Kommt die Inflation? Darüber wird an der Börse nach wie vor heiß diskutiert. Telebörse-Moderator Raimund Brichta hält dagegen: Die Inflation sei längst da, sagt er, zumindest für diejenigen, die in der Schule aufgepasst haben.
Die meisten Volkswirte können kein Latein. Ansonsten würden sie niemals auf die Idee kommen, Inflation mit "anhaltendem Preisanstieg" zu übersetzen. Denn "inflatio" bedeutet "das Aufblähen". Man kann aber nur etwas aufblähen, das auch einen Inhalt besitzt, wie einen Ballon zum Beispiel, in den man ordentlich Luft pumpt. Preise lassen sich dagegen nicht aufpumpen, weil sie keinen Inhalt haben; sie lassen sich allenfalls herauf- oder heruntersetzen.
Aber zum Glück, liebe Volkswirte, gibt es noch eine kleine Minderheit unter euch, die in Latein aufgepasst hat. Diese Gruppe wackerer Ökonomen definiert Inflation ganz anders. Und zwar als ein Aufblähen der Geldmenge im Vergleich zur Menge an Gütern und Dienstleistungen, die produziert und erbracht werden und für deren Bezahlung das Geld eigentlich gedacht ist. Und das macht Sinn. Denn erstens wird damit die lateinische Wortbedeutung nicht ad absurdum geführt. Eine Menge an Geld lässt sich tatsächlich aufblähen. Und zweitens wird damit der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nicht auf den Kopf gestellt. Eine aufgeblähte Geldmenge ist nämlich immer die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zu einem anhaltenden allgemeinen Preisanstieg kommen kann. Die Inflation, und zwar der Geldmenge, ist also immer die Ursache, der Preisanstieg ist nur eine mögliche Wirkung.
Von der Diagnose zum Auslöser
Ihr, die ihr der Mehrheit der Ökonomenzunft angehört, missachtet also nicht nur die lateinische Sprache, sondern auch diesen grundlegenden Zusammenhang. Dabei quasselt ihr wie ein Arzt, der behauptet, Grippe sei hohes Fieber. Mal ehrlich: Würdet ihr einem solchen Mediziner vertrauen? Vermutlich nicht, denn jeder Laie weiß, dass eine Grippe allenfalls die Ursache von hohem Fieber sein kann, nie das Fieber selbst. Eine steigende Körpertemperatur ist also nur ein Symptom, das mit Grippe einhergehen kann. Genauso sind steigende Preise nur ein Symptom von Inflation, nicht aber die Inflation selbst. Letzteres behauptet ihr aber, und die große Schar der Laien glaubt euch das auch noch.
Haarspalterei? Nein, weil ein Arzt eine Grippe-Infektion auch dann schon diagnostizieren und behandeln kann, wenn sie sich noch nicht auf dem Fieberthermometer zeigt. Genauso kann man eine Inflation schon erkennen, wenn sie noch nicht auf den Preisschildern in den Geschäften abzulesen ist. So wie zurzeit: Seit Jahrzehnten sind die Geldmengen in den meisten Industrieländern um einiges stärker gewachsen als die Wirtschaftstätigkeit. Der Geldüberhang ist enorm, da im Verhältnis zur realen Wirtschaft viel zu viel Geld in Umlauf ist. Die Inflation ist also längst da, während ihr, liebe Mehrheitsökonomen, euch noch den Kopf darüber zerbrecht, ob sie kommt.
Die Wirkung der Spekulanten
Was fehlt, ist nur, dass die Preise hohes Fieber kriegen so wie der Mensch bei einer ordentlichen Grippe. Das liegt daran, dass die überschüssigen Geldmassen bisher hauptsächlich an den Finanzmärkten zirkulieren und nicht in die reale Wirtschaft fließen. Sie werden vor allem zum Spekulieren und Investieren verwendet, so dass sie für heftige Fieberanfälle nur dort sorgen können, wo damit spekuliert und investiert wird - etwa bei Aktien, Anleihen oder Immobilien. Die produzierten Waren und Dienstleistungen aber werden nicht so teuer, dass man sich darüber Sorgen machen müsste. Da jedoch nur deren Preise für die Teuerungsrate gemessen werden, bleibt das allgemeine Preisfieber aus.
Dies kann sogar so bleiben - trotz allen Geredes über eine bevorstehende Teuerungswelle. Zumindest dann, wenn es auch künftig genügend Spekulationsmöglichkeiten gibt. Wenn Geld nämlich an den Finanzmärkten gehalten wird, muss es nicht in die reale Wirtschaft drängen. Würde man den "Spekulationssumpf" dagegen trockenlegen, wie es Politiker gerne fordern, bliebe den Geldmassen gar nichts anderes übrig, als abzuwandern und für steigende Preise in der realen Welt zu sorgen. Denn man kann zwar den Sumpf entwässern, in die Quelle zurückschicken kann man das Wasser aber nicht.
Auch wenn es manch einem wie die Wahl zwischen Pest und Cholera vorkommen mag, die Alternative kann deshalb nur lauten: Entweder wachsen die Finanzmärkte weiter, oder unsere Preise kriegen Fieber. Das ist eine wichtige Botschaft an die Politiker, die diesen Zusammenhang mit Sicherheit nicht kennen, meint ihr Volkswirt Raimund Brichta, der zum Schluss noch einen Musiktipp hat, und zwar einen Titel der Wise Guys mit dem Refrain:
"Er war der Beste in Latein,
der Allerbeste in Latein.
Wie er die Verben konjugierte,
Substantive deklinierte -
das konnt' nur er allein ..."