Politik im Wasserstoff-Rausch: In einer Ära, in der ideologisch getarnte Politiker und Märchenerzähler Hochkonjunktur haben, sind Logik, Verstand, Einsicht und Fachkenntnisse rar.
Von Hans-Jörg Müllenmeister
Insbesondere die chronischen Fehlentscheidungen in der Energiepolitik stellen eine Bedrohung für uns alle dar. Daher ist es umso wichtiger, dass Diskussionen über den sogenannten grünen Wasserstoff mit echter fachlicher Kompetenz geführt werden. Übrigens, Wasserstoff hat als Gas an sich keine Farbe. Die Farben, die man mit Wasserstoff assoziiert, beziehen sich auf die Herstellungsarten und das Maß an Klimaneutralität des so erzeugten Wasserstoffs.
Reinrassiger Wasserstoff H, was ist das?
Mit 75% der Masse unseres Universums ist Wasserstoff der Hans Dampf in allen Gassen, besser gesagt, in allen Galaxien. Allein unsere Sonne besteht aus rund 1,46 mal 10 hoch 27 Tonnen Wasserstoff und in ihrem Kern werden pro Sekunde über eine Milliarde Tonnen Wasserstoff bei der Kernfusion in Helium umgewandelt.
Als elementares, absolutes Leichtgewicht H (Hydrogenium) steht es an erster Stelle im Periodischen System der Elemente, ist bei Raumtemperatur gasförmig und farblos und verbindet sich mit anderen Elementen zu Molekülen, z.B. mit Sauerstoff zu Wasser, H2O. Erst bei -253°C wird es flüssig und bei -259°C sogar fest.
Vorweg gefragt: Warum ist gerade Wasserstoff so wichtig bei der Energiewende? Wasserstoff ist ein Energieträger, indes keine Energiequelle. Er kann entweder aus fossilen Energiequellen oder aus Strom hergestellt werden, verbrennt sauber, ist gut zu speichern und zu transportieren. Der Haken dabei sind die Kosten. Wasserstoff hat einen erstaunlich hohen Heizwert. Das ist die maximal nutzbare thermische Energie, die bei der Verbrennung frei wird. Übrigens kann Wasserstoff als kleinstes Atom selbst durch Stahlbehälter diffundieren (Wasserstoff-Versprödung) und die mechanischen Eigenschaften verschlechtern.
Grundsätzliches zur Energie-Diskussion
Alles was mit Energie zu tun hat, unterliegt dem Energie-Erhaltungssatz, dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik. Energie kann weder erschaffen noch vernichtet werden; sie lässt sich nur in verschiedene Formen umwandeln oder übertragen. In einem geschlossenen System ist die Energie deshalb immer konstant. Der Betrag der Nutzenergie kann nie größer sein als der Betrag der zugeführten Energie.
In der Praxis treten bei jedem realen Energiewandler Verluste etwa durch Reibung auf. Die „wieder gewonnene“ Energie ist also stets kleiner als Eins. Somit ist der Wirkungsgrad kleiner als 100%. Daher ist praktisch auch ein Perpetuum mobile undenkbar. Bei der Energie-Bilanzrechnung gibt es kein Herumfuhrwerken, kein Herumdeuteln, kein schön malen und das Weglassen unbequemer Fakten.
Wie man eine positive Energiebilanz vorgaukeln kann, zeigt der Beitrag „Utopie oder Garant globaler Energie-Versorgung?“ an einem Beispiel. Da verkündete die aufgeplusterte PR-Abteilung des US-Energieministeriums: „Die Kernfusionsforschung hat in den USA einen neuen Höhepunkt erreicht“. Weiterhin heißt es, dass bei der Fusion von Atomkernen mehr Energie freigesetzt als verbraucht wurde. Das klingt nach einem Durchbruch, aber da verbirgt sich ein Schummel-Haken: Die zitierte Bilanz gilt nur für den Brennstoff im Reaktor. Bezieht man aber die ganze Anlage (Gesamtwirkungsgrad nges) mit ein, dann gewann man in der Tat nur ein mageres Prozent aus der investierten Laser-Energie.
Jeder Energie-Umwandlungsschritt in einem Prozess vermindert den Gesamt-Wirkungsgrad! (nges = n1 x n2 x… nx, also Gesamt-Wirkungsgrad = Multiplikation aus den einzelnen Wirkungsgraden). Man würde sich in die eigene Tasche lügen, wenn man nicht alle Energiestufen im Gesamtprozess berücksichtigt. Sie sehen: Die Multiplikation von mehreren Wirkungsfaktoren unter Eins, ergeben zusammen stets einen noch kleineren Wert als einer der Einzel-Faktoren. Beispiel: 0,7 x 0,5 = 0,35 oder in Prozenten ausgedrückt: Eine magere Ausbeute von 35% der hinein gesteckten Energie, gleich welcher Art.
Grüner, klimaneutraler Wasserstoff…
...entsteht durch Elektrolyse in einem Elektrolyseur, der das Molekül Wasser H₂O durch Strom in Wasserstoff H₂ und Sauerstoff O₂ aufspaltet. Dazu gab es in der Schule im Chemie-Unterricht ein faszinierendes Elektrolyse-Experiment mit Wasser. Es entstand ein Gemisch aus Wasserstoff und Sauerstoff im Stoffmengen-Verhältnis 2:1; es ist bereits in geringen Mengen explosiv als sogenanntes Knallgas. Dies macht seinem Namen aber erst alle Ehre, wenn anschließend Aktivierungsenergie (durch Kerzenflamme) ohrenbetäubend ins Spiel kam.
Übrigens gewinnt man den sogenannten grauen Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen. Das verursacht CO₂-Emissionen. Der grüne Wasserstoff ist dagegen klimaneutral, da er keine Treibhausgase freisetzt. Soweit so gut. Und jetzt betrachten wir die Energie-Probleme in der Praxis etwas genauer.
Fakten in der Praxis der Elektrolyse-Verfahren
Das verwendete Wasser sollte rein sein, da sonst die Elektrolyse-Zellen verkrusten. Inzwischen ist es einem Forscher-Team sogar gelungen, aus salzigem, unbehandeltem Meerwasser Wasserstoff zu gewinnen, ohne dass sich Chlorid-Ionen an den Elektroden ablagern. Die Lösung dafür ist eine spezielle Elektroden-Beschichtung aus Chromoxid. Wie hoch die „ehrliche“ Effizienz einer solchen Anlage ist, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Aber so eine Anlage wäre in sonnigen Regionen geeignet, die zudem nur knappe Süßwasser-Ressourcen hergeben.
Reiner Wasserstoff hat eine dreifach höhere Energiedichte als Benzin. Sein Heizwert beträgt 33,3 kWh pro kg. Theoretisch benötigt man mindestens die gleiche Energiemenge, um Wasserstoff aus Wasser herzustellen. Fatalerweise ist aber der Wirkungsgrad der bisher verfügbaren Elektrolyse-Zellen eher mickerig. Man kann mit einem realistischen Wirkungsgrad von 65% rechnen. Es sind also 51,2 kWh aufzuwenden, um daraus 33,3 kWh/kg verwendbare Energie in Form von einem Kilogramm Wasserstoff zu gewinnen. Die zugeführte Energie gewinnt man aus Wind- oder Wasserkraft oder aus Sonneneinstrahlung, erst dann kann man lax von grünem CO₂-freien Wasserstoff sprechen.
Das Pferd von hinten aufzäumen
Will man nach dem Transport des Wasserstoffs zum Verbraucher, die chemische Energie des Wasserstoffs wieder in Strom verwandeln, bedarf es einer Brennstoffzelle, die in umgekehrter Weise wie ein Elektrolyseur funktioniert. In beiden Fällen sind die grundlegenden chemischen Reaktionen die gleichen, sie laufen aber in entgegengesetzte Richtungen ab.
Wie ist jetzt die Energie-Ausbeute in unserem Beispiel? 51,2 kWh x 0,65 x 0,65 = 21,6 kWh, eine magere Ausbeute von 42%. Mit klaren Worten: Nur 42% der Elektrizität, die man anfangs bereit stellte, kommt effektiv ins Leitungsnetz zum Verbraucher. Insgesamt haben sich 58% der Energie im Gesamtprozess ungenutzt verabschiedet. Nein, sie sind nicht einfach verloren, aber sie haben sich anderenorts ungenutzt letztlich in Wärme-Energie aus dem Prozess gestohlen.
Politik im Wasserstoff-Rausch
Es wäre zu kurz gedacht, wenn man die naturgegebene Wind- und Sonnenenergie als kostenlose Gabe ansieht, unter dem banalen Motto “die Sonne schickt Energie ohne Rechnung“. Der Pferdefuss ist, alle technischen Systeme, die diese Natur-Energien nutzbar machen, verbrauchen Rohstoffe und benötigen selbst zur Herstellung enorme Energie. All das muss man in der Energiebilanz berücksichtigen. Um überhaupt den Wasserstoff für Deutschland attraktiv zu machen, bedarf es im Großen einer ungeheuren Zahl von erneuerbaren Energieträgern.
Momentan sind unsere Politnarren dabei die natürlichen Freiflächen mit Windrad-Monstern und Sonarpannels aufzufrischen und damit zu schmücken. Deren späterer Abbau wäre unbezahlbar und das Recycling wohl kaum möglich. Welch eine Bürde wartet auf unsere Nachkommen! Grüner Wasserstoff ist zwar ein vielversprechender Energieträger, indes aber teuer erkauft! Man könnte ihn effizient und nachhaltig nutzen. Dazu müsste man die erneuerbaren Energien extrem ausbauen. Vor allem heißt es, die Technologien wesentlich zu verbessern. Oberste Priorität haben da kluge politische Entscheidungen. Da heißt es, alles abzuwägen und zu Ende denken. Das ist geistige Mangelware im Quasseltempel von Berlin.
Während bisher zentrale Großkraftwerke die benötigte Energie kontinuierlich erzeugten und im Land verteilten, entstanden seit der Energiewende viele dezentrale Einspeise-Inseln mit Ökostrom. Das schafft neue Probleme in der Steuerung. Die Einspeisepunkte müssen gut miteinander vernetzt sein, denn Netzfrequenz-Schwankungen lassen sich nur über miteinander vernetzte Stromspeicher kurzfristig ausgleichen. Das funktioniert aber nur dann, wenn es genügend dieser Speichermöglichkeiten gibt und wenn die Infrastruktur volldigitalisiert ist. Anderenfalls kommt es bei massiver Netzfrequenz-Abweichung zu einem „Dominoeffekt“ im Europäischen Verbundnetz, zu einem Blackout.
Grüner Wasserstoff-Transport und geeignete Derivate
Es gibt verschiedene Transportmöglichkeiten, je nach Verwendungszweck und Entfernungen. Der Transport über spezielle Pipelines ist eine effiziente aber teure Methode für den Transport großer Mengen über lange Strecken. Zudem lässt sich Wasserstoff bei sehr niedrigen Temperaturen bei etwa -253°C verflüssigen. Dieses LH₂ wird in speziellen Isolierbehältern (Dewar-Gefäßen) als effiziente Transportmethode des flüssigen Wasserstoffs über die Ozeane geschippert. Eine andere flexible Methode für den lokalen Transport zu Verbrauchern oder Tankstellen ist das Befördern in Druckgasflaschen oder Tankwagen.
Ungeheurer Aufwand: Ammoniak als Wasserstoffträger
Wasserstoff kann chemisch an Ammoniak (NH₃) gebunden werden. Ammoniak ist ein stechend riechendes, farbloses und giftiges Gas, das leichter zu handhaben ist als Wasserstoff. Es lässt sich in bestehenden Infrastrukturen transportieren. Am Zielort wird das Transportvehikel Ammoniak zerlegt, um den Wasserstoff wieder freizusetzen. Hört sich alles recht einfach an. Die „chemische Verpackung“ des Wasserstoffs in Ammoniak zum besseren Transport ist indes mit einem ungeheuren Aufwand verbunden. Dabei geht viel Energie und Kapital verloren. Jeder Umwandlungsschritt (durch die teure Haber-Boschanlage und Übersee-Entlade-Kais) bedeuten hoher Investitionsbedarf und großer Energieverbrauch.
Da kam „Null“ aus der Sahara nach Europa: Weder Ammoniak noch
„Terra-Watt-ihr-Volt“
Das in den 2000er Jahren mit einem Kapital von 400 Milliarden Euro ehrgeizig geplante Wüsten-Projekt Desertec, sollte Energie für 100 Terrawatt-Stunden pro Jahr in die EU liefern. Bei den Verantwortlichen kam es aber bald danach zum Streit, zur Kakophonie, und so ging alles letztlich lecker in die Hose. In aller Stille begrub man das Projekt „Strom aus der Wüste“. Der Traum zerplatzte, er wurde zur Geschichte.
Vom Ammoniak zum pseudo-grünen Wasserstoff
In dem hier stark verkürzten Auszug des Beitrags „Wasserstoff aus der Wüste - Technisches Wissen anstelle von Wunderglauben“ macht W. Schuler folgende Rechnung auf:
Angenommen, es sollen eine Million Tonnen Wasserstoff für Deutschland bereit gestellt werden. Und weiter: Aus der Wüstenregion muss man dazu rund sieben Millionen Tonnen Ammoniak heran schippern. Das Entlade-Terminal in Hamburg zerlegt dies in Wasserstoff und Stickstoff. Nach Abzug von weiteren unvermeidlichen Produktionsverlusten bleibt davon eine Million Tonnen Wasserstoff mit einem Energieinhalt von 33,3 TWh. Multipliziert man die Wirkungsgrade mit je 0,65 (Wasserelektrolyse, Rückverstromung), ergibt sich eine Nettoausbeute von 42%.
Von der ursprünglichen aus Solarzellen gewonnenen elektrischen „Wüsten-Energie“, z.B. 100 kWh, kommen also nur 42 kWh im deutschen Netz an. Zieht man alle Ertragsminderungen in Betracht, kämen bestenfalls 25% im europäischen Netz an. Quintessenz: Das Problem der absolut grünen und nachhaltigen Energie besteht darin, dass sie sich im Prozess „verfärbt“, wenn man alle nicht-grünen Energieeinträge mit einbezieht.
Fazit: Anlagen in Übersee, die mit Sonnen- oder Windenergie „Grünem Wasserstoff“ oder „Grünes Ammoniak“ als Exportgut für Deutschland produzieren sollen, können nicht energieautark arbeiten. So gesehen ist auch der grüne Wasserstoff eine Chimäre, wie heute noch die Kernfusion.
Wasserstoff als Energiespeicher
Ja, Wasserstoff könnte ein guter Lösungsansatz in einem Energiespeicher-System für erneuerbare Energien der Zukunft sein. Dazu bedarf es aber einer weiteren Forschung. Im Prinzip ermöglicht Grüner Wasserstoff eine zeitliche und örtliche Entkopplung zwischen Erzeugung und Verbrauch. Als Speicher kann er Schwankungen des Ökostroms bei erneuerbaren Energiequellen ausgleichen. So gesehen, begleitet Grüner Wasserstoff maßgebend die EU-verordnete Energiewende. Diese ist bisher nicht von Klugheit geleitet, vielmehr von ideologisch-geprägten Volksvertretern, von Studienabrechern, für die selbst elementare Rechenaufgaben wie der Dreisatz, ein Mysterium sind.
Nein, unsere klimaneutralen Sesselpupser in Berlin sägen nicht den Ast ab, auf dem sie kommod sitzen. Sie fällen planlos robust den Lebensbaum, auf dem wir alle hocken. Energiewende: Ende Gelände!