Die Auswirkungen einer möglichen zweiten Welle sind auch an den Finanzmärkten zu spüren. Die Gewinne der Unternehmen gehen zurück, nur in Ausnahmesituationen geht es mit Aktien nach oben. Sollte es zu einem neuen Lockdown kommen sieht die Zukunft finster aus.
von Sven Weisenhaus
Gestern Abend bekam ich eine kurze und knappe Nachricht aus dem Stockstreet-Team: „Sind die Märkte eigentlich total wahnsinnig?“ Meine Antwort lautete: „Ja, irgendwie scheinen die schon wieder in eine Übertreibung zu gehen. Und wieder sind es die Technologie-Aktien, wie vor der ABC-Korrektur. Ist auch irgendwie logisch – zweite Welle der Pandemie.“
Aktienmärkte zurück im Technologie-Hype
Zum Zeitpunkt dieses kurzen Dialogs hatte der Nasdaq 100 im Future-Handel gestern im Maximum ca. 4 % zugelegt. Der S&P 500 kam derweil mit rund +2 % auf die Hälfte. Und der Dow Jones schaffte mit einem Plus von etwa 1 % wiederrum nur etwa halb so viel wie der S&P 500. Es zeichnete sich also kurzfristig sehr klar ab, dass die Anleger wieder verstärkt zu Technologietiteln griffen.
Heute bestätigte sich dieses Bild. Der Nasdaq 100 notierte zum Handelsbeginn in den USA mit 0,4 % im Gewinn, während der S&P 500 zeitgleich leicht (-0,1 %) und der Dow Jones etwas stärker (-0,25 %) schwächelten.
An beiden Tagen präsentierten sich die europäischen Märkte schwächer. Der Euro STOXX 50 notierte zum heutigen Handelsbeginn in den USA ca. 0,6 % im Minus, der DAX gab sogar mehr als 1 % nach. Und auch dieses Marktverhalten lässt sich auf die zweite Welle in der Pandemie zurückführen, weil gerade in der Eurozone fast täglich steigende oder sogar Rekord-Zahlen zu den Neuinfektionen gemeldet werden. Und aus der ersten Welle wissen wir bereits, dass dies gerade für den stationären Dienstleistungsbereich problematisch ist, während der Online-Bereich davon profitiert.
Zweite Corona-Welle trübt die Stimmung von Finanzexperten
Auch unter Finanzmarktexperten ist die zweite Corona-Welle inzwischen angekommen. Sie blicken laut den heute veröffentlichten Umfrageergebnissen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) deutlich skeptischer in die Zukunft. Die Konjunkturerwartungen für Deutschland liegen mit 56,1 Punkten um ganze 21,3 Punkte unterhalb des Vormonatswertes und auf dem niedrigsten Stand seit Mai.
Der Lageindikator konnte dagegen auf -59,5 nach -66,2 zulegen. Doch es ist meist ein eher schlechtes Zeichen, wenn die Erwartungen sinken, während die Lageeinschätzung noch steigt. Denn an der Börse wird nun einmal die Zukunft gehandelt. Und die Lageeinschätzung ist ein nachlaufender Indikator, während die Konjunkturerwartungen zu den Frühindikatoren zählen. Die Perspektiven für die deutsche Wirtschaft sind somit getrübt, und damit auch die für den Aktienmarkt.
Gleiches gilt für die Eurozone. Hier sind die Erwartungen an die Konjunkturentwicklung ebenfalls stark gesunken. Der entsprechende Stimmungsindikator liegt aktuell bei +52,3 Punkten. Das sind 21,6 Punkte weniger als im Vormonat. Der Index für die aktuelle Konjunkturlage im Eurogebiet legte dagegen ebenfalls zu, um +4,3 auf -76,6 Punkte.
Zur Beruhigung räume ich aber gerne ein, dass man den ZEW-Index nicht überbewerten sollte. Dessen Korrelation zum Aktienmarkt ist eher gering. Und immerhin waren die Konjunkturerwartungen im September noch auf das höchste Niveau seit 20 Jahren geklettert. Man sollte den aktuellen scharfen Rückgang aber durchaus als Warnsignal werten.
Die nächste Kursrakete hat gezündet
Für Technologieaktien scheint dieses Warnsignal aber eher ein Startsignal zu sein – und zwar zur Fortsetzung der irren Kursrally. Nach der im Verhältnis zum vorangegangenen Kursanstieg relativ kurzen ABC-Korrektur (blaue Buchstaben im folgenden Chart) deutet aktuell alles darauf hin, dass der Nasdaq 100 schon in Kürze ein neues Rekordhoch erzielen kann.
Die 100-Tage-Durchschnittslinie (blau) hat der Index im Rahmen der Korrektur gar nicht erst erreicht, geschweige denn unterschritten, und die 50-Tage-Linie hat er inzwischen schon wieder eindrucksvoll zurückerobert und hinter sich gelassen. Und mit dem gestrigen Kursanstieg deutet sich nun schon wieder die nächste Übertreibung an. Wo soll das alles noch hinführen?!
Reiten die Bullen nun die letzte Aufwärtswelle?
Ich hoffe für die Bullen nur, dass wir mit der Elliott-Wellen-Zählung zum S&P 500 aus dem Target-Trend-Spezial, die uns lange den richtigen Weg gezeigt hat, letztlich falsch liegen:
Denn demnach haben wir nach der ABC-Korrektur des Corona-Crashs bereits einen vollständigen 5-gliedrigen Aufwärtszyklus gesehen. Und aktuell läuft der zweite. Von diesem haben wir schon die Wellen 1, 2, 3 und 4 gesehen. Mit dem aktuellen Aufwärtsimpuls läuft demnach die letzte Aufwärtswelle 5. Danach müsste es wieder mit einer großen ABC-Korrektur deutlich abwärts gehen. Das Aufwärtspotential des S&P 500 erscheint somit begrenzt.
Die Bullen haben aber einen Grund zur Hoffnung: Nimmt man es genau, so gab es in den Wellen 1 und 4 des zweiten Aufwärtszyklus eine Überschneidung (siehe roter Pfeil im Chart). Und diese darf es gemäß der Elliott-Wellen-Regeln nicht geben. Man muss daher an der dargestellten Elliott-Wellen-Zählung zweifeln.
Charttechnisch überkauft und fundamental hoch bewertet
Zweifelsfrei ist allerdings, dass S&P 500 und Nasdaq 100 nach wie vor charttechnisch extrem überkauft sind. Und beide Indizes sind fundamental relativ hoch bewertet, so hoch wie seit der Neuer-Markt-Blase nicht mehr. Daher könnte es selbst dann bald wieder zu einer stärkeren Abwärtskorrektur kommen, wenn sich diese nicht aus dem obigen Elliott-Wellen-Szenario ableiten lässt.
Sie können daher gerne die aktuellen klar bullishen Signale nutzen, sollten dabei aber vorsichtig vorgehen und insgesamt eher skeptisch bleiben. Und Sie sollten beachten, dass die jüngsten Kursgewinne wieder nur wenige (Technologie-)Aktien betrafen und der Anstieg der Indizes somit wieder nur von wenigen Werten getragen wird.
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