit erkennen lassen, dass die Welt –und öffentlichen Ordnung zerfällt. Und diese Erkenntnis wiederum wird diesen Prozess wiederum beschleunigen. Schon ab 2011 wird es zu Ereignissen und Entwicklungen kommen, die absolut aus dem Rahmen der bisher üblichen Entwicklungen und Veränderungen fallen: Chaotisch, sprunghaft, unvorhersehbar, unberechenbar.

 

Eine der entscheidenden Veränderungen wird sein, wie wir schon im September 2010 schrieben, dass die USA den Wandel von einer Gesellschaft, die das Geld mit vollen Händen ausgibt, zu einer vollziehen muss, die jeden Dollar zwei Mal herumdrehen muss. Eine der Überraschungen der nächsten 18 Monate könnte in der simplen Information bestehen, dass die chinesische Wirtschaft die US-Wirtschaft an Größe überholt hat, worüber schon das Wall Street Journal vom 10/11/2010 auf Grundlage einer Studie des Conference Boards als realistische Möglichkeit berichtet hat.

 

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