Wie stabil ist die Erholung nach der Wirtschaftskrise? Dies ist aktuell die Multi-Milliarden-Frage in der globalen Ökonomie. Die richtige Antwort allerdings ist noch nicht gefunden. Im Gegenteil: Die Unsicherheit wächst zusehends. Beispiel Siemens.
[Börsen-Zeitung] Wie stabil ist die Erholung nach der Wirtschaftskrise? Dies ist aktuell die Multi-Milliarden-Frage in der globalen Ökonomie. Die richtige Antwort allerdings ist noch nicht gefunden. Im Gegenteil: Die Unsicherheit wächst zusehends, der nagende Zweifel über den Zustand der Welt kehrt trotz der Liquiditätsschwemme an die Märkte zurück.
Diese Veränderung lässt sich am Beispiel Siemens illustrieren. Am Dienstag ist der Aktienkurs der Münchner unter die Räder gekommen. Zwar ist das Minus mit knapp 2% nicht alarmierend. Spektakulär ist jedoch der Abstand zur Konkurrenz aus dem Deutschen Aktienindex: Der zweitschlechteste Wert stagnierte fast mit einem geringfügigen Abschlag, im Schnitt verzeichneten die Blue Chips sogar ein Plus von fast 1%. Die Datenlage legt nahe: Bei Siemens muss es richtig gekracht haben.
Aber Pustekuchen. Finanzvorstand Joe Kaeser wies vor Analysten nur auf Risiken hin. Via Pressemitteilung hat er dann noch erklären lassen, aufgrund von Basiseffekten sei eine Beruhigung des Wachstums auszumachen. Dies ist nicht nur logisch: Schließlich ist es leichter, im ersten Jahr nach einer Krise prozentual stark zuzulegen als im zweiten Jahr des Aufschwungs. Die Aussage ist darüber hinaus auch redundant. Denn schon im April hatte der Finanzvorstand angekündigt, das Wachstum werde sich in der zweiten Jahreshälfte beruhigen.
Die starke Reaktion der Anleger sagt also wenig über Siemens, aber viel über die Investoren aus. Ihre Nervosität wächst zunehmend. Nach Gewinnwarnungen wie von Philips reagiert der Markt plötzlich mit großer Vorsicht auf jedes Warnsignal, möge es auch wie bei Siemens zum wiederholten Mal gegeben werden. Dies muss nicht schlecht sein. Schließlich hatte die Aktienbörse zuletzt geradezu mit Ignoranz alle Risiken ignoriert. Eine realistischere Einschätzung ist daher sinnvoll. Die Konjunktur muss ja keineswegs in ein zweites Tal stürzen, aber eine Pause ist in Europa durchaus möglich.
Mittelfristig allerdings trübt sich das Umfeld für Siemens sehr wohl ein. Zwar sind die Chancen angesichts der Energiewende enorm. Darüber hinaus könnte der Fachkräftemangel die Automatisierung tatsächlich weiter vorantreiben. Aber beide Faktoren werden erst in einigen Jahren greifen. Auf kürzere Sicht wird Siemens den Kapitalmangel hochverschuldeter Staaten zu spüren bekommen. Der Konzern muss sich durch Innovationen unverzichtbar machen, um diesem unvermeidlichen Gegenwind auszuweichen.