Nun werden die Stimmen wieder laut, die „das Ende der Rohstoffblase“ ausrufen. Dieser Meinung schließen wir uns ausdrücklich nicht an. Wir hatten zwar bei einigen Rohstoffen vor starken Preisübertreibungen gewarnt. Insbesondere wiesen wir frühzeitig auf eine spekulative Überhitzung am Ölmarkt hin. Doch der Rohstoffsektor ist unseres Erachtens zu heterogen, um pauschal von einer Blasenbildung zu sprechen.
Fester Dollar und Eintrübung der Weltkonjunktur belasten Rohstoffmärkte
Der dramatische Rückgang der Notierungen an den Rohstoffmärkten in den letzten Tagen gleicht auf dem ersten Blick dem Platzen einer Blase: Auf Basis des energielastigen S&P GSCI TR gaben die Preise mehr als 20% nach, und auch gemessen am Jeffrey Reuters CRB Index liegen die Preise fast 20% niedriger als Anfang Juli. Mehrere Faktoren waren für den Einbruch ausschlaggebend: zum einendie zuletzt deutlich gestiegenen Konjunkturrisiken, denn seit einigen Wochen belastet nicht mehr nur die Abflachung der Konjunktur in den USA, sondern auch der Verlustder Wirtschaftsdynamik in Europa und in Teilen Asiens. Vor allem aber nimmt die Angst zu, dass sich China dem konjunkturellen Abwärtssog nicht länger entziehen kann und damit die Haupttriebfeder für den Aufschwung der Rohstoffmärkte an Kraftverliert. Dazu belastet die jüngste Aufwertung des US-Dollar. Der Greenback konnte seit Mitte Juli gegenüber dem Euro gut 10 Cents zulegen bzw. der Dollar Index stiegum gut 8%. Rohstoffe waren zuletzt auch als Absicherung gegen den Dollarverfallgesucht, weshalb sie von der vorherigen Schwäche des US-Dollar profitierten.
Korrektur nicht einmalig
Das Ausmaß des Rückgangs ist keineswegs ein neues Phänomen in dieser Rohstoffhausse: Bereits in der zweiten Jahreshälfte 2006 hatten die Notierungen deutlich nachgeben (siehe Grafik 1): der GSCI Index gab in einem ersten Anlauf im Herbst 2006 um 20% nach, bevor er in einem zweiten Schritt um weitere 10%zurückfiel. Auch damals war es die Angst vor einer deutlichen Abschwächung der Weltkonjunktur, welche die Preise deutlich unter Druck setzte. Zur Erinnerung: damals fiel der Ölpreis von 77 Dollar auf fast 50 Dollar je Barrel zurück, um sich danach binnenanderthalb Jahren fast zu verdreifachen.Allein dieser Vergleich relativiert den jüngsten Preisrückgang. Doch ist es unseres Erachtens nicht ausreichend, nur mit dem Verweis auf die Parallelen im zweiten Halbjahr 2006 die jüngsten Entwicklungen als Korrektur in einer Hausse abzutun. Vielmehr ist der fundamentale Hintergrund zu analysieren. Bevor wir aufgrund der Heterogenität der Rohstoffmärkte den Blick auf die einzelnen Sektoren richten, soll zunächst die gemeinsame Triebfeder der Rohstoffhausse betrachtet werden, nämlich China. Hier liegt zweifellos der gemeinsame Schlüssel für die Rohstoffmärkte.
Nach wie vor liegt der Schlüssel in China
Chinas Rohstoffhunger ist der Impulsgeber für den starken Anstieg der Rohstoffpreise gewesen. Wir glauben, dass Chinas Aufholprozess noch immer in den Anfängen steckt. China ist zwar an den Metallmärkten das Land mit der weltweit größten Nachfrage und auch am Ölmarkt rangiert es in derListe der wichtigsten Abnehmerländer auf Platz 2. Doch zugleich ist der Pro-Kopf-Verbrauch noch immer niedrig, was einige Beispiele illustrieren: der tägliche Rohölverbrauch pro Kopf liegt in China bei weniger als 1 Liter, in Deutschlang bei gut 4,5 Liter und in den USA bei 11 Liter.
Oder für Kupfer: Chinas jährlicher Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei 3,7 kg, in den USA ist er doppelt und in Deutschland sogar viermal so hoch. Zwar dürften die staatlichen Maßnahmen zur Dämpfung des Wachstums in China allmählich Wirkung zeigen. Auch der Restriktionsgrad der Geldpolitik zur Eindämmung der Inflation und von Fehlallokationen beim Kapitaleinsatz ist deutlich verschärft worden. Und nicht zuletzt hinterlässt die Verlangsamung der Konjunktur in den Industrieländern ihre Spuren. All das wird das Expansionstempo zwar drosseln, doch die heimische Nachfrage hat dennoch ausreichende Tragfähigkeit, so dass wir letztlich mit einer Fortsetzung des Aufholprozess rechnen.
Die jüngstenZahlen bestätigen die weitgehende Abkopplung der chinesischen Wirtschaft: China konnte imzweiten Quartal trotz rezessiver Tendenzen in den Industrieländern noch immer ein knappeszweistelliges Wachstum verzeichnen. Und auch die Entwicklung in Indien ist nicht zu vergessen, welches angesichts des starken Bevölkerungswachstums ebenfalls ein hohes langfristiges Wachstumspotenzial hat.
Der Rohstoffmarkt ist heterogen: Zwischen der geplatzen Blase am Ölmarkt
Was auf dem ersten Blick wie eine allgemeine, gleichzeitige Ernüchterung an allen Märkten aussieht, ist tatsächlich differenzierter zu sehen: am meisten beachtet ist zweifellos die Korrektur am Ölmarkt. Seit dem Hoch, das gerade mal vor knapp sechs Wochen markiert wurde, hat Rohöl mehrals 20% nachgegeben und befindet sich damit technisch betrachtet in einem Bärenmarkt.
Dabei ist zuberücksichtigen, dass die jüngste Rallye an den Energiemärkten – auch der Preis für Erdgas der Sorte Henry Hub war seit Jahresbeginn in die Höhe geschossen – eine besonders starke Dynamik aufwies. Wir hatten seit einigen Monaten vor einer einer spekulativen Blase gewarnt, die desto stärker sie sich ausprägt, umso schärfer korrigieren würde. Wir sehen den jüngsten Preisrückgang als ein Annähernan das fundamental zu rechtfertigende Preisnivau zwischen 80 und 100 Usd je Barrel. Angesichts der konjunkturellen Schwäche und der vorherigen Überhitzung erachten wir sogar ein kurzzeitiges Unterschießen dieses Preisbands als möglich.
Grundsätzlich stufen wir den langfristigen Preis aberdeutlich höher ein als noch vor einigen Jahren. Denn es darf nicht vergessen werden, dass die Produktionskosten (Explorations-, Förder – und Transportkosten) immens gestiegen sind und die geopolitischen Risiken angesichts der zunehmenden Konzentration der Produktion sich verschärft haben. Gleichzeitig nimmt die Nachfrage in den Schwellenländern weiter deutlich zu.
...Und der zyklisch bedingten Korrektur an den Märkten für Industriemetalle
Auch an den Märkten für Industriemetalle sind die Preise in den letzten Wochen stark abgerutscht, wobei die Metallpreise wie auch in der Vergangenheit noch zyklischer sind als die Energiepreise. Doch sind unseres Erachtens einige Preise bereits auf ein verglichen mit den Produktionskosten kritisches Niveau zurückgefallen. Nickel beispielsweise notiert gerade mal 10% höher als Anfang 2004. Gleichzeitig sind die Produktionskosten deutlich gestiegen und einige Minen, welche wieder aufgemacht wurden, sind bei dem derzeit niedrigen Preisniveaus schon wieder unrentabel. Vordiesem Hintergrund dürfte sich die Angebotsausweitung wieder verlangsamen, während zugleich die Nachfragedynamik in den Schwellenländern hoch bleibt. Hinzu kommt, dass in China angesichts der dortigen Energieproblematik die Outputsteigerungen ins Stocken geraten sind. Vor diesem Hintergrund sehen wir nach der zyklisch bedingten Korrektur langfristig wieder Aufwärtspotenzial.
Erneutes Aufwärtspotenzial bei Gold
Gold unterscheidet sich von den meisten anderen Rohstoffen. Hier spielt der Konjunkturzyklus kaum eine Rolle, da die industrielle Verwendung gering ist. Vielmehr entfällt zwei Drittel der Nachfrage auf die Schmuckindustrie. Diese war vor allem aufgrund der Höhe und der Volatilität der Preise zuletzt eingebrochen. Doch grundsätzlich dürften die hohen Einkommenszuwächse in den Schwellenländern– Indien ist das mit Abstand größte Verbrauchsland – bei einer Beruhigung der Preise zu großen Nachholkäufen führen. Bei gleichzeitig stagnierendem Angebot spricht dies unseres Erachtens fürweiteres Preissteigerungspotenzial, zumal auch die Investmentnachfrage bei dem niedrigeren Preisniveau wieder zunehmen sollte. Die von den Gold-ETF’s gehaltenen Goldbestände belaufen sichbereits auf 40% der Weltjahresproduktion und sollten weiter steigen, weil Anleger Gold als Absicherung gegen bestehende geopolitische Risiken und weiter hinmögliche Finanzmarktturbulenzen akkumulieren dürften.
Ein Risiko für diese Prognose ist allerdings der Greenback: eine scharfe Aufwertung des Dollar könnte die Attraktivität von Gold dämpfen. Zudem dürfte die Inflation in den kommenden Monaten spürbar zurückgehen, wodurch Gold ebenfallsbelastet werden könnte.
…und weiteres Preissteigerungspotenzial an den Fleischmärkten
Ein Paradebeispiel dafür, dass es sich bei den Rohstoffmärkten um heterogene Märkte handelt, welche differenziert betrachtet werden müssen, sind die Fleisch- und Viehmärkte. Anders als die meisten Rohstoffklassen konnten Fleisch- und Vieh lange Zeit nicht von der allgemeinen Rohstoffhausse profitieren.
Es ist auch die einzige Rohstoffklasse, welche in der gegenwärtigen Korrektur an Wert gewinnen konnte. Für die weiteren Aussichten von Fleisch und Vieh sind wirausgesprochen optimistisch. Sie besitzen enormes Nachholpotenzial, welches in den kommenden Monaten weiter ausgeschöpft werden sollte. Als Impulsgeber hierfür sehen wir eine steigendeNachfrage nach Fleisch vor allem in den Schwellenländern, die preistreibende Wirkung der massiv gestiegenen Futtermittelkosten, ein mittelfristig sinkendes Fleischangebot und die Entdeckung dieses lange Zeit vergessenen Segments durch die Finanzmarktinvestoren.
Agrarrohstoffe trotz Korrektur langfristig weiter im Aufwärtstrend
Die Agrarrohstoffe konnten sich dem Trend fallender Rohstoffpreise ebenfalls nicht entziehen und haben teils deutlich nachgegeben. So fiel Mais in der Spitze um mehr als 35%. Dennoch bleiben wir für die langfristigen Aussichten der meisten Agrarrohstoffe optimistisch. Aufgrund der stärkeren Fleischnachfrage wird der Bedarf an Futtermitteln zunehmen. Dazu kommt die wachsende Bedeutung der Agrarrohstoffe für die Herstellung von Biokraftstoffen. Der steigenden Nachfragesteht ein begrenztes Angebot gegenüber, da die Anbauflächen nicht so einfach ausgeweitet werdenkönnen. Zunehmende Wetterkapriolen stellen zudem ein Risiko für die Ernten dar.
Und die Investoren?
Dennoch bleibt eine kritische Frage zum Schluss: inwieweit werden die hohe Volatilität und die jüngsten Turbulenzen bei Rohstoffen Finanzinvestoren vor einem Engagement abschrecken? Können sich Rohstoff-Investments dennoch langfristig als eine Anlageklasse etablieren, obwohl sie anders als Renten oder Aktien über keine laufenden Erträge in Form Zinsen oder Dividenden verfügen?
Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass es sinnvoll ist, zwecks Diversifizierung einem Portfolio Rohstoff-Investments beizumischen. Wir gehen auch davon aus, dass der Markt mit dem zunehmenden Interesse immer effizienter wird und dass spekulative Übertreibungen angesichts einer sich verbessernden Transparenz seltener werden.
Rohstoffe haben sich in den letzten Jahren von reinen Wirtschaftsgütern, deren Preisentwicklung nur von der Angebots-/Nachfrage-Situation abhängt, zu einer gängigen Anlageklasse entwickelt. Insofern sind aber auch die spekulativen Übertreibungenam Rohstoffmarkt wie auch an jedem anderen Finanzmarkt nicht überraschend, wobei der Markt oft von einem Extrem zu dem anderen tendiert. Dies ist auch der Grund, warum die derzeitige Korrektur durchaus 6 bis 12 Monate anhalten und schärfer ausfallen kann als fundamental gerechtfertigt wäre. Langfristig stehen dem Rohstoffmarkt jedoch noch weitere goldene Jahre bevor.
Eugen Weinberg, CFA
Senior Commodity Analyst, Commerzbank AG