Die Menschen mißtrauen den Behörden. Diese haben das Unglück wissentlich von Anfang an heruntergespielt. Neben allem menschlichen Leid - was bedeutet die Atomkatastrophe in Japan für das globable Finanzsystem? Droht auch hier die Kernschmelze?
Die Situation der japanischen Atommeiler droht zunehmend außer Kontrolle zu geraten. Nun sollen Hubschrauber Wasser auf das Abklingbecken von Reaktor 4 werfen. Nach einem Brand in dem Reaktor kann offenbar kein Kühlwasser mehr eingefüllt werden. Bei einer erneuten Explosion vom Dienstag wurde erstmals der innere Schutzmantel des Reaktors 2 im AKW Fukushima I beschädigt. Daraufhin wurde durch die Regierung rund um das Kraftwerk Strahlenalarm ausgerufen.
Der Betreiber Tepco sprach von einer "sehr schlimmen" Lage, der japanische Ministerpräsident Naoto Kan warnte indes vor weiteren möglichen Lecks. Auch in der Hauptstadt Tokio wurden erhöhte Strahlenwerte gemessen, in der Bevölkerung brach daraufhin Panik aus.
Indes hat der Unfall in Fukushima I die zweithöchste Stufe in der Internationalen Bewertungsskala (INES) erreicht. Der Störfall sei mit Stufe 6 von 7 zu bewerten, teilte der Präsident der Französischen Atomsicherheitsbehörde (ASN) am Dienstag mit. Auch im AKW Fukushima II sollen in drei von vier Blöcken die Kühlsysteme ausgefallen sein.
Es sind so viele Meldungen, wer kann das so schnell verstehen und einordnen? "Innere Reaktor-Schutzhülle beschädigt", "Kernschmelze nicht ausgeschlossen", "sehr schlimme Situation" - Japans Medien verbreiten die Horrormeldungen im Minutentakt. Fakt ist: Die Situation war von Anfang an bedeutend schlimmer als offiziell zugegeben. Regierung und Medien logen, um die Bevölkerung zu beruhigen, keine Panik auszulösen.
Die Geduld hat bei vielen Bürgern ein Ende, Verzweiflung macht sich breit - aber auch die Kritik an der Regierung und am Betreiber des Atomkraftwerks, Tepco.
Die Klagen über eine mangelhafte Informationspolitik werden lauter, der Ton schriller: "Das wird ganz schlimm. Aber die Behörden berichten nicht richtig. Die sagen uns nicht, was wirklich ist. Die belügen uns. Wir alle haben solche Angst", sagt Kiyoko Yoshimura aus Tokio verzweifelt Reportern der Nachrichtenagentur dpa. "Viele fliehen mit ihren kleinen Kindern, wer die Möglichkeit hat, geht in den Süden", sagt sie.
Unterdessen stellt sich die Frage, was "Japan" für die Weltwirtschaft bedeutet. Das fragile globale Finanzsystem ist ohnehin angeschlagen. Die Kastrophe in Japan könnte hier eine Kernschmelze auslösen. Die Notenbank in Japan hat in den vergangen Tagen rund 150 Milliarden Euro gedruckt, um eine Implosion der Kapitalmärkte zu verhindern.
Die Kastrophen in Japan dürften die Rezession und die Schwierigkeiten des Landes, das schon seit zwei Jahrzehnten mit Deflation kämpft zusätzlich erschweren. Einige Beobachter befürchten gar, dass die Krise in Japan das globale Finanzsystem in den Abgrund reisst.
Die Kreditausfallversicherungen für Japan sind auf Rekordstand geklettert. Eigentlich eine abstruse Situation So spotten einige Marktteilnehmer, dass es gar keinen Sinn mehr macht, japanische Kredite zu versichern - denn wer wird am Ende noch die Versicherungssumme zahlen können, wenn Japan pleite ist und das Finanzsystem mit in den Abgrund zieht? Japan ist immerhin die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt. Einen Ausfall Nippons dürfte das Finanzsystem nicht verkraften.
Gleichwohl geben sich deutsche Ökomomen gedämpft optimistisch für die Zukunft: Die Chefvolkswirte der Dekabank, Commerzbank und Barclays Capital, Ulrich Kater, Jürg Krämer und Thorsten Polleit, bewerten das Konjunkturrisiko der drohenden Atomkatastrophe in Japan unterschiedlich. Die Börsen seien verunsichert, weil die potenziellen Schäden einer bereits eingetretenen oder noch zu erwartenden atomaren Verseuchung in Japan „absolut nicht absehbar“ seien, sagte Kater Handelsblatt Online mit Blick auf die scharfen Anlegerreaktionen an Europas Aktienmärkten.
Diese Unsicherheit zeige auch immer eine gewisse eigene Dynamik und Verstärkung. „Dabei treten in der Regel Übertreibungen auf, die nach Klärung der Lage dann wieder korrigiert werden.“ Wann diese Klärung möglich sei, hänge von den technischen Vorgängen in den betroffenen japanischen Atomkraftwerken ab. „In jedem Fall werden allerdings auch die wirtschaftlichen Folgen aller vorstellbaren Szenarien hauptsächlich die japanische Wirtschaft treffen“, ist sich Kater sicher. „Die Weltkonjunktur wird hiervon weniger betroffen sein.“
Ähnlich äußerte sich Commerzbank-Chefökonom Krämer: "Auch wenn Japan furchtbar getroffen ist, gehe ich nicht davon aus, dass die Weltwirtschaft aus dem Takt kommt", sagte er Handelsblatt Online. Schließlich betrage der Anteil Japans am Welthandel nur knapp fünf Prozent. "Aber solange das Risiko einer nuklearen Katastrophe nicht gebannt ist, ist die Unsicherheit riesig", fügte Krämer hinzu: "Das spiegelt sich natürlich in fallenden Aktienkursen wider."
Barclays-Chefvolkswirt Polleit rechnet zwar auch damit, dass sich die konjunkturellen Folgen des Japan-GAUs eher regional auswirken werden. Im Gespräch mit Handelsblatt Online warnte er allerdings zugleich vor verfrühtem Optimimus. Denn derzeit lasse sich „wohl kaum verlässlich abschätzen, ob und wie nachhaltig die Natur- und Atom-Katastrophe die japanische und die weltweite Wirtschaft beeinflussen wird“. Sorgen vor den Folgewirkungen könnten daher „nicht von der Hand gewiesen werden, schließlich ist Japan die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und überaus eng eingebunden in die internationale Arbeitsteilung und die Kapitalmärkte“, sagte Polleit.
So könnten Produktionsausfälle in Japan, etwa im Technologiebereich, zu Zulieferengpässen in anderen Regionen führen. „Und sollten die Produktionskapazitäten in Japan nachhaltig geschädigt werden, könnte dies die japanische Importnachfrage schmälern und so einen nachhaltigen Nachfragerückgang in anderen Regionen hervorrufen“, ist sich Polleit sicher. Die Atom-Katastrophe scheine zudem zu einer Neubewertung der Nuklearenergienutzung in einigen Wirtschaftsräumen zu führen. „Dies könnte nachfolgend die Nachfrage und damit den Preis von fossilen Brennstoffen weiter in die Höhe treiben.“
Polleit hält es zudem für möglich, dass ein nachhaltiger Ausfall der Produktionskapazitäten in Japan die heimischen Kreditnehmer und damit auch die Kreditportfolios der japanischen Banken belasten wird. „Eine Verschlechterung der Staatsfinanzen wäre zudem der Fall, wenn notwendig werdende steigende Ausgaben für zum Beispiel Sozial- und Wiederaufbauausgaben durch Kreditaufnahme finanziert würden.“ Der Druck auf die Zentralbank, die Geldmenge auszuweiten, um Banken zu unterstützen und Staatsausgaben zu finanzieren und damit möglicherweise Preissteigerungen hinzunehmen, könne daher steigen, sagte der Barclays-Chefökonom.
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