Linde-Chef bringt Austritt Deutschlands aus Euro-Raum ins Gespräch. Er sei "nicht der Meinung, dass der Euro um jeden Preis gerettet werden muss". Und "wenn es nicht gelingt, die Krisenländer zu disziplinieren, muss Deutschland austreten". - Nun hagelt es Kritik: "Einseitige Schritte führen nur in die politische Isolation“. - Ex-BDI-Chef begrüßt Überlegungen zu Euro-Austritt.
Als erster Chef eines Dax-Konzerns bringt Linde-Chef Wolfgang Reitzle einen möglichen Austritt Deutschlands aus dem Euro-Raum ins Gespräch. Er glaube zwar, dass die Rettung des Euro gelingen könne, aber er sei "nicht der Meinung, dass der Euro um jeden Preis gerettet werden muss", sagt Reitzle in einem Interview mit dem Hamburger Nachrichten- Magazin "Der Spiegel".
Der Linde-Chef fürchtet, dass der Reformwille in den Krisenländern nachlasse, wenn die EZB eingreife. Und "wenn es nicht gelingt, die Krisenländer zu disziplinieren, muss Deutschland austreten". Dies würde zu einer Aufwertung "der D-Mark, des Euro-Nord, oder welche Währung wir dann auch hätten, führen."
Zwar würde in den ersten Jahren die Arbeitslosigkeit steigen, weil der Export einbreche, aber dann würde der Druck zunehmen, noch wettbewerbsfähiger zu werden. Die deutsche Wirtschaft könnte diesen Schock nach einigen Jahren überwunden haben. "Schon fünf Jahre später könnte Deutschland im Vergleich zu den asiatischen Wettbewerbern noch stärker dastehen", glaubt Reitzle.
Dieses Szenario sei für ihn "nicht wünschenswert", sagt der Chef des Technologiekonzerns im "Spiegel", "aber es darf auch nicht zum Tabu erklärt werden". Für Griechenland sieht Reitzle keine Chancen mehr, in der Währungsunion zu bleiben. Griechenland müsse "mittelfristig austreten". Die Kapitalmärkte hätten das Thema "längst abgehakt". Die Schulden Athens werden nach Überzeugung des Linde-Chefs "nicht zu 50 oder 70, sondern zu 100 Prozent abgeschrieben werden müssen".
Ökonom kritisiert Vorstoß von Linde-Chef Reitzle scharf
Der Berliner Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber hat mit scharfer Kritik auf Überlegungen des Linde-Chefs Wolfgang Reitzle zu einem möglichen Austritt Deutschlands aus dem Euro-Raum reagiert. „Deutschland muss entgegen der politisch defizitären Analyse von Reitzle zusammen mit den Handelsüberschussländern einen Plan B ausarbeiten. Einseitige Schritte führen nur in die politische Isolation“, sagte der Professor an der Technischen Universität zu Berlin Handelsblatt Online. Wer aber einen solchen Plan befürwortet, muss sich dafür unbedingt einsetzen, dass (Bundeskanzlerin Angela) Merkel und (Finanzminister Wolfgang) Schäuble abtreten, bevor es zu spät ist“, fügte Kerber hinzu. „Ich bin gespannt, ob Herr Reitzle diese politische Einsicht bereit ist auszusprechen.“
Mit Blick auf Reitzle sprach Kerber von einem „dynamischen Sinneswandel“ bei dem Dax-Konzernchef. „Noch im Sommer des vergangenen Jahres gehörte Reitzle zu jenen Vertretern des deutschen Vorstandskapitalismus, die mit den Geldern ihrer Aktionäre in Anzeigenkampagnen die unbedingte Rettung des Euro ausgerufen hatten. Heute erwägt Reitzle sogar den einseitigen Austritt Deutschlands“, sagte der Ökomom. Richtig an den Äußerungen von Reitzle sei hingegen die Feststellung, dass „alle Rettungsversuche bislang gescheitert sind und statt dies einzusehen, nunmehr der massive Einsatz der EZB – mit Herrn (Benoit) Coeuré an der Schaltstelle für Anleihenkäufe – droht und damit über kurz oder lang ein Kollaps zu befürchten ist“.
FDP-Fraktionsvize attackiert Linde-Chef Reitzle
Der Vize-Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Volker Wissing, hat Überlegungen des Linde-Chefs Wolfgang Reitzle zu einem möglichen Austritt Deutschlands aus dem Euro-Raum scharf zurückgewiesen. „Ich wünsche Herrn Reitzle, dass andere über sein Unternehmen niemals so wild öffentlich herumspekulieren, wie er über die Währung von 80 Millionen Menschen“, sagte Wissing Handelsblatt Online.
Reitzle hatte als erster Chef eines Dax-Konzerns einen möglichen Austritt Deutschlands aus dem Euro-Raum ins Gespräch gebracht. Er glaube zwar, dass die Rettung des Euro gelingen könne, aber er sei "nicht der Meinung, dass der Euro um jeden Preis gerettet werden muss", sagt Reitzle in einem Interview. Der Linde-Chef fürchtet, dass der Reformwille in den Krisenländern nachlasse, wenn die EZB eingreife. Und "wenn es nicht gelingt, die Krisenländer zu disziplinieren, muss Deutschland austreten".
Ex-BDI-Chef begrüßt Überlegungen zu Euro-Austritt
Der frühere BDI-Chef Hans-Olaf Henkel hat die Überlegungen von Linde-Chef Wolfgang Reitzle zu einem möglichen Euro-Austritt Deutschlands begrüßt. Im Interview mit der Onlineausgabe des "Handelsblattes" erklärte der einstige Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie zudem, dass Reitzle wohl nicht der einzige Dax-Konzernchef sei, der so denke wie er. "Unter vier Augen erzählt man mir Ähnliches schon seit langem", sagte Henkel. Reitzle werde daher auch "nicht der Letzte sein, der sich auch öffentlich Gedanken über Alternativen zum Einheits-Euro macht".
Für einen einseitigen Austritt Deutschlands aus dem Euro sieht Henkel aber kaum Chancen. "Ein gemeinsamer Austritt mit anderen Ländern, die eine ähnliche Finanz- und Wirtschaftskultur haben ist eher denkbar, als die Wiedereinführung der D-Mark, vor allem, wenn die Initiative von anderen "Nordländern" ausgeht, die unbefangener an die Sache als die Deutschen herangehen", sagte der Ex-BDI-Chef.
Der Anstoß könne aber auch von einem südlichen Land ausgehen, fügte Henkel hinzu, "weil zunehmend erkannt wird, dass der Euro dort zu stark geworden ist und die Wirtschaft ohne eine Abwertung des Euro nicht mehr auf einen grünen Zweig kommt".
Die jetzige Euro-Debatte könnte nach Einschätzung Henkels auch von den jüngsten S&P-Herabstufungen befeuert werden. "Die Herabsetzung von Frankreichs Bonität reißt auch Deutschland wieder etwas tiefer in eine Transfer-, Schulden- und Inflationsunion", sagte er. Besser wäre daher, "wir würden zusammen mit Finnland, Holland usw. selbst das Heft in die Hand nehmen und gehen".
Den verbleibenden Euro-Ländern würde die Abwertung des Euro nach Überzeugung Henkels gut tun, und Deutschland langfristig auch. "Dafür würde es sich auch lohnen, ein teures Austrittsticket zu lösen, um diesen Ländern bei der Restrukturierung ihrer Banken unter die Arme zu greifen."