Umfrage: Die Mehrheit der Topmanager und Unternehmer stimmt der These zu, „dass Deutschland seinen Zenit überschritten und seine besten Jahre hinter sich habe“.
von Wolfgang Hübner
In einem Beitrag für die WELT hat der parteilose Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, offenbar von seiner selbstverordneten Auszeit gut erholt, umfangreich dargestellt, was in Deutschland so alles falsch läuft. Auch wenn es gute Gründe gibt, dem ehemaligen grünen Erfolgspolitiker gegenüber Misstrauen zu wahren, hat er doch in der Zustandsbeschreibung der deutschen Misere weitgehend recht.
Zwei Meldungen seien es, so Palmer, die ihn aktuell alarmiert hätten: Der neue 19-Prozent-Umfragewert der AfD in Baden-Württemberg sowie das Ergebnis einer repräsentativen Befragung von sogenannten „Elite“-Mitgliedern, wonach Deutschland seinen Zenit überschritten habe. Mit anderen Worten: Von nun an geht’s bergab.
Zwei Aspekten des Abstiegs widmet sich Palmer besonders: der wirtschaftlichen Entwicklung und der Migrationsproblematik. Doch was er an Lösungen vorschlägt, ist entweder oberflächlich oder falsch. Wenn der Politiker „eine nationale Kraftanstrengung für unsere Wirtschaft“ fordert, dann aber „endlich ein Deutschlandtempo beim Ausbau einer preiswerten und klimaneutralen Energieversorgung und Digitalisierung“ vorschlägt, hat er nichts von den Schwierigkeiten verstanden, die nicht zuletzt durch die geradezu selbstmörderische Sanktionspolitik gegenüber dem Energielieferanten Russland entstanden sind.
Was Palmer zur Migrationsproblematik zu sagen hat, ist auf der Erscheinungsebene richtig. Aber wenn er meint, es wäre „noch nie so einfach gewesen, den Menschen die Ängste“ vor der Überflutung mit Sozialasylanten und Kriegsflüchtlingen zu nehmen, traut er sich doch nicht, das millionenfach missbrauchte deutsche Asylrecht radikal in Frage zu stellen.
Und wenn er in diesem Zusammenhang positiv auf die „Einigung der europäischen Regierungen auf eine gemeinsame Asylpolitik“ verweist, kann er diese Einigung nicht wirklich gelesen haben. Sind schon Palmers Vorschläge für die Lösung der großen deutschen Probleme schwachbrüstig, so ruiniert er seinen Diskussionsbeitrag vollends mit der wiederholten Beschwörung, die AfD stoppen zu müssen.
Will oder kann der Parteilose nicht verstehen, dass die Parteien des politischen Kartells von Union bis Linke so festgefahren sind auf ihren Irrwegen, dass jede Hoffnung auf Selbstbesinnung und grundsätzliche positive Wende dieses Kartells illusionär sind? Das ist umso unverständlicher, weil Palmer immerhin die Konsequenz gezogen hat, sich von den Grünen zu distanzieren.
Sein Text, der bei den WELT-Lesern ein großes Echo findet, hat in fast keiner Weise das politische, geschweige denn analytische Niveau, das den sehr konkreten Problemen unseres Landes angemessen wäre. Viele Wähler sind da schon weiter: Laut den neuesten Umfragen liegt die AfD bundesweit jetzt bei 22 Prozent.