ESM ist beschlossene Sache - und niemand muckt mehr auf. Auch die Aufstockung scheint niemanden zu stören. Die Tragweite des ESM wurde in der Presse kaum debattiert, geschweige denn die Folgen für jeden Einzelnen: ESM bedeutet de facto die Enteignung deutschen Sparvermögens. Doch die meisten werden es wohl erst merken, wenn das Geld weg ist.
von Rolf Ehlers
Eine fast beiläufige Mitteilung
In den Medien wurde in den letzten Tagen nur kurz darüber berichtet, dass die 27 Mitglieder der Europäischen Union einstimmig einen neuen Euro-Rettungsschirm (ESM) aufgelegt haben, der mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro helfen soll, durch finanzielle Stützung der in Finanznot geratenen Mitgliedsstaaten die finanzielle Stabilität im EU-Raum zu bewahren. Diese halbe Billion ist nur der jetzt beschlossene Mindestrahmen.
Schon im März soll über eine Aufstockung geredet werden. Das haben die Finanzminister in ihren Sitzungen vom 23. und 31.1.2012 einstimmig beschlossen, ohne dass das bei den etablierten Parteien mit Ausnahme der Linken auf Widerspruch gestoßen wäre. Nur England ist dagegen, Tschechien macht Vorbehalte.
Von einer Beteiligung der Parlamente der beteiligten Länder ist in dem Papier nicht die Rede, wird aber wohl innerstaatlich durchgezogen werden müssen. Gar kein Gedanke wird daran verschwendet, die Völker Europas zu befragen. Die Regelung soll am 1.7.2012 in Kraft treten.
Verwirrende Namensgebungen: EFSM, EFSF, ESM
An der Verfügung über diesen gewaltigen Betrag von zunächst einmal einer halben Billion Euro gab es öffentlich auch deshalb kaum Anstoß, weil wir solche große Zahlen inzwischen gewöhnt sind und gar nicht realisieren können, welches die Folgen solcher Ausgaben sind. Allerdings fing die Vergemeinschaftung aller Haushaltsschulden der beteiligten Staaten weit harmloser an. Da ging es zunächst „nur“ um 60 Milliarden Euro, über die EU- Kommission mit dem Instrument der EFSM (European Financial Stabilisation Mechanism) mit Mehrheit befinden sollte. Das Budget der EU-Kommission sollte in die Mithaft für diese Gelder genommen werden.
Über ein weiteres Instrument, die EFSF (European Financial Stability Facility), sollten allerdings weitere Gelder in Höhe von bis zu 440 Milliarden Euro erhoben werden können, dies aber wie die Öffentlichkeit belehrt wurde, nicht im Wege der Schuldenübernahme, sondern durch Vergabe von Darlehen an die notleidenden Länder. Jeder konnte sich ja damit beruhigen, dass damit doch nicht endgültig gesichert war, dass mit einer Rückzahlung niemals zu rechnen war.
EFSM und EFSF zusammen kamen schon auf die magische Summe von einer halben Billion Euro. Ist das Kind also nicht bereits mit der Bildung von EFSM und EFSF in den Brunnen gefallen? Hat das neue Kind ESM einfach nur einen neuen Namen, indem es die Leistungen und Risiken seiner beiden Vorläufer nur zusammenfasst? Weit gefehlt! 250 Milliarden Euro wurden über den EFSF übrigens gleich für die Rettung der Haushalte Irlands und Portugals ausgebeben.
Wesentliche Inhalte der neuen ESM-Regelung
Es geht jetzt nicht mehr im Wesentlichen um Darlehen. Die jetzt angefassten Gelder sind mit ihrer Verteilung endgültig weg. Es kommt aber noch toller: Nach Art.10 Abs. 1 der Regelung kann der von der EU-Kommission eingesetzte mit der Mehrheit seiner Mitglieder entscheidende „Gouverneursrat“ nach Art. 17 jederzeit Erhöhungen des Grundkapitals beschließen. Eine Obergrenze gibt es nicht.
Darüberhinaus ist er ermächtigt, zur weiteren Stabilisierung der Haushalte auf den Kapitalmärkten Kredite von Banken und anderen Einrichtungen aufzunehmen, um auch diese der Höhe nach unbegrenzten Mittel zur Stabilisierung der einzelstaatlichen Haushalte zu verwenden. Die Billion ist so sehr schnell erreicht! Eine Inhaltskontrolle der Darlehen von außen, etwa durch die Parlamente der Vertragsstaaten, ist nicht vorgesehen.
Da entscheidet der Geschäftsführende Direktor des Gouverneursrats in Befolgung der vom Direktorium dieser Einrichtung festgelegten Leitlinien. Wann außer bei der Treuhandanstalt, die auf Kohls Geheiß das Tafelsilber und den Schrott der untergegangenen DDR verhökerte, hat jemals eine Behörde solche Freizügigkeiten genießen dürfen?!
ESM-Diktatur außer Kontrolle
Die Verfasser dieser Regeln haben natürlich mit Kritik gerechnet und haben deshalb in Art. 25 eine Prüfung der Rechnungsführung durch „externe Prüfer“ vorgesehen, die indes vom Gouverneursrat selbst eingesetzt werden. Die Autoren der Vereinbarung haben allerdings auch an die armen Menschen gedacht, die solche unerhörte Verantwortung übernehmen. In Art. 27 und 30 sind daher Regeln aufgestellt, die sie von jeglicher persönlicher Inanspruchnahme gleich vollständig freigestellt. Es heißt dort wörtlich:
- „Der ESM, sein Eigentum, seine Finanzmittel und Vermögenswerte genießen unabhängig von ihrem Standort und Besitzer umfassende gerichtliche Immunität"
- “Das Eigentum, die Finanzmittel und Vermögenswerte des ESM sind unabhängig davon, wo und in wessen Besitz sie sich befinden, von Zugriff durch Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung, Enteignung und jede andere Form der Inbesitznahme, Wegnahme oder Zwangsvollstreckung durch Regierungshandeln oder auf dem Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzesweg befreit.”
- “Die Archive des ESM und alle ihm gehörenden oder in seinem Besitz befindlichen Dokumente im Allgemeinen sind unverletzlich.”
- “Die Gouverneursratsmitglieder, stellvertretenden Gouverneursratsmitglieder, Direktoren, stellvertretenden Direktoren, der Geschäftsführende Direktor und das Personal genießen Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich der in ihrer amtlichen Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit in Bezug auf ihre amtlichen Schriftstücke.“
Blanker Verfassungsbruch in den EU- Ländern
Gegen den EFSF und die schon vor ihm gewährten Finanzhilfen an Griechenland hatte die Gruppe Gauweiler, Hankel, Nölling, Schachtschneider und Starbatty erfolglos vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. In seiner Entscheidung vom November letzten Jahres meinte das Gericht, mit der Höhe der Bürgschaften sei die Obergrenze für die Annahme einer Aufgabe der Haushaltsautonomie des Staates noch nicht erreicht. Erst wenn die Haushaltsautonomie „für einen nennenswerten Zeitraum nicht nur eingeschränkt würde, sondern praktisch vollständig leerliefe, könne davon die Rede sein. Immerhin verlangten die Richter, dass der Haushaltsausschuss der Deutschen Bundestages jedem neuen Rettungspaket zustimmen müsse. Die Übertragung dieser Zustimmungsrechte auf einen Unterausschuss aus nur 9 Mitgliedern des Haushaltsausschusses lehnten sie als verfassungswidrig ab.
Dieser Sieg vor Gericht hat ganz offensichtlich Merkel & Co. ermutigt, mit dem ESM jetzt eine Regelung vorzulegen, die die Europäische Union endgültig zu der nach dem Grundgesetz unzulässigen Haftungs- und Transfergesellschaft macht, die die Kläger zu Recht beklagt hatten. Dabei darf man nicht vergessen, dass parallel die Europäische Zentralbank (EZB) permanent auf Kosten der EU-Länder, die ja für diese Defizite einstehen müssen, Schrottpapiere der Banken in von der Finanzkrise am stärksten betroffenen Ländern aufkauft, zuletzt in dem der wilden Aufregung um den ungelenken Bundespräsidenten Wulff doch kaum beachteten Einkauf vom 500 Milliarden Euro italienischer und spanischer Schrottpapiere.
Mit dem ESM und der neuen Praxis der EZB ist die Verschuldung der Bundesrepublik als Hauptschuldner in Europa so maßlos angestiegen, dass eine sinnvolle Haushaltspolitik nicht mehr möglich ist. Der Staat hat sich damit so massiv verschuldet, dass es über Generationen hinweg keine echte Haushaltsautonomie geben wird. Geht das durch, ist durch die Hintertür die Wirtschaftsunion Europas ohne Zustimmung der Parlamente oder gar der Völker verwirklicht. Die Haushaltsentscheidungen in Berlin trifft – in Abstimmung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ein Brüsseler Gouverneur. Armes Deutschland! Dass es andere Betroffene in Europa gibt wie insbesondere Österreich ist dabei kein Trost.
Der Erhalt der Haushaltsautonomie eines Staates ist wesentliches Merkmal der Staatsgewalt. Ein Staat, der sich dieses Recht nehmen lässt, verliert mit der eigenständigen Staatsgewalt ein konstituierendes Merkmal seiner Existenz als Staat. Der neue Gouverneursrat in Brüssel, der künftig die Haushaltsmacht an Stelle der Länder der Gemeinschaft ausübt, hat daher genau den richtigen Namen. In der besonderen Situation in Deutschland kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine solche Aufgabe der staatlichen Eigenständigkeit nur im Wege einer vom Volke beschlossenen neuen Verfassung realisiert werden.
Der verborgene politische Wille hinter allem
Das indes ist schiere Phantasie. Die Völker Europas wollen nicht in einem Staat oder einer Wirtschaftsunion aufgehen. Die Menschen wollen keine Vereinigten Staaten von Europa. Dafür sind die wirtschaftlichen und kulturellen Unterschiede viel zu groß. Allgemein ist das Interesse an wesentlich besserer Zusammenarbeit. Die Nivellierung aller Verhältnisse ist eine ganz andere Sache.
Was die von den Völkern Europas gewählten Regierungen zu solch drastischen Änderungen gegen den bekannten Willen der Völker treibt, kann man nur mutmaßen. Man kommt vielleicht dahinter, wenn man nachschaut, wem das alles nutzt („cui bono“). Man hört ja immer mehr von David Rockefeller, Eugene Rothschildt, den Bilderbergern, der City of London und anderen verborgenen Zirkeln. Wer von ihnen oder wer sonst ist es denn nun wirklich, der an den Strippen zieht um die Welt nach seinem Bild zu formen? Er muss schon sehr viel Macht haben, wenn er die gewählten Regierungen und die Medien auf seine Linie bringen kann, was kaum noch zu bezweifeln ist. Bis zur Offenlegung bleibt es allerdings, wie Bert Brecht es schon in der Dreigroschenoper sagt: „Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht und man siehet die im Lichte die im Dunkeln sieht man nicht.“