Vor den Toren der Metropolen Südafrikas gibt es Gettos, in denen vor allem Schwarze wohnen. Millionen leben in so genannten Townships, riesige Armenviertel aus Wellblechhütten und Bretterverschlägen.
Tonwship Khayelitsha in Kapstadt
Von Michael Mross
Es gibt einige Dinge, die sollte man in Südafrika besser nicht tun: Zum Beispiel nachts bei rot an einer Kreuzung halten, oder nach Einbruch der Dunkelheit am Bankautomaten Geld ziehen. Eindringlich wird auch vor dem Besuch der Townships gewarnt. In den riesigen Armenvierteln vor den Toren der Großstädte herrschen weder Gesetz noch Ordnung. Das Alltagsleben wird von Clans und Bossen diktiert. Als Tourist sollte man sich also lieber nicht in die Höhle des Löwen begeben.
Vor nicht allzu langer Zeit startete die südafrikanische Tourismusbehörde eine Kampagne, um das Ansehen des Landes aufzupolieren. 100 deutsche Reisebüro Manager wurden nach Kapstadt eingeladen, um Land und Leute besser kennen zu lernen. Zum Programm gehörte auch ein Besuch des größten Townships der Stadt. Als die beiden Reisebusse dort ankamen wurden sie sofort überfallen. Die Reiseexperten durften als erstes unter Waffengewalt ihr Hab und Gut abliefern. Ein kleines Eigentor der südafrikanischen Tourismusbehörde. Ein Grund für mich, vor Ort einmal nach dem Rechten zu sehen.
Ich schnappe mir also einen Einwohner von Khayelitsha und auf geht’s. Khayelitsha ist eines der größten Townships Südafrikas, liegt am Rand von Kapstadt und bedeutet: „Neue Heimat“. Zynischer könnte man diese desolate Ansammlung von Blech- und Holzhütten kaum benennen. 1,5 Millionen Menschen hausen hier.
Sam, so der Name meines Führers, führt mich gleich ins Zentrum. Er scheint eine wichtige Rolle zu spielen, man kennt ihn. Unbehelligt spazieren wir durch die Gegend. So ein Township ist eine Stadt in der Stadt. Hier gehen die Uhren anders, hier herrscht teils nackte Anarchie. Wir besuchen einen echten Medizinmann, werden von Familienmitgliedern herzlich eingeladen. Trotz der wahnsinnigen Armut sind die Menschen allerdings nicht verzweifelt. Aus mancher Hütte dringt Musik. Ich sehe lachende Menschen, werde überall neugierig beäugt. Die Freundlichkeit der Leute beschämt mich.
Wir steuern einen besonderen Bretterverschlag an: ein Shebeen, klärt mich mein Führer auf. Shebeen bedeutet „Kneipe“ und in dieser Kneipe gibt es Bier – allerdings nicht aus Flaschen, sondern aus Aluminium-Eimern. Der Gerstensaft wird im Getto selbst gebraut. Die Menschen sitzen in der „Kneipen-Hütte“ zusammen, unterhalten sich angeregt, lassen den Aluminiumeimer rundgehen – jeder darf mal trinken. Aus Höflichkeit nehme ich auch einen Schluck, befürchte jedoch übelste Kopfschmerzen am nächsten Tag. Aber das Zeug schmeckt gar nicht so schlecht.
Die Leute wollen wissen, wo ich her komme, was ich mache. „Deutschland“, damit erntet man schon mal Pluspunkte, denn Südafrika ist fußballbegeistert. Doch die schier unendliche Armut erdrückt den Besucher und hinterlässt auch bei mir ein äußerst ungutes Gefühl. Solche Gettos mit Millionen von Menschen bilden ein explosives Gemisch für die Zukunft. Der Unterschied zwischen dem „Postkarten“- Kapstadt und den Millionen Elendshütten könnte nicht größer sein. Da wundere ich mich eigentlich, dass es nicht mehr Kriminalität gibt.
Einige hoffnungsvolle Ansätze sind gleichwohl zu sehen: Die Stadt bemüht sich, Struktur ins Elend zu bringen. Strom, sanitäre Einrichtungen, Unterstützung, damit aus Holzhütten Steinhäuser werden.
Der Tag im Township geht unter der Flut der Eindrücke schnell zu Ende. Ich verspreche in jedem Fall, wieder zu kommen. Und vielleicht ist ja dann aus manchem Bretterverschlag tatsächlich ein kleines Haus aus Stein geworden mit einem echten Dach. Zum Sonnenuntergang fahren wir unversehrt wieder ins Zentrum von Kapstadt. Es ist wie eine Reise zu einem fernen Planeten.