Die Welt wartet mit Spannung auf die Wikileaks-Veröffentlichungen. Politiker zittern, das Weiße Haus tobt. Offizieller Veröffentlichtungstermin der Geheimdokumente durch einige ausgewählte Medien ist heute abend 22:30 - Doch schon gestern hat SPIEGEL online aus Versehen erste Wikileaks Details veröffentlicht und diese dann sofort wieder zurückgezogen. Warnung des US-Außenministeriums.
Im Vorfeld der Veröffentlicheungen von Wikileaks hat sich das US-Außenministerium an die Betreiber der Enthüllungsseite gewandt und deren Veröffentlichung scharf kritisiert. Hier einige Zitate aus dem Brief des Rechtsberaters des US-Außenministeriums, Harald Koh, an Wikileaks:
- Mit der Veröffentlichung der Dokumente werde ein Rechtsbruch begangen.
- "Es würde das Leben ungezählter unschuldiger Menschen, von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten, über Blogger und Soldaten bis hin zu Menschen gefährden, die Informationen weiterleiten, um Sicherheit und Frieden zu befördern."
- Betroffen wären auch "laufende Militäreinsätze, etwa gegen Terroristen, Menschen- und Waffenschmuggler, gewalttätige kriminelle Vereinigungen und andere Akteure, die die weltweite Sicherheit bedrohen".
- Zudem sieht das Ministerium Risiken für die "Zusammenarbeit zwischen Ländern, Partnern, Alliierten und allgemeinen Interessenvertretern" und verweist dabei auf die Zusammenarbeit in den Bereichen Terrorismus, Bekämpfung von Pandemien oder die Kooperation gegen die Weiterverbreitung von Atommaterial.
- Koh wirft Assange allgemein vor, das Leben unzähliger Menschen mit der Veröffentlichung der Dokumente zu gefährden und lehnt eine Zusammenarbeit ab: "Wir werden nicht über eine weitere Veröffentlichung oder Verbreitung illegal erhaltener Geheimdokumente der US-Regierung verhandeln."
- Das Ministerium fordert von Assange, die Veröffentlichung derartiger Dokumente zu unterlassen, alle US-Geheimakten zurückzugeben und Wikileaks-Datenbanken zu löschen.
Der Spiegel: Enthüllt - Wie Amerika die Welt sieht
Sarkozy "Kaiser ohne Kleider", Putin "Alpha-Rüde", Merkel "selten kreativ"
Das Nachrichtenmagazin wollte die Ausgabe eigentlich erst am Sonntagabend um 22.30 Uhr veröffentlichen. Jedoch wurden im Internet-Nachrichtendienst Twitter bereits Hinweise auf Kopien versendet. Auch an einzelnen Bahnhöfen war das Magazin mit der Titelgeschichte «Enthüllt - Wie Amerika die Welt sieht» zu kaufen. Weltweit hatten sich Regierungen am Wochenende auf die Veröffentlichung der Berichte des US-Außenministeriums auf der Internet-Plattform Wikileaks vorbereitet. Dabei hatten die USA auch Deutschland vorgewarnt.
CSU-Chef Horst Seehofer wird als «unberechenbar» charakterisiert, Außenminister Guido Westerwelle (FDP) als «aggressiv». Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bescheinigen die Amerikaner, «selten kreativ» zu sein und das Risiko zu meiden. Das geht aus den Dokumenten hervor, aus denen das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» in seiner neuesten Ausgabe zitiert.
Wie aus den vorab verbreiteten Seiten hervorgeht, bezeichnen die Amerikaner Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) als «schräge Wahl». Aber auch Politiker jenseits Deutschlands kommen nicht gut weg. Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin wird als «Alpha-Rüde» charakterisiert. Den französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy bezeichnen die US-Diplomaten als «Kaiser ohne Kleider».
Zerbrochenes Porzellan...
Der US-Botschafter in Berlin, Philip Murphy, ist zuversichtlich, dass die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht unter den Wikileaks-Veröffentlichungen leiden werden: „Kurzfristig wird es möglicherweise ein paar Schlaglöcher auf der Straße geben, oder wie Sie in Deutschland sagen: etwas zerbrochenes Porzellan. Aber wir werden das überleben“, sagte Murphy der Tageszeitung „Die Welt“ (Montagausgabe). Und weiter: „Am Ende werden die amerikanisch-deutschen Beziehungen so stark bleiben, wie sie es seit Jahrzehnten sind.“
Murphy sagte, die USA seien bemüht, den diplomatischen Schaden durch die Veröffentlichungen in Deutschland möglichst gering zu halten: „Wir hatten und haben eine Reihe von Begegnungen mit einer Reihe von Vertretern der deutschen Regierung. Und wir sind mit den Ergebnissen bislang sehr zufrieden“, sagte der Botschafter.
Zu den Inhalten der Gespräche äußerte Murphy sich nicht, ebenso über seine persönliche Zukunft: „Ich bin volljährig, und stehe hier meinen Mann. Machen Sie sich um mich also keine Sorgen.“ Seine Mitarbeiter dagegen nahm er in Schutz: „Ich bedauere nichts von der Arbeit, die meine Kollegen getan haben. Ich stehe voll und ganz hinter ihnen.“ Er bedauere aber „zutiefst“, dass bei der Veröffentlichung der Dokumente „kriminelle Energie am Werk war und Verantwortungslosigkeit.“
Peinlich, peinlich...
Berliner Zeitung: Der hunderttausendfache Bruch von Vertraulichkeit und Vertrauen sät Misstrauen. Er wird menschliche und politische Beziehungsgeflechte stören, amerikanische Verhandlungspositionen auf dem internationalen Parkett schwächen, und überhaupt den ganzen diplomatischen Betrieb durcheinanderbringen. Die US-Regierung muss sich fragen lassen, wie einer Nation, die Astronauten ins Weltall schicken und feindliche Raketen in der Luft abschießen kann, die eigene interne Kommunikation so entgleiten kann. Wo waren ihre Sicherheitsvorkehrungen? Wie kann es sein, dass ein einziger Beamter, der gegen Vorschriften verstößt, die Weltmacht derart in Verlegenheit bringen kann? Noch so eine peinliche Frage.
Cyberwar? Wikileaks under attack...
Unteressen gibt es Berichte, dass Wikileaks aktuell angegriffen wird. Dies dürfte die Veröffentlichungen jedoch nicht behindern, schreiben die Macher auf ihrer Webseite:
Update: Artikel ist seit Sonntag Nacht wieder online! HIER
SPIEGEL online hatte offenbar aus Versehen bereits einige Details zu den Wikileaksenthüllungen veröffentlicht. Doch der Artikel war sofort wieder offline. Aktuell erhält man bei Aufruf des Artikels eine Fehlermeldung: "404- Dokument nicht gefunden". "Die von Ihnen gewählte Adresse/URL ist auf unserem Server nicht bzw. nicht mehr vorhanden."
Einige pfiffige Internetuser hatten den Artikel aber noch schnell aus dem Googlecache herausgefischt. Dort wurde er allerdings zwischenzeitlich auch schon entfernt, es erscheint nur noch eine weiße Seite. Hier das Original:
WAS ZEIGEN DIE DOKUMENTE? Die nun über die Plattform WikiLeaks enthüllten Dokumente bestehen aus Ein einziger Bericht geht zurück bis ins Jahr 1966, die weitaus meisten sind jünger als 2004 - damals wurde SIPRNet eingerichtet, die Datenbank, aus der das Material stammt (siehe unten). Die Zahl der Depeschen ist stetig gewachsen, allein aus den ersten beiden Monaten dieses Jahres stammen 9005 Dokumente. Danach bricht der Strom in dem WikiLeaks zugespielten Material ab. Aneinander gereiht ergeben die Depeschen genug Stoff, um 66 SPIEGEL-Jahrgänge zu füllen. Der SPIEGEL, die "New York Times", der Londoner "Guardian", der Pariser "Monde" und die Madrider "País" haben das Material gesichtet, analysiert und überprüft. WikiLeaks hatte das Material zur Auswertung überlassen. Jede Depesche besteht aus Datum, Urheber, Adressat, Geheimhaltungsstufe und dem eigentlichen Telegrammtext. In letzterem werden oft auch Namen von Informanten erwähnt. Der SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE haben sich deshalb entschieden, die Masse der Dokumente nicht zugänglich zu machen, sondern nur aus einzelnen Depeschen zu zitieren oder einzelne Kabel zu dokumentieren, in denen die Namen von Informanten unkenntlich gemacht sind - es sei denn, der Name des Zuträgers ist von politischer Relevanz. Die Berichte aus den Ländern sind in der Regel von Diplomaten verfasst, also Botschaftern, Konsuln oder ihren Mitarbeitern. Meist enthalten sie Einschätzungen der politischen Lage im jeweiligen Land, Gesprächsprotokolle, Hintergründe zu Personalentscheidungen und Ereignissen - oder auch Psychogramme einzelner Politiker.Fragen und Antworten
Was die Diplomatendepeschen wirklich aussagen