Analysten und Anleger bemühen sich darum, das Psychogramm einer Spekulationsblase frühzeitig zu erkennen und für sich zu nutzen. Ein rechtzeitiger Hinweis kann von unschätzbarem Wert sein.
Von Hans-Jörg Müllenmeister
Die Suche nach einer gewinnbringenden Gelegenheit im Markt ist so alt wie die Menschheit selbst und gehört zur Strategie der Überlebenskunst. Daher untersucht der gewiefte Investor die treibenden Kräfte, die zu einer nachhaltigen, extremen Marktbewegung (Hype) führen könnten, um sie zu seinem Vorteil zu nutzen. Dabei kann es auch zu Fehleinschätzungen kommen, insbesondere wenn das Risiko unterschätzt wird. Wenn im Leben etwas schiefgeht, bleibt man oft im Konjunktiv stecken. Der Markt indes bewegt sich weiter, auch ohne den unvorsichtigen Spekulanten.
Kurze Konzept-Vorstellung der morphologischen Felder nach Rupert Sheldrake
Rupert Sheldrake beschreibt morphologische Felder als eine Art Gedächtnis der Natur. Da stellt sich mir die Frage, ob solche hypothetische Feld auch außerhalb der Biologie Einfluss haben können, etwa für markante Chart-Muster im Finanzwesen. Wenn alles in Wechselwirkung steht, ob belebt oder unbelebt, dann ist alles auf gewisse Weise miteinander verwoben. Könnte Sheldrakes Konzept also ein Erklärungsmodell für rätselhafte Massenphänomene und Chart-Formationen auf überhitzten Märkten sein?
Obwohl die wissenschaftliche Bestätigung für die Existenz solcher Felder aussteht, gewinnen sie zunehmend an Popularität in der Analyse gesellschaftlicher Prozesse. Die Idee wird weiterhin erforscht und diskutiert. Zum Beispiel können Personen, die lange Zeit an einem Ort verweilten und diesem Ort ihren “Geist” (Atmosphäre, Aura) hinterließen, prägend für die Handlungen, Gedanken und Intuitionen von Menschen sein, die später an diesem Ort verweilen.
Es gibt Anwendungen zu morphologischen Feldern in anderen Bereichen. Ein Beispiel ist der „Morphologische Kasten“, eine Kreativitätstechnik, die der systematischen Analyse komplexer Aufgaben dient und innovative Lösungen fördern soll. Dieses Werkzeug wird in verschiedenen Bereichen der Produktentwicklung oder in der strategischen Planung eingesetzt. All diese Konzepte teilen die Idee, dass durch die Analyse und Kombination verschiedener Elemente neue Einsichten und Lösungen für komplexe Probleme gefunden werden können.
Das Chartbild kennt seine Ahnenbilder
Seit Jahrhunderten gibt es wiederkehrende Ähnlichkeiten im eskalierenden Marktgeschehen – eingefroren durch verblüffend ähnliche Chart-Muster, den Spekulationsblasen. Sämtliche Supermanien seit der Tulpenzwiebel-Hausse von 1634 bis 1637, der Edelmetall-Hausse mit ihrem jähen Ende 1980 bis hin zum Neuen Markt mit dem Platzen der Blase ab 2000, zeigen eine symmetrische „Resonanzkurve“, nämlich in der Endphase einen dramatischen Anstieg, dem ein ebenso dramatischer Abstieg folgt. Dieses Chart-Muster als erklärtes morphisches Feld, lässt sich einem Gedächtnis zuschreiben, das auf morphische Resonanz mit allen früheren Hypes der gleichen Art beruht. Ein neu entstehender Hype erbt aus früheren Hypen das kollektive Gedächtnis ihrer Gewohnheit und Art.
Das Gedächtnis zeigt keine materiellen Erinnerungsspuren
Phänomenal ist die Speicherung dieser traumatischen Erinnerung an das Platzen einer Spekulationsblase. Hinterlässt sie doch zumindest im menschlichen Gehirn – wie auch Myriaden andere Erinnerungen – keine materiellen Spuren, denn niemand hat bisher materialisierte Erinnerungsspuren gesehen. Während unser Gedächtnis über Jahrzehnte zurück reicht, werden nämlich alle Moleküle unseres Körpers, mit Ausnahme der DNA, innerhalb kurzer Zeit vollkommen ausgetauscht. Selbst das menschliche Embryo besitzt Erinnerungen an seine Vorgeschichte, an seine Fisch-Ahnen; es durchläuft ein fischähnliches Stadium, indem es vorübergehend Kiemenspalten ausbildet.
Mit kollektiven Erinnerungen lernt es sich besser
Sollte sich das „Erinnerungsvermögen“ in der Natur dieser Chart-Muster liegen, müssten sich das allererste Auftreten eines Blasenmusters vom n-ten Muster unterscheiden. Jedes weitere Muster wird vom Vorläufer-Modell
der gleichen Art geformt und verstärkt. Die innewohnende kollektive Erinnerung wird durch Wiederholung immer weiter ausgeprägt. Offensichtlich profitiert unbewusst der Unerfahrene von der kollektiven Erinnerung in einem mentalen Umfeld. Man konnte z.B. nachweisen, dass Anfänger das bereits millionenfach zuvor von anderen erlernte Morsealphabet besser begriffen, als einen neuen Morse-Code oder dass die eingebürgerte QWERTZ-Taste auf der Computer-Tastatur schneller erlernt wird als irgend eine Zufallsverteilung der Buchstaben, etwa eine ABCDEF-Tastatur.
Die Masse strebt nach Wachstum und ist zielgerichtet
Bisher gibt es keine anerkannte Theorien für Phänomene der Menschen in der Masse bei Panik, dass z.B. eine Kaufhysterie der Masse oder einen randalierenden Mob erklärt. Bei menschlichen Gruppierungen und Massenbewegungen führen Bedrohung und Verlust dazu, dass sich das kollektive Feld den veränderten Umständen anpasst. Solange die Masse besteht, hat sie den manischen Drang zu wachsen (Lawineneffekt). Auf Aktienmärkten hat sie nur ein Ziel oder eine Richtung: Den Kurs höher zu treiben und sie besteht solange sie das unerreichte Ziel verfolgt.
Die emotionalen Naturkonstanten: Angst und Gier
Der Kollektivgeist, der bis zum Platzen der Spekulationsblase führt, hat sich schon seit Jahrhunderten nach dem gleichen Muster abgespielt. Das ist typisch für dramatische Kursbewegungen, die von den Urtrieben Gier (Aufschwung-Phase) und Angst (Abschwung-Phase) angetrieben werden. Diese gelten als verläßliche kognitive „Naturkonstanten“. Die Wirkung der Angst ist jedoch nicht berechenbar. Sie überträgt sich suggestiv epidemisch auf die Anlegermassen innerhalb einer Spekulationsblase. Am Höhepunkt einer Kursbewegung verbreitet das hereinbrechende Unheil eines dramatischen Kurssturzes panische Angst und lähmenden Schrecken. Dann heißt es: Rette sich wer kann! Erst nach dem Zusammenbruch gewinnt das Individuum aus der angstgetriebenen Masse wieder seine eigene Konturen.
Vom Individuum zum kollektiven Kaufrausch
Anfangs dümpelt der Kurswert oft jahrelang dahin, ohne dass die Masse der Anleger Notiz davon nimmt. Nachdem der Kurswert einen bestimmten Kurvenabschnitt durchlaufen hat – gekennzeichnet durch einen ersten stärkeren Preisanstieg – stößt der Wert zunehmend auf kollektives Interesse. Das markiert die Frühphase der Gierigen. In dieser Gier einzelner Individuen könnte man auch eine archetypische Form der Angst erkennen – die Angst, etwas zu verpassen, insbesondere den erhofften Preisanstieg und den damit verbundenen Gewinn.
Den Börsen-„Leittieren“ folgen die ersten Mitläufer der Anleger, die zielstrebig zur Tränke streben. Von diesem Zeitpunkt an nimmt das Verhalten der Anleger aufgrund der Massenpsychologie fast unmerklich manische Züge an. Es entwickelt sich ein zunehmender affektiver Drang zum Kauf. Das Individuum verschmilzt mit der Masse, und die Gier überrollt Wachsamkeit und Vorsicht. Andere untergeordnete Emotionen wie Neid und Missgunst erleben dann ebenfalls ihr Comeback.
Ein starkes morphologisches Feld umgibt die kommende Goldhausse
Hypes, an denen Millionen von Menschen beteiligt waren – und dabei ihr Geld gewannen oder verloren – erzeugen offensichtlich ein besonders starkes morphologisches Feld mit weitreichender Wirkung. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die bevorstehende Goldhausse in den nächsten Jahren die 80er Jahre weit übertreffen wird, lässt sich durch das enorm starke morphologische Feld erklären. Dieses Feld entsteht nicht nur aufgrund der kollektiven Erinnerung an das rhythmische Muster der Goldhausse von 1980 oder ähnlicher Auslöser. Seit jener Zeit ist die Weltbevölkerung exponentiell weiter gewachsen.
Im Jahr 1980 „ertrug“ die Erde etwa 4,4 Milliarden Menschen. Bis zum Jahr 2021 stieg diese auf rund 7,9 Milliarden. Entsprechend werden sich in der Endphase deutlich mehr Menschen auf den Gold- und Silbermarkt stürzen. Die Abfallflanke der morphologischen Resonanzkurve wird allerdings ein oder mehrere Hoffnungszacken erzeugen, also kurze Kurserholungen. Dies sind Chart-Anomalien, die bei der South-Sea-Blase von 1.720 nicht auftraten. Damals führte die Abfallflanke direkt in die Hölle, nämlich in den Totalverlust.
Was haben Gold und Silber mit dem Hochgebirge zu tun?
Für manche Goldhamster symbolisiert der Mount Everest eine Metapher für den bevorstehenden Höhepunkt des Hypes. Der neue Gipfel des Goldpreises, dargestellt als frischer Schnee auf dem Everest, wird im Verhältnis zur Höhe im Vergleich zum alten Schnee der 1600 Meter hohen Schneekoppe – repräsentiert durch den Goldpreis von 870 US-Dollar im Jahre 1980 – proportional ansteigen. Aktuell im Mai 2004 befinden wir uns im ersten Basislager auf dem Weg zum Preisgipfel.
Aktuell liegt der Goldpreis bei etwa 2130 Euro. Nicht auszudenken wäre es, wenn der Goldpreis in Erinnerung an sein damaliges morphologisches Feld anknüpft. Damals,1980, stand er fast auf gleicher Augenhöhe (1:1) mit dem Dow Jones. Man hätte also nominal etwa eine Goldunze benötigt, um im Jahr 1980 den Dow Jones Index zu kaufen. Was geschieht, wenn der Dow Jones-Index seine glatte 40.000-Punkte-Marke erreicht, wäre das sein Kulminationspunkt?
Es scheint, als ob die “Gipfelbesteigung” bereits begonnen hat und der “Hype-Gipfel” für Gold noch in Aussicht steht. Bedenken Sie immer: Der Goldwert hat an sich keinen Wert, ist es doch das „Urmaß“ für den sukzessiven Niedergang aller Papier-Währungen; heutzutage gibt über 180 todgeweihte nationale Währungen auf der Welt.
Auf die Silberfüchse wartet übrigens eine Riesenüberraschung, auch wenn der Silberpreis mit dem 3700 m hohen „Silberhörnli“ der Schweizer Alpen keine Entsprechung findet. Der wahre Silberwert wird sich erst in einigen Jahren wuchtig herausbilden, wenn sich der Tausendsassa Silber völlig neue industrielle Applikationen erobert und ungeahnte Spekulationsgelüste entfacht.
Die Spekulationslust bleibt ein Menetekel der Menschheit; sie ist letztlich aufgrund ihrer inhärenten chaotische Verrücktheit unberechenbar.
Wie Mephisto in Goethes Faust sagt:
„Ein Kerl, der spekuliert, ist wie ein Tier auf dürrer Heide,
Von einem bösen Geist herumgeführt,
Und ringsherum liegt schöne grüne Weide“.