Die Präsidentschaftswahl ist vorüber, die Demonstrationen niedergeschlagen und Oppositionelle verschleppt. In Minsk herrscht wieder buisness as usual. Von Körben voller Geld und einer zentral regulierten Fernheizung.
Von Felix Fabich
Wer nach Weißrussland will hat es nicht einfach. Lange Wartezeiten an den Grenzen, scharfe Kontrollen und Wirtschaftsprotektionismus charakterisieren die EU-Außengrenze.
Jeder Neuankömmling muss eine weißrussische Krankenversicherung abschließen. Ausländische Versicherungen werden im Notfall nicht anerkannt. Wobei die medizinische Ausstattung der Krankenhäuser im Land dem Stand von vor 15 Jahren entspricht.
Auch am Toilettenpapier wird gespart. Das gibt es auf öffentlichen Toiletten gar nicht – lieber wird das Geld in die Polizei gesteckt. Gerade zu Silvester sind tausende Polizisten in der Stadt im Einsatz. Ein Traktor mit Blaulicht fährt die Straßen entlang und ermahnt langsam fahrende Autos nicht wegen des Feuerwerks anzuhalten. Starke Personenkontrollen rund um den Stadtkern.
Wer Englisch spricht hat schlechte Karten. Schräge Blicke und Unverständnis in großen Teilen der Bevölkerung. Englisch ist an den Schulen keine Pflicht und der Polizei zeigt man besser nicht, dass man Ausländer ist. Die Angst vor Polizeigewalt haftet in diesen Tagen besonders im Hinblick auf die Ereignisse der letzten zwei Wochen an den Reisenden.
Ich sehe mich auf einem der größten Märkte der Stadt um. An kilometerlangen Ständen kann der Belarusse kaufen, was das Herz begehrt: hunderte Fleisch-, Käse- und Obsttheken. Auf dem Boden finde ich die kleinste Geldeinheit des Landes: zehn belarussische Rubel – ein viertel Cent. Eine Einheimische gibt mir zu verstehen, dass sich hier niemand mehr danach bückt.
Und während die Händler ihr Geld in kleinen Körben lagern, kauft der scheinbare Rest der Bevölkerung kräftig US-Dollar und Euro. In jedem größeren Supermarkt gibt es eine Wechselstube – stets eine kleine Menschenschlange davor. Den Banken wird kaum vertraut und Geld lieber zu Hause versteckt. Bei Inflationsraten von bis zu 15% p.a. gibt es übrigens auch keine Münzen!
Es scheint aber auch Reichtum zu geben. Porsche, BMW und VW bestimmen das Straßenbild, trotz eines durchschnittlichen Einkommens von 300 US-Dollar. Ich spreche mit einer aufstrebenden Designerin über das Problem. Sie sieht das Problem in erster Linie in den Köpfen der Menschen. Ihn mangle es an Opportunismus und Mut. Viel zu Viele verfallen später unnötiger Weise in die Altersarmut. Die Rente reicht hier gerade so zum physischen Existieren.
Auch der Protektionismus der Regierung scheint nicht immer sein Ziel zu erfüllen. IKEA wird die Expansion in Weißrussland verboten aus Angst vor billigen Möbeln – die Chance auf viele hundert Arbeitsplätze wird hier nicht betrachtet.
Das Gleiche beim Alkohol: die 0,5 Liter Flasche einheimischer Vodka für circa 2,50 Euro – importierter Alkohol hingegen wird hoch besteuert und kostet teilweise fast dreimal so viel wie in Deutschland.
Ich verlasse die urbane Gegend mit dem Zug. 50 Kilometer Bahnreise für ca. 0,32 Euro. Pünktlich ist der Zug auch bei -20°C, sagt man mir. Nur bei zu hohen Schneewehen auf den Gleisen kann es zu Verspätungen kommen. Im Abteil herrscht eine große Diversität: junge Studenten, Fischer, Arbeiter und Omas mit Kopftuch und Gehhilfe. Die Fahrgäste werden von einem Akkordeonspieler und verschiedenen Verkäufern unterhalten. Klebstoff und Tücher werden feil geboten.
Ich steige am großen Minsker See aus. Schwarze Punkte kauern bewegungslos auf der Eisfläche. So sitzen sie bei -10°C und starkem Wind für fünf Stunden. Ein Fischer erzählt mir, dass der Fisch das Letzte sei, was zählt. Es geht um das Sitzen, Warten und Meditieren. Stundenlang rührungslos dasitzen in stetiger Erwartung auf das Anbeisen eines Fischs. Die Leute hier sind sehr gastfreundlich und herzlich. Ein schöner Flecken Erde.
Zurück in der Stadt kaufe ich Leinenstoff. Teilweise dreimal so billig wie in Deutschland. Hinter der Theke stehen acht Frauen. Alle „beschäftigt“ aber ohne Arbeit. In staatlichen Geschäften wird kaum gegrüßt. Es scheint den Verkäufern egal, ob sie Waren los werden. Die Regierung zahlt das Gehalt – unabhängig vom Geschäftserfolg. Mir wird nun auch klar, wieso hier nahezu Vollbeschäftigung herrscht. Auch Ehrentafeln mit Photos der besten Bürgern der Stadt erinnern mich an DDR-Zeiten. In den Plattenbauten wird staatlich geheizt – von Herbst bis Frühling. Immer. Die einzige Möglichkeit zur Temperaturregelung ist das Öffnen des Fensters.
Insgesamt eine schöne Flache Landschaft mit vielen netten Menschen. Hierher wird es mich wieder ziehen.
Bahnhof Minsk, Weißrussland, im Januar