Nein, es stimmt nicht! Aber man stelle sich mal die umgekehrte Situation vor: Ein hochrangiger US-Würdenträger würde in Europa verhaftet. Derweil schmachtet Strauss-Kahn auf der Gefängnis-Insel Rikers Island bei New York.
von Michael Mross
Die Gefängnis-Insel Rikers bei New York ist so berühmt und berüchtigt wie das frühere Alcatraz: Hierhin kommen nur Schwerstkriminelle bei denen extreme Fluchtgefahr besteht. Seit heute hat die Gefängnisinsel einen neuen „Gast“: Dominique Strauss-Kahn
So etwas wie eine „Unschuldsvermutung“ scheint es in den USA nicht zu geben. Ohne jedes Gerichtsurteil muss DSK nun auf der Insel schmachten, Zusammen mit Massenmördern und Drogendealern.
Aussicht auf Entrinnen scheint es nicht zu geben: Der Prozess in den USA könne mehrere Monate oder auch Jahre dauern, sagte der Publizist am Dienstag im Deutschlandfunk. "Es geht in diesem Fall nicht um Affäre, Seitensprung und so weiter, sondern es geht um kriminelle Taten." Daher sei die Empörung und Überraschung in Frankreich aber auch anderswo so groß. Der Fall sei "ein Schlag für Frankreich".
Ein Schlag für Frankreich? Genau so muss man es fast sehen. Wahrscheinlich auch ein Schlag gegen Europa – wie immer man nun auch die Position des DSK beurteilt.
Fest steht: Würde Ben Bernanke in Paris verhaftet, wären wahrscheinlich schon die Flugzeugträger unterwegs, wie ein Kommentarschreiber richtig einschätzt.
Wie auch immer man zu DSK steht – und sicherlich gibt es genug an der Person zu kritisieren – das Vorgehen der US-Behörden ist ein Affront, ein Skandal gegen Europa, auch und gerade in Sachen Rechtsstaatlichkeit.
Die Art und Weise, wie die Behörden mit dem – immer noch offiziell unschuldigen – DSK umgehen, erinnert an finstere Bananenrepubliken. Zu deren Gebräuchen zählt die theatralische Vorverurteilung, das an den öffentlichen Pranger stellen und die Zurschaustellung des (prominenten) Verdächtigen in Handschellen beim sogenannten „perp walk“ vor einer Heerschar von Reportern. Der filmreife, entwürdigende Abtransport auf eine berüchtigte Insel ohne jeden Beweis für seine Tat müsste eigentlich auch in den USA für Empörung sorgen – tut es aber nicht.
Wie würde wohl Amerika reagieren, wenn gleiches auf europäischen Boden mit einem US-Würdenträger passiert wäre? Was hat DSK wohl falsch gemacht, dass seine einstigen Freunde ihn nun mit solcher Schmach überziehen? Sollten sich die Anschuldigungen dennoch bewahrheiten, drohen bis zu 25 Jahre Haft, prahlt ein US-Staatsanwalt bereits in heller Vorfreude. Die Darstellungen des Opfers seien „überwältigend“. Die des vermeintlichen Täters zählen vor Gericht bis jetzt nicht. Und wenn ein Alibi vorgetragen wird, werden die Tatzeiten so angepasst, dass sie „stimmen“.
Fazit: Kurz vor dem Kollaps entwickeln sich die USA zu einer Willkür-Diktatur. Der Untergang des Rechtstaates – sollte es ihn je gegeben haben – wird an keinem Fall deutlicher als an diesem Skandal.