Siemens-Chef Joe Kaeser hat vor weiteren harten Einschränkungen der Wirtschaft gewarnt. "Es darf keinen zweiten Shutdown nach dem Muster des ersten geben. Denn hier geht es um mehr als nur Geld", sagte Kaeser dem "Handelsblatt".
Der soziale Frieden im Land sei in Gefahr. Um erneute flächendeckende, massive Einschränkungen zu verhindern, müssten viel mehr Daten erhoben werden, zum Beispiel durch viele Antikörpertests. "Wir brauchen eine fokussierte, keine flächendeckende Bekämpfung. Sonst wird uns Corona aus den Angeln heben – wirtschaftlich, aber auch vor allem gesellschaftlich."
Das Virus sei noch längst nicht besiegt, sagte Kaeser. "Es wäre fatal, zu glauben, dass wir das Schlimmste bereits hinter uns haben. Alarmstufe Rot gilt weiter." Die Maßnahmen zur Eindämmung von Corona hätten "elementare Lebensbereiche und Grundrechte betroffen – von Kirchenbesuch bis Versammlungsfreiheit".
Nur mit der Auswertung verlässlicher Daten könne man bei einer möglichen zweiten Welle frühzeitiger bessere Schlüsse ziehen. Dabei sei die App "nur ein Baustein von vielen, wenn es künftig darum geht, eine Pandemie rechtzeitig und mit Augenmaß zu bekämpfen". Kaeser warnte davor, dass vor allem die USA und China wirtschaftlich gestärkt aus der Krise hervorgehen könnten.
Die Vereinigten Staaten profitierten davon, dass die Unternehmen in der digitalen Plattform-Ökonomie und der Mikroelektronik führend seien. Zudem hätten totalitäre Systeme wie China kurzfristig Vorteile, deren Wirtschaftssysteme schnell auf Veränderungen reagieren könnten.
Europa müssen aus der Krise lernen, wenn es nicht zerrieben werden wolle. "Wenn es Europa gelingt, endlich eine gemeinsame Außenwirtschaftspolitik, vielleicht später auch eine gemeinsame Sicherheitspolitik aus der Pandemie heraus zu entwickeln und umzusetzen, dann wäre es die dritte Kraft am Tisch." Das Einstimmigkeitsprinzip in der EU bremse zu sehr.
"Diese Welt wird auf Europa schauen, aber sie wird nicht auf uns warten". Als weitere Lehre aus der Krise forderte Kaeser neue Eigenkapitalregeln. "Wir brauchen eine Art Mindestreserve für Eigenkapital in den Bilanzen." Das gelte besonders für große Konzerne, "wo Dividenden nur dann bezahlt werden sollten oder Aktienrückkaufprogramme gestartet werden, wenn die Unternehmen auch über ausreichend Eigenkapital verfügen".
Die Finanzregulierer müssten lernen, dass "man Rahmenbedingungen schaffen muss, um dünne Eigenkapitaldecken durch aggressive Ausschüttungs- oder Entnahmepolitik künftig gar nicht mehr entstehen zu lassen".
Foto: Wegen Coronakrise geschlossener Laden, über dts Nachrichtenagentur