Geheime Guantanamo-Dossiers enthüllen laut SPIEGEL Vielzahl weiterer Terrorpläne al-Qaidas. Anschlagsplan auf Heathrow weit gediehen. 765 Geheim-Dossiers über Gefangene zeigen fragwürdige Behandlung durch US-Regierung.
Die Terrorganisation al-Qaida wollte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit einem ähnlichen Plan den Londoner Flughafen Heathrow angreifen. Aus geheimen Dossiers des US-Verteidigungsministeriums, die dem SPIEGEL vorliegen, geht hervor, dass die Pläne wesentlich weiter gediehen waren, als bislang bekannt.
Demnach hat der Chefplaner von al-Qaida, Chalid Scheich Mohammed, 2002 bereits zwei Zellen gebildet, die den Anschlag vorbereiten sollten. In seinen Vernehmungen durch den amerikanischen Geheimdienst CIA sagte Scheich Mohammed aus, eine Qaida-Gruppe sollte ein Flugzeug in Heathrow entführen, es nach dem Start wenden und auf das Flughafenterminal stürzen lassen.
Laut Chalid Scheich Mohammed hätten bereits zwei Zellen an der Vorbereitung gearbeitet. Eine der beiden Gruppen habe in Großbritannien residiert und den Auftrag gehabt, ein Pilotentraining in Kenia zu absolvieren, um später das Flugzeug zu steuern.
Eine zweite Gruppe habe, ähnlich wie bei den Anschlägen des 11. September, nach potentiellen Märtyrern Ausschau halten sollen, die an den Attacken mitwirken könnten. Der Anschlag wurde laut den Aussagen mehrerer Qaida-Aktivisten in der Spitze der Terrororganisation intensiv diskutiert. So gab einer der Logistiker der Anschläge vom 11. September, der Jemenit Ramzi Binalshibh, an, er habe vorgeschlagen, das Bodenpersonal in Heathrow zu infiltrieren.
Die Aussagen finden sich in den 765 Dossiers über nahezu sämtliche Häftlinge, die jemals in Guantanamo einsaßen und die dem SPIEGEL wie anderen internationalen Medienpartnern vorliegen und seit Wochen ausgewertet werden. Die Organisation WikiLeaks will sie im Internet veröffentlichen. Die als „secret“, „geheim“, klassifizierten Berichte sind vom Pentagon erstellt worden und waren die Grundlage für die Entlassung eines Teils der Häftlinge.
Das Kürzel „Noforn“ („Not releasable to foreign nationals“) weist sie als Unterlagen aus, die ausländischen Regierungen nicht zugänglich gemacht werden sollten. Die Berichte zeigen, unter welch fragwürdigen, zum Teil konstruierten Begründungen die US-Regierung einen Großteil der Gefangenen trotz widersprüchlicher oder entlastender Angaben internierte. So stufte das Pentagon den Bremer Deutsch-Türken Murat Kurnaz noch im Mai 2006, drei Monate vor seiner Entlassung, als großes Sicherheitsrisiko ein und votierte gegen seine Entlassung.
Erstmals werden dadurch auch Details aus den Aussagen jener Qaida-Verdächtiger bekannt, die über Jahre von der CIA in Geheimgefängnissen festgehalten worden waren. Danach berichtete Chalid Scheich Mohammed, er habe Ende 2001 die Anweisung gegeben, das „höchste Gebäude Kaliforniens“ mittels entführter Flugzeuge anzugreifen.
Den Zugang zum Cockpit sollten sich die Attentäter mit einer oder zwei in der Schuhsohle versteckten Bomben frei sprengen. Einen Qaida-Operateur namens Lyman Faris will der Scheich im April 2002 angewiesen haben, eine Studie über eine mögliche Infiltration des Frachtbereichs von Flughäfen auszuarbeiten. Er habe vorgehabt, mehrere Frachtflugzeuge zu entführen und sie gleichzeitig in verschiedene Flughafengebäude in den USA stürzen zu lassen. Faris habe auch die Brooklyn-Brücke in New York zerstören sollen.
Die Aussagen der Guantanamo-Häftlinge sind unter Vorbehalt zu bewerten, weil sie unter folterähnlichen Bedingungen entstanden. So unterzog die CIA Chalid Scheich Mohammeds dem so genannten „Waterboarding“, bei dem das Ertrinken eines Häftlings simuliert wird. Allerdings bestätigen auch Angaben anderer Häftlinge, etwa von Walid Mohammed Bin Attasch, dass das Heathrow-Szenario innerhalb von al-Qaida intensiv diskutiert wurde. Bin Attasch sagte der CIA laut den Pentagon-Dossiers, er sei nicht nur in die Vorbereitung des Plans eingeweiht, sondern habe ihn selbst vorgeschlagen.