Zinssenkungen bald? Europäische Zentralbank betont Konjunktur-Risiken. Trichet schwurbelt zwischen Inflation und Abschwung.
Das Dilemma der EZB, gleichzeitig mit Inflations- und Konjunkturrisiken konfrontiert zu sein, wird immer tiefer. Dies schlug sich deutlich in der heutigen Pressekonferenz nieder. EZB-Präsident Trichet ging abermals sehr ausführlich auf die Entwicklung der Inflation und die mittelfristigen Inflationsrisiken ein.
Im Vergleich zum Vormonat verschärfte er die Tonlage noch etwas. So sind seines Erachtens Anzeichen erkennbar, dass die Lohnkosten in den letzten Quartalen zugenommen haben. Die Sorgenfalten der EZB, dass im Euroraum eine Preis-Lohn-Spirale in Gang kommen könnte, sind somit noch tiefer geworden.
Auf der anderen Seite äußerte sich der EZB-Präsident aber auch skeptischer im Hinblick auf die konjunkturellen Aussichten des Euroraums. Im Juli hatte er noch mehrfach angeführt, dass die wirtschaftlichen Fundamentaldaten in der EWU solide seien.
Jetzt wählte er diese Formulierung nur ein einziges Mal und relativierte sie zudem durch den Zusatz ´mittelfristig`. Überdies bestätigte er, dass sich die konjunkturellen Risiken, auf die die EZB zuvor hingewiesen hatte, jetzt teilweise manifestiert hätten. Bevor der EZB-Rat hieraus Rückschlüsse zieht, möchte er aber abwarten, bis die neuen Projektionen aus der EZB vorliegen. Dies wird im September der Fall sein.
Unserer Ansicht nach ist die Veränderung der Tonlage der EZB im Hinblick auf die Konjunkturrisiken etwas stärker als hinsichtlich der Inflationsrisiken. Für eine Zinsanhebung dürfte es im EZB-Rat angesichts der dramatischen Verschlechterung der Konjunkturdaten in einigen EWU-Ländern kaum mehr eine Mehrheit geben.
Wir halten es sogar für gut möglich, dass die EZB schon auf der kommenden Pressekonferenz die Tür für Zinssenkungen einen Spalt weit öffnet. Gleichwohl gehen wir vorläufig noch davon aus, dass die EZB die weitere Entwicklung von Konjunktur und Inflation abwarten wird, bevor sie geldpolitisch aktiv wird. Die Chancen, dass der nächste Zinsschritt nach unten geht, sind aber mit der heutigen Pressekonferenz gestiegen.
Dr. Marco Bargel
Chefvolkswirt Postbank Research