In den letzten Tagen habe ich einige, zum Teil auch etwas aufgeregte Mails zum Thema Hindenburg-Omen erhalten. Hintergrund ist, dass auf verschiedenen Internet-Seiten Artikel zu diesem Omen veröffentlicht wurden.
Von Jochen Steffens
Auch das ist wieder ein schönes Beispiel, wie die menschliche Psyche funktioniert. Das Wohlbefinden der Menschen hängt unter anderem mit dem Bedürfnis nach Sicherheit zusammen. Sicherheit ist die Abwesenheit von „Gefahr“. Um beständig zu überprüfen, ob wir uns im Moment in einem Zustand der Abwesenheit von Gefahr befinden, sind wir Menschen auf die Suche nach Gefahren spezialisiert. Sobald der Verstand mögliche Gefahren ausgemacht hat, schrillen logischerweise die Alarm-Glocken. Im Leben ist dieses Vorgehen durchaus sinnvoll, an der Börse kann es zu einigen Fehlentscheidungen führen.
Der geeignete Name
Das Hinterhältige am Hindenburg-Omen ist sein Name. Dieser ist wirklich gut gewählt, um Gefahr zu signalisieren. „Hindenburg“ erinnert an das Luftschiff und damit an eine der großen Katastrophen der Luftfahrt. „Omen“ hat ohne Frage auch etwas sehr Düsteres. Und schon schrillen alle Alarmglocken. Wenn dann noch zu lesen ist, dass dieses böse Omen „recht zuverlässig“ Crashs voraussagen soll – ist der Gefahrensucher in uns kaum noch zu halten. Er springt auf das Thema an, wie ein hungriger Ketten-Hund.
Zur Realität
Nachdem wir nun also eine Weile genussvoll in gepflegter Panik allerlei Horrorszenarien durchgespielt haben, sollten wir uns auf die Fakten konzentrieren. Was ist eigentlich dieses Hindenburg Omen? Wie zuverlässig ist es?
Es gibt vier Voraussetzungen:
1. Von den an der NYSE gehandelten Wertpapieren müssen jeweils mindestens 2,2 % sowohl ein 52 Wochenhoch als auch 52 Wochentief ausbilden. (An der NYSE werden 3126 Aktien gehandelt, es geht also um knapp 70 Aktien, die diese Voraussetzung erfüllen müssen)
2. Der 10-Wochen, beziehungsweise 50-Tage gleitende Durchschnitt muss ansteigen
3. Der McClellan Oszillator muss negativ sein. (Dieser Indikator untersucht den Zustand des Gesamtmarkes durch die Messung der Marktbreite.)
4. Die Zahl der neuen 52-Wochen-Hochs darf höchstens doppelt so hoch sein, wie die Zahl der neuen 52-Wochen-Tiefs. Die umgekehrte Variante stellt kein Hindernis dar.
Die Logik des Hindenburg-Omens
Ohne Frage ist eine gewisse Logik bei der Auswahl dieser Kriterien zu erkennen. Eine Vielzahl von Wochenhochs und -tiefs weisen darauf hin, dass auf der einen Seite verkauft wird, während andere Werte noch übertreiben. Das wird als ein Hinweis gesehen, dass es zu einem Wechsel von den starken zu den schwachen Händen an der Börse kommt. Und das wiederum geschieht gerne vor entsprechenden Kursrückgängen.
Die zweite Voraussetzung, der steigende gleitende Durchschnitt, soll sicherstellen, dass dies in einem Aufwärtstrend stattfindet.
Ein negativer McClellan Oszillator weist darauf hin, dass mehr Aktien gefallen als gestiegen sind. Das heißt, dieser Punkt zeigt ebenfalls einen Geldabfluss an und bestätigt damit den ersten Punkt. Das jedoch auf der gesamten Marktbreite. Natürlich ist es ein Zeichen der Schwäche der Käufer (Bullen), wenn mehr Aktien fallen als steigen. Nach einem Aufwärtstrend ist auch das ohne Frage ein Warnsignal.
Und der letzte Punkt gleicht vorübergehende Ungleichgewichte aus. Er präzisiert sozusagen das Signal. In einem starken Aufwärtstrend könnte eine Vielzahl von neuen Hochs bei wenigen schwachen Aktien darauf hinweisen, dass hier lediglich Geld von schwachen Aktien in starke umgeschichtet wird. Und das wäre wiederum fast schon ein bullishes Signal.
Häufiges Auftreten
Doch es gibt noch eine weitere, wichtige Voraussetzung, die sich auf dieses Signal selbst bezieht: Ein Hindenburg Omen alleine weist noch nicht auf einen Crash hin. Es müssen schon mehrere hintereinander folgen. Nach Meinung verschiedener Analysten sollten mindestens drei innerhalb von 30-36 Tagen auftreten. Andere möchten ein gehäuftes Auftreten in einem begrenzten Zeitraum sehen.
Zwischenfazit:
Wir hatten am 14. und 15. Dezember jeweils ein Hindenburg Omen. Das war auch der Grund für die Artikel auf diversen Internet-Seiten. Nach der letzten Voraussetzung fehlt allerdings noch ein weiteres Omen. Das heißt, bisher besteht noch kein Grund zur Panik. Doch was ist, wenn dieses nun in den nächsten Wochen ausgebildet wird?
Im Fall der Fälle
Bilden sich mindestens drei Hindenburg Omen innerhalb von 36 Tagen, ergeben sich folgende Wahrscheinlichkeiten:
In 77 % der Fälle kommt es innerhalb der folgenden 40 Tage zu einem Kursrückgang um über 5 %. (Anm. d. Red.: Gut, das können wir verkraften.)
In 41 % der Fälle kommt es zu einer größeren Verkaufspanik -
und in 24 % zu einem Crash.
Aber das ist nicht alles. Offensichtlich gab es kaum einen größeren Kursrückgang, ohne dass zuvor ein Hindenburg-Omen auftrat.
Das Pferd von hinten
Das alles klingt gefährlich und erschreckend. Doch manchmal reicht es aus, Dinge ein wenig umzuformulieren und schon sieht die Welt etwas anders aus:
In 76 % der Fälle eines bestätigten Hindenburg-Omens kam es nicht zu einem Crash! (Anm. d. Red.: Beruhigend, oder?)
In weit über der Hälfte der Fälle (59 %) kam es eben nicht zu einer Verkaufspanik. (Anm. d. Red.: Auf solche Quoten setzen wir Trader ansonsten!)
Und sogar in 23 % (also fast ein Viertel) der Fälle folgte in den nächsten 40 Tagen nicht einmal ein Kursrückgang von mehr als 5 %. (Anm. d Red.: Mich würde interessieren, in wie vielen Fällen es generell in den nächsten 40 Tagen zu einem Kursrückgang von 5 % kommt.)
Spaß beiseite
Sie sehen, manchmal reicht einfach eine kleine Veränderung des Blickwinkels, um einer Sache die Schärfe zu nehmen. Lassen Sie sich auch hier nicht verwirren von der Art, wie Fakten beschrieben und Namen ausgewählt werden.
Die letzten Jahre
Aber analysieren wir weiter. Dazu reicht schon ein Blick auf die letzten 5 Jahre:
Sowohl im Jahr 2005 als auch und besonders im Mai 2006 kam es zu einer Vielzahl von Hindenburg-Omen. Zwar folgte im Mai eine Konsolidierung, aber ein größerer Kursrückgang fehlte. Sehr gut getroffen wurden allerdings die Hochs 2007. Was unterscheidet diese beiden Fälle?
Der Unsicherheits-Indikator
Eigentlich weist das Hindenburg-Omen auf eine Phase größerer Unsicherheit hin. Positionen werden geschlossen, die Marktbreite zeigt Schwäche, während einzelne Aktien noch haussieren. Unsicherheit ist natürlich immer ein Warnzeichen, insbesondere dann, wenn diese Unsicherheit nach einem größeren Aufwärtstrend auftaucht. Und damit ist das Hindenburg-Omen sicherlich ein sehr guter Signalgeber. Aber man muss es einzuschätzen wissen.
Im Jahr 2005 brach der Dow Jones aus einer längeren Seitwärtsbewegung nach oben aus. Eine lange Seitwärtsbewegung verengt den Blick der Anleger. Das heißt, die Anleger sind keine größeren Kursbewegungen mehr gewöhnt und reagieren somit bereits viel früher mit Unsicherheit und Kaufzurückhaltung in einer Rally.
Das ist der Grund, warum das Hindenburg-Omen in oder nach Seitwärtsbewegungen zu Fehlsignalen neigt. Und gerade 2005 haben diese Signale einige davon abgehalten, zu investieren. Dabei folgte die eigentliche Rally erst noch…
Zu den Fehlsignalen in einer Seitwärtsbewegung ein Beispiel:
Am deutlichsten werden diese in der Seitwärtsbewegung am Ende der 70er Jahre nach dem Crash von 1974 (eine ähnliche Situation wie zurzeit). Auch in dieser Zeit kam es zu einer Häufung von Hindenburg-Omen, ohne dass es zu einem Crash kam. Jedoch haben diese teilweise ebenfalls Konsolidierungen eingeleitet.
Fazit
Aktuell befinden wir uns in den USA entweder gerade nicht mehr oder noch in einer größeren Seitwärtsbewegung. Auf jeden Fall nicht in einem größeren Aufwärtstrend. Die Signalqualität des Hindenburg-Omens dürfte damit deutlich geringer sein. Zudem fehlt noch, wie oben beschrieben, eine auffällige Häufung der Signale. So gesehen besteht noch kein Grund zu größerer Sorge.
Allerdings gibt es natürlich bereits eine Vielzahl von kleineren Warnsignalen (siehe Texte zum ISM-Index, zum Ifo-Index, etc.). Es ist, wie schon geschrieben, durchaus sinnvoll, insgesamt etwas vorsichtiger zu werden. Auch die Hindenburg-Omen weisen auf diese Unsicherheit hin. Und egal wie man es dreht und wendet, in diesen Phasen sind die Märkte einfach anfälliger für Auslöser eines stärkeren Abverkaufs oder zumindest für eine Konsolidierung.