Noch immer werden viel zu wenige Kinder geboren, um die Rentenkasse zu stabilisieren. Die Zuwanderungswelle nützt wenig. Ein Debattenbeitrag.
Die Frauen in Deutschland bekommen wieder etwas mehr Kinder – im Durchschnitt im Lauf des Lebens 1,5 nach der neuesten Rechnung der Statistiker. So hoch lag die Geburtenziffer zuletzt vor 35 Jahren.
Auch wenn der Anstieg – von 1,46 etwa im Jahr 2014 auf 1,57 im zuletzt ausgewerteten Jahr 2017 – in einigen Medien als Weltwunder gefeiert wird, er ändert am kommenden demographischen Desaster wenig, genauso wenig wie eine hohe Nettozuwanderung daran etwas ändern wird:
Selbst bei einem weiteren Anstieg der Geburtenziffer auf 1,6 und dauerhaft 200000 Zuwanderern netto im Jahr wird das aktuelle deutsche Rentensystem bald nicht mehr finanzierbar sein.
Gelegentlich wird von einer „ demographischen Zeitbombe“ gesprochen. Das Bild ist eigentlich falsch. Bei einer Zeitbombe tickt die Uhr oder brennt die Lunte. Man kann die Bombe noch entschärfen.
Die demographische Lunte lässt sich aber nicht mehr löschen, die Bombe explodiert auf jeden Fall. Die demographische Struktur eines Gemeinwesens ist wie ein Riesentanker, der nur sehr schwer die Richtung ändert. Wenn bei der Fahrt einen Kilometer voraus eine lange Klippe auftaucht, dann hilft kein Wenden und kein „volle Kraft zurück“ – der Tanker kracht dagegen.
Die Klippe, oder besser: der Abgrund, auf den die deutsche Gesellschaft zusteuert, ist das Millionenloch der fehlenden Kinder, die in den letzten Jahrzehnten nicht geboren worden sind.
Die absehbare starke Bevölkerungsschrumpfung wird gravierende, negative wirtschaftliche und soziale Konsequenzen haben. Da kann der Club of Rome mit seiner Publikation „Ein Prozent sind genug“ gerne das Gegenteil behaupten. Der „Club“ wirbt darin bekanntlich für eine Prämie für noch mehr Kinderverzicht der Frauen.
Natürlich hätten wir bei weniger Menschen auch weniger Staus auf den Autobahnen, weniger Umweltverschmutzung und mehr Platz für alle. Könnte man auf einen Schalter drücken, und Deutschlands Bevölkerung wäre über Nacht um ein Zehntel geschrumpft – warum nicht.
Aber so schmerzlos funktioniert die demographische Schrumpfung leider nicht. Es ist ein großer Irrtum anzunehmen, dass eine gewachsene soziale und demographische Struktur ohne weiteres um einen Faktor X verkleinert werden könnte, die Bevölkerung, das Sozialprodukt, die Staatsverschuldung et cetera, so dass pro Kopf alles bliebe wie gehabt.
Wachstumsschmerzen sind schlimm, doch Schrumpfungsschmerzen sind viel schlimmer. Vor allem die Folgen für das umlagefinanziertes Rentensystem sind dramatisch.
Der Bochumer Wirtschaftsprofessor Martin Werding hat errechnet, wie die Beitragssätze steigen, wenn man den Bundeszuschuss einbezieht, den letztlich auch die Beitrags- und Steuerzahler zahlen.
Obwohl die Rentenreformen 2001/2004 das Rentenniveau abgesenkt haben und eine stufenweise Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre beschlossen ist, müsste der Beitragssatz (inklusive Bundeszuschuss) 2030 auf 35 Prozent und bis 2060 sogar auf 48 Prozent steigen. Das wäre nicht durchsetzbar.
Diese Rechnungen wurden vor der aktuellen Zuwanderungswelle und vor dem viel bejubelten Anstieg der Geburtenziffer durchgeführt. Die Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes simuliert auch eine Geburtenziffer von 1,6 sowie eine dauerhafte Nettozuwanderung von 200000 Menschen jährlich.
Auch dann wird sich das Verhältnis der Personen um Renten- zu Personen im Erwerbsalter stark verschlechtern. Derzeit kommt ein Rentner auf drei Erwerbspersonen, im Jahr 2060 werden es zwei Rentner auf eine Erwerbsperson sein.
Oft hört man: „Dann müssen die Erwerbstätigen eben produktiver werden.“ Aber die Innovationsfreude und die Produktivität einer Bevölkerung nehmen mit wachsendem Durchschnittsalter nach allen verfügbaren Studien eher ab. Deutschland ist nach Japan inzwischen das Land mit der zweitältesten Bevölkerung der Welt.
Und die Überalterung geht weiter: Bis zum Jahre 2025 steigt das Medianalter in Deutschland auf 53 Jahre. Es ist dabei, das von Hans-Werner Sinn so genannte „Indifferenzalter“ zu überstiegen, jene Altersstruktur, bei der eine Rentenreform, welche die Jüngeren entlastet, noch eine Mehrheit in der Bevölkerung findet. Die Rentner und rentennahen Bevölkerungsteile haben bald die Mehrheit.
Auch die Zuwanderung nützt als Gegenmittel zur Alterung und zur Stabilisierung des Rentensystems weniger als viele hoffen. Durch sie nimmt die durchschnittliche Produktivität eher ab. Es kommen zu viele Unqualifizierte, die wirtschaftlich zu wenig beitragen und die Sozialkassen belasten.
Das trifft auch auf große Teile der bisherigen Zuwanderer und ihre Nachkommen zu. Die Pisa-Studie 2003 ergab, dass 44 Prozent aller 15-jährigen Schüler mit Migrationshintergrund nicht richtig lesen, bei den einheimischen waren es 13,6 Prozent.
In Kanada, das die Zuwanderung nach Qualifikation steuert, schnitten Migrantenkinder im Test besser ab als die einheimischen. Die Migrantenkinder waren offenbar klüger, sie erhöhen den Durchschnitt. Bei uns senken sie den Durchschnitt.
Ähnliche Ergebnisse lieferte auch Pisa-Test 2012 in Deutschland. Fast ein Drittel der 15-jährigen Schüler mit Migrationshintergrund schnitt beim Mathematiktest schlecht ab, verglichen mit 14 Prozent der einheimischen Kinder.
Die Zuwanderung nach Deutschland speist sich aus drei großen Quellen. Erstens aus der EU-Osterweiterung, zweitens der Euro-Schuldenkrise und drittens aus Flüchtlingen und Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika.
Die Asylbewerber dominieren zurzeit, wobei nach aktuellen Untersuchungen des Nürnbergers Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung eine gewisse Spaltung der Qualifikation erkennbar ist: Einem gewissen Prozentsatz gut ausgebildeter steht ein ebenso großer Prozentsatz überhaupt nicht ausgebildeter Asylbewerber gegenüber.
Jedenfalls täuscht die reine Höhe des aktuellen Wanderungssaldos über dessen ökonomisches Potential hinweg. Die Zuwanderer werden das kommende Rentendesaster nicht verhindern.
Allenfalls eine nicht nur moderate, sondern starke Erhöhung des Rentenalters, etwa nach der Formel „Lebenserwartung minus 12 Jahre“ könnte verhindern, dass die Rentenlasten die nachfolgenden Generationen erdrücken. Die Konsequenzen der jahrzehntelangen Geburtenlücke werden drastisch sein.
Prof. Dr. Walter Krämer lehrt Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund